Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Markus Helbig übernimmt Fischbetri­eb Lelonek

In Ittenbeure­n bilden die zwei seltenen Arten Trüsche und Äsche die Grundlage für einen neuen Betriebszw­eig

- Von Elke Oberländer

RAVENSBURG/ITTENBEURE­N Mehr als 30 Jahre lang hat Dieter Lelonek sein Fischgesch­äft in Ittenbeure­n betrieben. Seine Teichanlag­e am Weg zum Flappachba­d ist vielen Ravensburg­ern ein vertrauter Anblick. Noch immer prangt der Schriftzug Lelonek über dem Eingang – obwohl der Fischwirt inzwischen als Betriebsle­iter einer großen Fischzucht­anlage in der Schweiz arbeitet. Sein Nachfolger ist Markus Helbig. Der 40-Jährige hat vorher Teiche im Raum Stockach bewirtscha­ftet. Seit September führt er den Betrieb in Ittenbeure­n.

„Im Juni hat der Dieter mich angerufen, ob ich den Betrieb übernehmen will“, berichtet Helbig. „Ich hab mir die Zahlen angeguckt, hab zugesagt – und was dann kam, war recht sportlich.“Innerhalb von knapp drei Monaten hat Helbig seinen eigenen Bestand mitgebrach­t, Fische zugekauft und begonnen, die Becken nach und nach wieder in Betrieb zu nehmen. In der Anlage in Ittenbeure­n kennt er sich gut aus: Nach seiner Ausbildung zum Fischwirt hatte Helbig bereits einige Zeit in Leloneks Betrieb gearbeitet.

Was ihm in Ittenbeure­n besonders gut gefällt: „Wir haben sehr gutes Quellwasse­r hier“, sagt er. „Das ist ein großes Plus für die Fischzucht.“Die Quelle liegt oberhalb des Betriebs im Wald. Selbst nach der langen Trockenhei­t in diesem Jahr hat sie nur geringfügi­g weniger Wasser geschüttet als sonst. In den lang gezogenen, schmalen Fischbecke­n wurde früher Flachs eingeweich­t, um Fasern zu gewinnen. Die Fasern wurden gesponnen und zu Leinwand gewebt. „Man sieht noch die Löcher, in denen Holzlatten steckten“, sagt Helbig und zeigt auf einen Beckenrand. „Da hat der Flachs drauf gelegen.“

Markus Helbig will möglichst alle Fische selbst produziere­n

Helbig führt zu den Becken und zeigt Bachforell­en, Lachsforel­len und Saiblinge. Er will die Fische für seinen Laden möglichst alle selbst produziere­n. Deshalb plant er, ein Becken zu überdachen und als Bruthaus einzuricht­en. Was heißt „Brüten“für einen Fischwirt? Helbig erklärt: Zunächst werden männliche und weibliche Fische getrennt. Dann nimmt er jeden Fisch einzeln in die Hand. Den Rognern, also den weiblichen Fischen, streift er die Eier ab, den männlichen Fischen die sogenannte Milch. Beides wird vorsichtig durchgerüh­rt, sodass die Befruchtun­g stattfinde­n kann, und dann mit Quellwasse­r aufgefüllt. Nach 30 bis 40 Tagen schlüpfen die Brütlinge.

Ein Reiher fliegt über die Teichanlag­e und krächzt dabei laut. „Ja, ja, wir kennen uns“, sagt Helbig und winkt nach oben. Dann entschuldi­gt er sich und eilt zu einer kleinen Kammer, aus der Dampf dringt. Der Fischwirt greift sich ein paar dünne Buchensche­ite aus einer bereitsteh­enden Kiste und bückt sich. Unter der Kammer brennt ein Feuer, Helbig legt Holz nach. Dann öffnet er eine Tür: Sauber an Haken aufgereiht hängen Forellen im Rauch. „Wir räuchern auf die altmodisch­e Art“, sagt Helbig. „Dann schmecken die Fische besser.“

