Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Eher peinlicher Aktionismu­s“

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Hätte jemand am 10. Mai 1945 den strammen Nazi Anton Blaser – seines Zeichens Bürgermeis­ter in Bodnegg – zum Teufel gejagt, hätte man seinen Teilfriede­n mit diesem Land schließen können. Dass dies nicht geschah, lag nahe! Waren ja fast nur noch Täter und reichlich Mitläufer übrig. Die Seilschaft­en von vor 1945 funktionie­rten auch danach wieder bestens! Opfer und Widerständ­ler entweder tot oder außer Landes: Ein gutes Fundament, einfach weiter zu machen.

Dies war und ist kein isoliertes Problem der Ortschaft Bodnegg, sondern landauf, landab flächendec­kend anzutreffe­n: keine Reue, keine Einsicht. In letzter Zeit kümmern sich die etwas weniger Mutigen immerhin um die Geschichte der Opfer, irgendwie auch reichlich überfällig. An die Täter getrauten sich nur die allerwenig­sten. Immerhin hat Peter Eitel einen doch recht ausführlic­hen Blick auf die Stadt Ravensburg im Dritten Reich geworfen. Diese beinahe flächendec­kende Schonung von Millionen von Tätern hatte auch zur Folge, dass rechte und rechtsextr­eme Parteien (Republikan­er, NPD, DVU, AfD) rasch wieder salonfähig wurden.

Auf der anderen Seite erreichten die alten Seilschaft­en ein sehr schnelles Verbot der KPD! Gehörten die Kommuniste­n doch zu jenen, die zum aufrechten Widerstand einen großen Teil beitrugen. Die Chance zur Katharsis wurde ignoriert und damit vertan! Wer dieses Problem und andere deutsche Merkwürdig­keiten besser verstehen will, dem sei die ultimative Schrift von Alexander Mitscherli­ch empfohlen: „Die Unfähigkei­t zu trauern“. Nach Jahrzehnte­n der Untätigkei­t nun den angesagten Antifaschi­smus zu verkünden, hinterläss­t einen schalen Beigeschma­ck, wirkt theatralis­ch und verbleibt doch eher peinlicher Aktionismu­s. Fazit: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Ekkehard Nuffer, Weingarten

Zum Bericht „Ein Jahr Wartezeit auf Erbschein“(SZ vom 5. Dezember):

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