Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Amtzell ist meine zweite Heimat“
Ferhad aus Syrien lebt seit drei Jahren in Deutschland – Ziel: Als Arzt zurückgehen
AMTZELL - Dampf steigt über den Tassen auf. Der Geruch von gewürztem Kaffee erfüllt die Küche. „Jeder Gast bekommt bei uns erst einmal eine Tasse syrischen Kaffee“, sagt Ferhad Jawish, während er vorsichtig die Tassen gleichmäßig mit dem heißen Getränk füllt. Das Geheimnis hinter dem würzigen Duft und Geschmack ist Kardamom, erklärt der 25-Jährige. Dieser Kaffee ist ein typisches Getränk aus seiner Heimat. Seit drei Jahren lebt der junge Syrer nun schon in Deutschland, zwei Jahre davon in einer Wohngemeinschaft in Amtzell. Sein zweites Lehrjahr am Krankenhaus in Wangen hat gerade begonnen, er fühlt sich wohl. Trotzdem sagt er auch ganz klar: „Ich muss eines Tages wieder zurück.“
Ferhad Jawish ist der älteste von sechs Geschwistern. Einer seiner beiden Brüder wohnt im Irak, eine seiner drei Schwestern in der Türkei. Die anderen sind noch mit den Eltern in Syrien. Sie halten Kontakt vor allem über Whatsapp und Facebook, versuchen so oft wie möglich Videotelefonie. Doch das funktioniert nicht immer. Der Empfang bei den Eltern und Geschwistern in Syrien ist schlecht. Dann hört die Familie tagelang nichts voneinander. Für die Mutter eine schwere Situation, erzählt Ferhad: „Seit fünf Jahren habe ich meine Eltern nicht mehr gesehen. Wenn meine Mutter nichts hört und die Nachrichten nicht übertragen werden, dann macht sie sich viele Sorgen um ihre Kinder, die nicht mehr bei ihr sind.“
Gegangen ist er wegen des Kriegs, erzählt Ferhad. Während seiner Abiturprüfungen hörten er und seine Mitschüler draußen die Kämpfe. Die Schüler saßen in der Halle, draußen liefen Polizei und Soldaten vorbei. Eine belastende und stressige Situation. „Deswegen war mein Durchschnitt am Ende auch zu schlecht für Medizin“, sagt Ferhad. Denn sein Traum ist es eigentlich, Arzt zu werden. Obwohl er nicht mit seinem Wunsch-Studium beginnen konnte, schrieb er sich an der Uni ein. Seine Hoffnung damals: Als Student nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Doch seine Mutter schickte ihn schließlich fort. „Es war zu gefährlich für mich zu bleiben“, erinnert sich Ferhad an die Entscheidung.
Seine Flucht führte ihn 2013 zunächst in den Irak. Dort arbeitete er zwei Jahre lang in einer Hotelküche, spülte Geschirr, lernte in der Bäckerei dort das Handwerk. Doch der Irak war bei seiner Ankunft schon überlastet, es gab keine Chance für Ferhad, ein Studium anzufangen. „Ich habe mich dann dazu entschieden, irgendwo anders ein neues Leben zu beginnen.“
Über die Türkei kam er 2015 nach Deutschland. Erst nach Bayern, dann nach Ellwangen und schließlich über ein paar weitere Stationen in BadenWürttemberg nach Wangen in die Erba. „Am Anfang war es schwierig: Die andere Sprache und die andere Kultur. Ich musste mich sehr anstrengen, um in der Gesellschaft anzukommen“, erzählt Ferhad. Geholfen habe ihm zu Beginn die englische Sprache. Während er bis Anfang 2016 auf seine Aufenthaltsgenehmigung wartete, durfte er nicht arbeiten. Rausgehen und einfach mit den Menschen zu reden war ohne Sprachkenntnisse auch nicht drin. Also blieb Ferhad in der Unterkunft und lernte Vokabeln mit einem Wörterbuch deutsch-englisch. „Das hat mir sehr geholfen.“
Das Wichtigste: Sprache lernen
Von seinen anfänglichen Sprachbarrieren ist nichts mehr übrig geblieben. Er spricht fließend deutsch, mit leicht schwäbischem Einschlag. Bescheinigt bekommen hat er nach einem achtmonatigen Sprachkurs in Kißlegg und einem zusätzlichen Monat intensivem Lernen zu Hause das Niveau B2. „Ohne Hilfe wäre ich am Anfang niemals so weit gekommen. In Wangen und dann vor allem in Amtzell waren gleich Menschen da, die mir mit der Sprache geholfen haben, die mir mit der Bürokratie geholfen haben“, erzählt Ferhad.
