Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Leben in einer lebenswerten Stadt
Haben Sie Weihnachten heil überstanden? Oder war’s wie immer? Wenig Zeit für Besinnung, stattdessen Hektik und Stress im Vorfeld? Mit der Suche nach Geschenken, um die man sich wie jedes Jahr viel zu spät gekümmert hat? Mit Hamsterkäufen in hemmungslos überfüllten Lebensmittelgeschäften, die leer gekauft waren, als ob der Atomschlag einer feindlichen Macht unmittelbar bevorstünde? Mit dem Besuch eines Gottesdienstes in einer wie immer nur einmal im Jahr übervollen, dafür aber verlässlich eiskalten Kirche? Mit viel zu viel Essen, viel zu viel Verwandtschaftsbesuch, viel zu wenig Zeit für Ruhe?
All das ist jetzt vorbei. Die Geschenke sind umgetauscht, die zahllosen Gutscheine, die niemals eingelöst werden, in der Schreibtischschublade beinah vergessen. Vielleicht ist jetzt endlich Zeit für Besinnliches.
Blicken wir zurück auf ein Jahr, das Ravensburg leider viel zu viel schlechte Nachrichten brachte. Dabei geht es der Stadt und den meisten ihrer Bewohner doch so gut. Daher wollen wir zunächst ans Positive denken. Und nicht vergessen, dass diese Stadt nicht schrumpft. Der Bau neuer Kindertagesstätten ist hier genauso wichtig wie die Einrichtung neuer Seniorenunterkünfte. Die Wirtschaft floriert, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, lediglich der Mangel an Fachkräften drückt ein wenig aufs Gemüt der Dienstleister und Gewerbetreibenden. Ein Teilstück der B 30 Süd ist eröffnet, und zumindest zaghaft setzt sich in der Kommunalpolitik die Ansicht durch, dass Mobilität nicht mehr allein Autoverkehr sein kann, will man nicht im Lärm und Gestank ersticken.
Doch gerade bei den Themen Luft und Verkehr herrschte großes Zaudern im Ravensburg des Jahres 2018. Die Luft ist mit Schadstoffen belastet, das ist bewiesen, dennoch versucht die Stadtspitze die Verordnung eines Luftreinhalteplans zu verhindern. Denn die damit verbundenen Ansätze würden nicht nur teuer werden, sondern vor allem sind viele davon äußerst unpopulär. Weil sie in die (Auto-) Mobilität der Bürger eingreifen würden, wollte man wirklich eine Verbesserung der Luftqualität erreichen. Hier wäre eine Flucht nach vorne die weitaus zukunftsträchtigere Lösung: Dass man den Menschen klarmacht, dass es ein „Weiter so“nicht geben kann – außer man ist bereit zu akzeptieren, dass Luftverschmutzung die Menschen genauso krank machen und töten kann wie Verkehrsunfälle.
Auch die Idee, auf den Hauptstraßen der Stadt tagsüber Tempo 30 einzuführen, verwarf die Kommunalpolitik in diesem Jahr. Der Widerstand in der Bevölkerung war zu groß; man knickte ein. Natürlich, jeder Autofahrer ist genervt, wenn er nicht so schnell fahren kann, wie er will. Dennoch: Tempo 30 in Wohngebieten ist heute eine Selbstverständlichkeit; man kann kaum mehr glauben, dass dort noch vor nicht allzu langer Zeit 50 km/h gefahren werden durfte. Einen Versuch, ob Tempo 30 auf Durchgangsstraßen zu weniger Lärm und mehr Sicherheit führt, wäre es zumindest wert gewesen.
Aber es gab natürlich auch Geschehnisse 2018 in Ravensburg, die die Bevölkerung sehr aufwühlten und für die keine offiziellen Stellen verantwortlich gemacht werden können. In den zwei aufsehenerregendsten Fällen waren es einzelne Menschen, die einen gewaltigen Fehler begingen. Und die Ravensburg erschütterten.
Am 10. März zündete ein 40-jähriger Mann die Unterstadt-Kirche St. Jodok an. Der Sachschaden lag bei fast zwei Millionen Euro, die Kirchengemeinde war geschockt. Dutzende Feuerwehrleute taten alles, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen und ein Übergreifen auf weitere Altstadtgebäude zu verhindern. Der Brandstifter wurde gefasst und verurteilt. In St. Jodok sollen im Frühjahr 2019 wieder Gottesdienste gefeiert werden.
Kaum jemand versteht, dass ein Mensch eine Kirche anzündet. Und kaum ein Ravensburger hätte es für möglich gehalten, dass in unserer Stadt ein Mann auf dem Marienplatz am helllichten Tag drei Menschen niedersticht. Zwei Syrer und ein Deutscher wurden am 28. September bei der Messerattacke eines psychisch kranken Mannes aus Afghanistan lebensgefährlich verletzt. Auch hier gab es Menschen, die eingriffen, die den Täter stoppten und sich um die Opfer kümmerten. Doch viele, viel zu viele, sahen weg. Oder sahen hin – und filmten die Szenen mit dem Handy. Verhaltensweisen, die nur Kopfschütteln auslösen und fassungslos machen.
Tröstlich: Dass an dieser Stelle nur zwei schreckliche Straftaten erwähnt werden müssen, liegt daran, dass es ähnliche Vorfälle dieser Dimension 2018 in Ravensburg nicht gab. Die Stadt ist, abgesehen von an jedem Wochenende vorkommenden Schlägereien vor Clubs und Gaststätten, im Großen und Ganzen eine sichere Stadt. Eine Stadt, in der es sich gut leben lässt. Und in der viel Schönes geboten wird, auch 2019. Kommen Sie gut ins neue Jahr.