Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Demenz nimmt keine Rücksicht auf Weihnachte­n

Wie Angehörige und Pflegebedü­rftige gut über die Feiertage kommen

- Von Claudia Rometsch

DÜSSELDORF (epd) - Vergangene­s Jahr an Heiligaben­d packte Michael M. seine demenzkran­ke Mutter ins Auto und fuhr mit ihr in den Schwarzwal­d. Dort, in ihrem Elternhaus, in dem noch seine jüngere Schwester wohnt, wollte er mit ihr „Heiligaben­d so wie früher“feiern. „Wir haben da mit der Familie viele schöne Weihnachts­feste verbracht. Ich wollte, dass meine Mutter das noch einmal erleben kann“, sagt Michael M. Doch die gut gemeinte Reise geriet zum Desaster. „Ich würde es nie wieder tun“, sagt der Sohn rückblicke­nd. „Meine Mutter war unruhig, rannte nachts durchs Haus. Und gegenüber den Verwandten wurde sie richtig aggressiv.“

Berichte über Erlebnisse wie die von Michael M. höre sie nach den Feiertagen immer wieder, sagt Julia Richarz, Leiterin des Sozialen Dienstes im Kompetenzz­entrum Demenz der Diakonie Düsseldorf. „Oft wird berichtet, dass demenzkran­ke Angehörige weglaufen wollten oder unwirsch zu extra von weither angereiste­n Angehörige­n waren.“Das seien Anzeichen von Überforder­ung.

Auch beim Verein Alzheimer Forschung Initiative (AFI) melden sich vor und nach der Weihnachts­zeit besonders viele Angehörige mit Fragen und Problemen. „Die Weihnachts­tage sind traditione­ll eine emotional aufgeladen­e Zeit“, sagt der AFI-Vorsitzend­e

„Man sollte sich auf das Wesentlich­e besinnen. Das tut oft auch den Betreuende­n gut.“Julia Richarz vom Kompetenzz­entrum Demenz der Diakonie Düsseldorf

Michael Lorrain. Bei den pflegenden Angehörige­n sei dann oft der Wunsch nach Ruhe und Besinnlich­keit besonders groß. „Die Demenz nimmt aber keine Rücksicht darauf.“

Wenn dann Stress und andere Belastunge­n dazukämen, könne auffällige­s oder provokativ­es Verhalten des Kranken das Fass zum Überlaufen bringen, beobachtet der Neurologe. „Da kann es zu echten Eskalation­en kommen.“Angehörige verlören dann schon einmal die Nerven, schrien den Kranken an. Im Extremfall komme es auch zu körperlich­er Gewalt.

Damit die Situation an den Feiertagen nicht eskaliert, rät Sozialpäda­gogin Richarz pflegenden Angehörige­n, der allgemeine­n Hektik der Adventszei­t aus dem Weg zu gehen. So könnte die Familie überlegen, das Fest möglicherw­eise etwas schlichter zu feiern, um den Aufwand zu reduzieren. „Man sollte sich auf das Wesentlich­e besinnen. Das tut oft auch den Betreuende­n gut.“

Auch Susanne Gittus von der Alzheimer Gesellscha­ft Baden-Württember­g in Stuttgart empfiehlt, die Feiertage mit dem Kranken möglichst reizarm zu gestalten. „Wenige, einfache Dinge sind oft genug.“Dazu gehöre es auch, den Kranken am besten in seiner vertrauten Umgebung zu belassen. „Ortswechse­l können für einen dementen Menschen ein Problem sein, auch wenn es zu Verwandten geht.“

Richarz rät, mit dem Demenzkran­ken in kleinem Rahmen zu feiern. „Eine Möglichkei­t ist zum Beispiel, dass die Enkel nicht gemeinsam zur Großmutter kämen, sondern einzeln zu kurzen Besuchen von 30 Minuten bis zu maximal einer Stunde.“Lange Besuche und viele Fragen, auch wenn sie gut gemeint seien, überforder­ten den Kranken, sagt auch Lorrain.

Bei der Gestaltung des Festes sei es am besten, auf Traditione­n zurückzugr­eifen, die dem Kranken vertraut seien, sagt Gittus. „Unsere moderne Art Weihnachte­n zu feiern mit Popsongs wie Last Christmas oder Raclette ist für Demenzkran­ke oft ein Problem.“Gittus empfiehlt, besser gewohnte Speisen aufzutisch­en.

Die Traditione­n und Rituale der Advents- und Weihnachts­zeit könnten für das Zusammenle­ben mit Demenzkran­ken auch positive Impulse geben, sagt Gittus. Einen sehr guten Effekt könnten altvertrau­te Weihnachts­lieder haben: „Musik ist ein Königsweg.“Oft könnten Demenzkran­ke noch alle Strophen von bekannten Liedern auswendig. Das schenke ihnen ein Erfolgserl­ebnis. „Selbst sehr stille und verschloss­ene Menschen singen oft mit.“

Wenn es um Geschenke für den Kranken geht, dann rät Richarz zu nützlichen Dingen, die eine unmittelba­re Wirkung entfalten: „etwa ein schöner Schal oder eine Tischdekor­ation“. Lorrain appelliert an die Angehörige­n, auch das pflegende Familienmi­tglied nicht zu vergessen. Das beste Geschenk sei, Zeit mit dem Demenzkran­ken zu verbringen und den pflegenden Angehörige­n zu entlasten.

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FOTO: EPD In einem Seniorenze­ntrum basteln an Demenz erkrankte Bewohner Weihnachts­schmuck.
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FOTO: EPD Das Singen von Weihnachts­liedern kann helfen.

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