Mit Aufenthaltsgenehmigung und Sprachkurs in der Tasche wird alles leichter. Er kommt nach Amtzell in eine kleinere Gemeinschaftsunterkunft, findet aber schnell privat ein Zimmer in einer WG. Das wichtigste sei dabei gewesen, die Sprache zu lernen. Mit seinen beiden Amtzeller Mitbewohnern sitzt Ferhad gerne in der Küche und im Wohnzimmer zusammen. Mal kocht er für sie, mal isst er mit, mal kocht jeder sein eigenes Essen. „Wir haben alle unsere eigene Kultur, unsere Traditionen, unseren Glauben. Aber wenn man flexibel ist, klappt das. So hat es für mich funktioniert.“
Im Herbst 2016 ist es aber zunächst zu spät, um noch eine Ausbildung zu beginnen. Obwohl er schnell den Sprachkurs geschafft hat und Hilfe bei der Bewerbung hatte, erzählt Ferhad. Er hört sich darum um, was er am besten tun könnte, um seinem Traum Medizinstudium näher zu kommen. „Mein syrisches Abitur wurde mir mit der Note 1,8 anerkannt. Der Durchschnitt ist aber ein bisschen schwierig für Medizin“, sagt Ferhad. Er beginnt ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Klinik in Wangen, bis das nächste Ausbildungsjahr anfängt. „Mein Ziel ist es, eines Tages als Arzt zurück nach Syrien zu gehen. Ich muss einen Beruf beherrschen, um dort für die Menschen und die Gesellschaft etwas machen zu können“, sagt Ferhad.
Die Frage sei nicht, ob er zurückgeht, sondern wann. Das kann Ferhad im Moment nicht abschätzen. Zehn Jahre? 15 Vielleicht? Die politische Lage in Syrien ist schwierig, wird jeden Tag noch komplizierter, erzählt er. Die Situation für seine Eltern und Geschwister in der Heimat ist nicht leicht. Aus dem Haus, in dem Ferhad aufgewachsen ist und an das er so viele Erinnerungen hat, sind sie vertrieben worden, leben weit weg vom Heimatort Afrin in einer Wohnung mit einer anderen Familie zusammen. „Manchmal gibt es keinen Strom, kein Wasser, die Lebensmittel sind teuer“, erzählt Ferhad. „Aber das wichtigste ist einfach, dass sie jetzt in einem sicheren Gebiet sind. Weit weg von Bomben und Raketen.“
Nach beinahe drei Jahren in Deutschland fühlt er sich angekommen, integriert. Er kennt viele Menschen, ist selbstständig, kann sich problemlos verständigen. Deswegen kann er jetzt auch die anstehende Weihnachtszeit genießen, sagt Ferhad: „In Deutschland herrscht eine schöne Atmosphäre an Weihnachten und Silvester. Alles ist so schön dekoriert.“Auch in Syrien war an Weihnachten frei, aber die besondere Stimmung spüre man besonders hier im Allgäu im Winter noch mehr – auch wenn er ständig friert.
„Deutschland ist mein zweites Land geworden, vor allem seit ich nähere Kontakte mit den Menschen hier habe“, sagt Ferhad. Mittlerweile verbindet er auch mit dem Haus seiner WG viele Erinnerungen. Dem Haus in Amtzell, seiner zweiten Heimat.