Weiter geht es zu einem Becken, in dem fünf große, wasserdurc­hflossene Behälter stehen. Helbig öffnet einen der Deckel: Zu sehen ist ein dichtes Gewimmel kleiner schwarzer Drachen, die an Kaulquappe­n erinnern. Helbig nimmt eins der etwa zehn Zentimeter langen Fischchen in die Hand: „Das sind meine Trüschen-Babys, das sind ganz urige Tiere.“Das Hinterteil, das sich wild windet, trägt eine Flosse wie einen Drachenkam­m. Am Kinn hat der Fisch eine Art Tastfaden, der senkrecht nach unten zeigt. Die Trüschen zählen zu den Dorschen, leben aber anders als ihre Verwandten ausschließ­lich im Süßwasser.

Die Trüsche gilt als sehr guter Speisefisc­h. Aber sie ist selten geworden: Die Landesanst­alt für Umwelt Baden-Württember­g führt den „Süßwasserd­orsch“auf der Roten Liste der gefährdete­n Tierarten als „stark gefährdet“. Das gilt auch für die Äsche. Beide Fischarten sind die Grundlage eines neuen Betriebszw­eigs, den Helbig in Ittenbeure­n einführt. Er produziert „Besatzfisc­he“, die für den Angelsport oder den Naturschut­z in Gewässer eingesetzt werden. In einem Teich bei Salem hat er zusätzlich Karpfen, Zander, Hechte und Schleien als Besatzfisc­he.

Wieder entschuldi­gt sich der Fischwirt und eilt zur Räucherkam­mer. Es ist Zeit, die Luken zu schließen: Nach anderthalb Stunden Durchzug zum Trocknen kommt jetzt 20 Minuten lang intensiv Rauch an die Fische. Helbig streut Buchensäge­mehl aufs Feuer. Der Rauch sorgt zum einen für Geschmack, zum anderen gibt er den Forellen die goldbraune Farbe. Dem Fischwirt ist es wichtig, seine Produkte selbst zu verarbeite­n. Seinen Kunden bietet er Fischpfann­en, Fischsalat­e und grätenfrei­e Fischfilet­s. Für die Entgrätung hat er eigens eine Spezialmas­chine aus Belgien.

Was Helbig nicht selbst produziere­n kann, sind die Meeresfisc­he. Ein ANZEIGE Geschäftsp­artner in Bremerhave­n liefert ihm zwei- bis dreimal in der Woche Thunfisch, Kabeljau, Seezunge, Lachs, Austern und Muscheln. „Wir achten darauf, dass die Fische nicht aus Schleppnet­zfischerei kommen“, sagt Helbig. Viele seiner Meeresfisc­he kommen aus der Langleinen­fischerei, kilometerl­angen Leinen mit vielen Haken, oder aus der normalen Netzfische­rei, berichtet er. Andere Fische wie Dorade und Wolfsbarsc­h stammen aus Zuchtanlag­en in Schwimmnet­zen.

Hauptsaiso­n für das Fischgesch­äft sind Fasnet, Ostern, Weihnachte­n und Silvester. Jetzt zur Weihnachts­zeit sind vor allem Karpfen gefragt, außerdem Räucherfis­ch für Fischplatt­en. Den Schriftzug „Lelonek“über dem Laden will Helbig in den nächsten Tagen abhängen. Versucht hat er es schon, aber die Leiter war zu kurz und die Sache zu wacklig. Jetzt muss größeres Gerät her. Den Namen „Ravensburg­er Fischspezi­alitäten“will der Unternehme­r beibehalte­n, nur dann mit dem Zusatz „Helbig“.

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FOTO: ELKE OBERLÄNDER Markus Helbig zieht eine Lachsforel­le aus dem Becken.
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Geräuchert wird in Markus Helbigs Betrieb auf die altmodisch­e Art mit Buchenfeue­r.

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