Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wir leben in besinnlichen Zeiten
Manchmal hat man das Gefühl, das Leben ist eine einzige Satire. Reißt man heute einen dummen Scherz über einen wenig gefälligen Zustand, wird der morgen unter Umständen schon zur Realität. Die Realität ist ohnehin so eine Sache, mit der man sich besser nicht eingehend beschäftigt. Leider kommt man nicht immer ganz um sie herum. Zum Beispiel was den Nikolaus betrifft.
Die Taten dieses Bartträgers rühmte in dieser Woche die AGFKBW, die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg. Sie feierte in einem Schreiben sich selbst und 29 AGFK-Kommunen, die sich weltweit in ganz Baden-Württemberg engagieren, und zwar unter Zuhilfenahme des armen Nikolaus. Dieser offenbar mit Weitsicht ausgestattete Mann verteilte demnach dieser Tage in vielen Städten Gutscheine an Radler ohne Licht. Und Schokolade an Radfahrer mit Licht.
Was sich nach Monty Python anhört, ist ein reales Weihnachtsmärchen. Denn durch diese AGFK-BWAktion (Zentrale Erkenntnis: „Beim Einschalten des Lichts am Fahrrad kommt es nicht nur darauf an, etwas zu sehen, sondern vor allem darum, gesehen zu werden“) sorgte der sogenannte Nikolaus laut Mitteilung „nicht nur dafür, dass Lichtlosen ein Licht aufgeht, sondern belohnt auch beleuchtete Radfahrer mit Schokoladenherzen.“
Warum diese löbliche Aufgabe gerade der Nikolaus übernehmen musste, der gewöhnlich mit einem unbeleuchteten (!) Rentierschlitten oder dem monströsen Coca-ColaTruck (grell beleuchtet) unterwegs ist, ließ sich bis Redaktionsschluss leider nicht auflösen.
Mehr Licht ins Dunkel brachte in dieser Woche dafür die SRH-Fernhochschule mit Sitz im beschaulichen Riedlingen. Sie wies in einer Mitteilung auf die erheblichen Risiken des Nikolausjobs hin. Wörtlich hieß es in dem Schreiben: „Wer sich zur Weihnachtszeit als Nikolaus engagieren lässt, sollte im Hinterkopf behalten, welche Einkunftsart an die Tätigkeit geknüpft ist“, warnte so eindringlich wie verständlich Professor Dr. Matthias Hiller. Und, Obacht: „Dies gilt natürlich auch für Weihnachtsengel und andere Weihnachtsboten.“
Der „Professor für Rechnungswesen“hatte in dieser Woche Angst einflößende Nachrichten im vorweihnachtlichen Gepäck: „Der Weihnachtsmann übt seine Tätigkeit zwar persönlich aus und hat nur einen geringen Kapitaleinsatz in Form von Mantel, Schuhe, Bart und Sack.“Allerdings benötige er keine besonderen Fachkenntnisse für seine Tätigkeit, so der aktuelle Stand der Hochschulwissenschaftler. Denn: Schon ein einfaches Hohoho-Brüllen reiche als Qualifikation für die Nikolausarbeit aus. Das wiederum könnte dem Finanzamt gar nicht gefallen, denn damit ist das keine künstlerische Darstellung. Und diese Behörde sieht es nicht gerne, wenn Menschen mit Kissen als künstlichem Bauch, Mantel, Schuhen und Bart wehrlose Kinder anbrüllen – sich das Geld für diese qualifikationsfreie Arbeit aber, Vorsicht, Wortspiel, in den eigenen Sack stopfen, anstatt dafür ordnungsgemäß Ertrags- und Umsatzsteuer zu entrichten.
Wie schön, dass die Menschen in der Vorweihnachtszeit endlich einmal zur Besinnung kommen.