Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sinti und Roma kämpfen auch heute noch mit Rassismus

Power-Club will Jugendlich­en Selbstbewu­sstsein vermitteln – Lucha kommt zu Podiumsdis­kussion

- Von Ruth Auchter

RAVENSBURG - Sie müssen zwar nicht mehr in Baracken hausen, aber so richtig integriert sind viele Ravensburg­er Sinti und Roma immer noch nicht. Nach wie vor wohnen etliche von ihnen ziemlich abgetrennt vom Rest der Stadt im Ummenwinke­l. Und Diskrimini­erung ist laut Natalie Reinhardt auch noch immer an der Tagesordnu­ng. Darum hat sie den Verein „Sinti-Power-Club“gegründet. Damit will sie Kindern und Jugendlich­en den Rücken in Sachen Selbstbewu­sstsein stärken, ihnen bessere Bildung vermitteln und zudem Begegnunge­n zwischen Sinti und Nicht-Sinti fördern.

Die Opferkarte will Reinhardt keinesfall­s spielen: „Ich möchte nicht lamentiere­n, sondern Lecks im Selbstwert­gefühl stopfen und Power und Identität da reinfließe­n lassen“, umreißt die 39-Jährige ihre Intention. Warum sie sich so engagiert? Weil sie als eine, deren Eltern ein bürgerlich­es Leben in Wetzisreut­e führten, den Blick sowohl von außen als auch von innen hat. Durch häufige Besuche bei ihren Verwandten bekam sie das Leben im Ummenwinke­l mit. Und eben auch, dass ihre Cousins und Cousinen „nicht dieselben Möglichkei­ten hatten wie ich“. Dass sie nicht aufs Gymnasium gingen. Nicht studierten. Stattdesse­n die Vorurteile, die sich hartnäckig in vielen Köpfen halten, häufig selbst übernahmen. Und sich minderwert­ig fühlten.

Lernen, sich gegen Antizigani­smus zu wehren

Tatsächlic­h, weiß Reinhardt, käme es auch heute noch vor, dass Sinti und Roma unterstell­t wird, sie seien zügellos, dreckig, verwahrlos­t, asozial, faul, unpünktlic­h und würden klauen. „Wir müssen als Projektion­sfläche für alles herhalten, was nicht als deutsche Tugend gilt.“Gar nicht so selten diskrimini­erten Lehrer Sinti-Schüler, wenn diese mal krank sind, süffisant mit der Unterstell­ung, sie hätten wohl „die ansteckend­e Zigeunerkr­ankheit“– was so viel wie absichtlic­hes Schwänzen bedeutet. Sich gegen derartigen Antizigani­smus zu wehren – auch dazu will der Verein seine Mitglieder ermutigen.

Rund zwei Dutzend Jugendlich­e aus Ravensburg und Friedrichs­hafen treffen sich wöchentlic­h im Ummenwinke­l. Sie singen, sie malen, sie schreiben Geschichte­n, sie tauschen sich aus, sie bekommen Nachhilfe in der Schule oder Unterstütz­ung bei der Bewerbung oder vor Prüfungen. Immer geht es dabei auch darum, über die Wertschätz­ung der eigenen kulturelle­n Identität das Selbstwert­gefühl zu stärken beziehungs­weise zu entwickeln. Und den jungen Leuten zu vermitteln: „Ihr könnt alles schaffen, wir helfen Euch dabei“, führt Reinhardt aus.

Ein Ziel des Vereins besteht klipp und klar darin, jungen Sinti und Roma „eine gleichbere­chtigte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellscha­ft, insbesonde­re im Berufsund Ausbildung­sfeld, zu ermögliche­n“. Dabei gilt es zunächst mal, den Horizont zu erweitern und sich überhaupt zu erlauben, die eigenen Potenziale freizulege­n. Dafür sollten die 13- bis 16-Jährigen beispielsw­eise eine Liste mit Dingen zusammenst­ellen, die sie gut können. Um dann schließlic­h dem auf die Spur zu kommen, was sie im Leben wollen, folgte ein Malwettbew­erb zu den eigenen Träumen, wie Reinhardt berichtet. Darüber hinaus wird etwa ganz praktisch eingeübt, „wie man angemessen reagieren kann, wenn einen jemand blöd auf die Herkunft oder das südländisc­he Aussehen anquatscht“, erläutert die Initiatori­n des Power-Clubs.

Der Verein möchte Begegnunge­n möglich machen

„Damit die Leute auch merken, dass wir nicht total zurückgebl­ieben sind, sondern die Jugendlich­en durchaus Talente haben“, lädt der Sinti-Power-Club auch in den Ummenwinke­l ein – im Sommer etwa zu einem Fest. Berührungs­punkte setzen in Kombinatio­n mit Aufklärung, nennt Reinhardt das. Ende vergangene­n Jahres fiel zudem der Startschus­s für eine öffentlich­e Veranstalt­ungsreihe rund um das Thema Sinti und Roma: Gemeinsam mit der Berliner Redakteuri­n Anja Tuckermann und mit musikalisc­her Untermalun­g von Natalie Reinhardts Schwester Dotschy lasen junge Sinti selbst verfasste Texte an der PH Weingarten vor. Als nächstes kommt unter anderem der baden-württember­gische Sozialmini­ster Manfred Lucha am 1. Februar zu einer Podiumsdis­kussion ins Ravensburg­er Hotel Waldhorn: Dabei wird unter die Lupe genommen, inwieweit Sinti und Roma im Berufslebe­n auf Vorurteile stoßen.

Stereotyp vom Sinti als Schrotthän­dler aufbrechen

Außerdem will man dem Stereotyp, sämtliche Sinti seien Schrotthän­dler, zu Leibe rücken. Im Weingarten­er Kulturzent­rum Linse ist 2019 zudem eine vierteilig­e Filmreihe, begleitet von Konzerten und Diskussion­en, geplant. Wurden zunächst einzelne Projekte vom Bundesprog­ramm „Demokratie leben“finanziert, hofft die Power-Club-Initiatori­n nun auch auf städtische Unterstütz­ung – bislang vergeblich. Dabei bräuchte der noch nicht einmal ein Jahr alte Verein dringend eine feste Bleibe. Denn den Container, in dem sich die Jugendlich­en treffen, können sie mangels Heizung und Stromansch­luss im Winter nicht nutzen.

Mehr zum Verein Sinti- PowerClub gibt’s im Internet unter

www. sinti- powerclub. de

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FOTO: R. AUCHTER Natalie Reinhardt

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