Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Leben in einer lebenswert­en Stadt

- Von Bernd Adler

Haben Sie Weihnachte­n heil überstande­n? Oder war’s wie immer? Wenig Zeit für Besinnung, stattdesse­n Hektik und Stress im Vorfeld? Mit der Suche nach Geschenken, um die man sich wie jedes Jahr viel zu spät gekümmert hat? Mit Hamsterkäu­fen in hemmungslo­s überfüllte­n Lebensmitt­elgeschäft­en, die leer gekauft waren, als ob der Atomschlag einer feindliche­n Macht unmittelba­r bevorstünd­e? Mit dem Besuch eines Gottesdien­stes in einer wie immer nur einmal im Jahr übervollen, dafür aber verlässlic­h eiskalten Kirche? Mit viel zu viel Essen, viel zu viel Verwandtsc­haftsbesuc­h, viel zu wenig Zeit für Ruhe?

All das ist jetzt vorbei. Die Geschenke sind umgetausch­t, die zahllosen Gutscheine, die niemals eingelöst werden, in der Schreibtis­chschublad­e beinah vergessen. Vielleicht ist jetzt endlich Zeit für Besinnlich­es.

Blicken wir zurück auf ein Jahr, das Ravensburg leider viel zu viel schlechte Nachrichte­n brachte. Dabei geht es der Stadt und den meisten ihrer Bewohner doch so gut. Daher wollen wir zunächst ans Positive denken. Und nicht vergessen, dass diese Stadt nicht schrumpft. Der Bau neuer Kindertage­sstätten ist hier genauso wichtig wie die Einrichtun­g neuer Seniorenun­terkünfte. Die Wirtschaft floriert, die Arbeitslos­igkeit ist niedrig, lediglich der Mangel an Fachkräfte­n drückt ein wenig aufs Gemüt der Dienstleis­ter und Gewerbetre­ibenden. Ein Teilstück der B 30 Süd ist eröffnet, und zumindest zaghaft setzt sich in der Kommunalpo­litik die Ansicht durch, dass Mobilität nicht mehr allein Autoverkeh­r sein kann, will man nicht im Lärm und Gestank ersticken.

Doch gerade bei den Themen Luft und Verkehr herrschte großes Zaudern im Ravensburg des Jahres 2018. Die Luft ist mit Schadstoff­en belastet, das ist bewiesen, dennoch versucht die Stadtspitz­e die Verordnung eines Luftreinha­lteplans zu verhindern. Denn die damit verbundene­n Ansätze würden nicht nur teuer werden, sondern vor allem sind viele davon äußerst unpopulär. Weil sie in die (Auto-) Mobilität der Bürger eingreifen würden, wollte man wirklich eine Verbesseru­ng der Luftqualit­ät erreichen. Hier wäre eine Flucht nach vorne die weitaus zukunftstr­ächtigere Lösung: Dass man den Menschen klarmacht, dass es ein „Weiter so“nicht geben kann – außer man ist bereit zu akzeptiere­n, dass Luftversch­mutzung die Menschen genauso krank machen und töten kann wie Verkehrsun­fälle.

Auch die Idee, auf den Hauptstraß­en der Stadt tagsüber Tempo 30 einzuführe­n, verwarf die Kommunalpo­litik in diesem Jahr. Der Widerstand in der Bevölkerun­g war zu groß; man knickte ein. Natürlich, jeder Autofahrer ist genervt, wenn er nicht so schnell fahren kann, wie er will. Dennoch: Tempo 30 in Wohngebiet­en ist heute eine Selbstvers­tändlichke­it; man kann kaum mehr glauben, dass dort noch vor nicht allzu langer Zeit 50 km/h gefahren werden durfte. Einen Versuch, ob Tempo 30 auf Durchgangs­straßen zu weniger Lärm und mehr Sicherheit führt, wäre es zumindest wert gewesen.

Aber es gab natürlich auch Geschehnis­se 2018 in Ravensburg, die die Bevölkerun­g sehr aufwühlten und für die keine offizielle­n Stellen verantwort­lich gemacht werden können. In den zwei aufsehener­regendsten Fällen waren es einzelne Menschen, die einen gewaltigen Fehler begingen. Und die Ravensburg erschütter­ten.

Am 10. März zündete ein 40-jähriger Mann die Unterstadt-Kirche St. Jodok an. Der Sachschade­n lag bei fast zwei Millionen Euro, die Kirchengem­einde war geschockt. Dutzende Feuerwehrl­eute taten alles, um das Feuer unter Kontrolle zu bringen und ein Übergreife­n auf weitere Altstadtge­bäude zu verhindern. Der Brandstift­er wurde gefasst und verurteilt. In St. Jodok sollen im Frühjahr 2019 wieder Gottesdien­ste gefeiert werden.

Kaum jemand versteht, dass ein Mensch eine Kirche anzündet. Und kaum ein Ravensburg­er hätte es für möglich gehalten, dass in unserer Stadt ein Mann auf dem Marienplat­z am helllichte­n Tag drei Menschen niederstic­ht. Zwei Syrer und ein Deutscher wurden am 28. September bei der Messeratta­cke eines psychisch kranken Mannes aus Afghanista­n lebensgefä­hrlich verletzt. Auch hier gab es Menschen, die eingriffen, die den Täter stoppten und sich um die Opfer kümmerten. Doch viele, viel zu viele, sahen weg. Oder sahen hin – und filmten die Szenen mit dem Handy. Verhaltens­weisen, die nur Kopfschütt­eln auslösen und fassungslo­s machen.

Tröstlich: Dass an dieser Stelle nur zwei schrecklic­he Straftaten erwähnt werden müssen, liegt daran, dass es ähnliche Vorfälle dieser Dimension 2018 in Ravensburg nicht gab. Die Stadt ist, abgesehen von an jedem Wochenende vorkommend­en Schlägerei­en vor Clubs und Gaststätte­n, im Großen und Ganzen eine sichere Stadt. Eine Stadt, in der es sich gut leben lässt. Und in der viel Schönes geboten wird, auch 2019. Kommen Sie gut ins neue Jahr.

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