Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Bundestrainer muss liefern
Christian Prokop hat nach der verpatzten EM an sich gearbeitet – Heim-WM als Chance
BERLIN (SID) - Das Thema Handball schob Christian Prokop am Montag zum letzten Mal für die nächsten Wochen komplett beiseite. Der Bundestrainer tankte Kraft im Kreise seiner Liebsten und genoss die letzten freien Stunden mit Ehefrau Sabrina und den Kindern Anna und Luca. „Ich schalte noch einmal kurz ab und werde dann mit Schwung nach Berlin kommen“, sagte Prokop.
Mit der Anreise in die Hauptstadt am Dienstag taucht der HandballBundestrainer voll in den WM-Tunnel ein. Vom Erfolg seiner MedaillenMission ist Prokop besessen, doch er hat aus den bitteren Erfahrungen seiner Turnier-Premiere vor einem Jahr gelernt. Mit unveränderter Akribie, aber neuer Lockerheit begegnet er dem massiven Erfolgsdruck bei der Heim-WM, ab dem Eröffnungsspiel gegen ein vereintes Team Korea am Donnerstag (18.15 Uhr/ZDF) mit seinem Team vor einem Millionen-Publikum liefern zu müssen.
„Es ist eine ganz wichtige Lehre aus der EM, dass man die sogenannten Offline-Phasen bewusster nutzt, um frischer durch das Turnier zu gehen“, sagte Prokop. Kleine Fluchten wird er sich auch während des Turniers gönnen. „Aus der Familiengruppe in WhatsApp melde ich mich wegen der WM nicht ab“, sagte Prokop. Außerdem werde er versuchen, mit Joggingrunden rund ums Teamhotel und kurzen Saunagängen immer wieder „kleine Pausen“einzulegen.
„PS jetzt auf die Straße bringen“
Nach Platz neun in Kroatien im vergangenen Jahr bei der EM soll nun alles besser werden. Dafür hat Prokop nicht bloß seine Freizeitgestaltung umgekrempelt. Der gebürtige Köthener – in der Szene als detailverliebter Handball-Professor mit Hang zum Perfektionismus von vielen geschätzt, von einigen belächelt – zeigte sich bei der Aufarbeitung des EMDebakels sehr selbstkritisch. In einigen Punkten veränderte er seine Arbeitsweise sogar grundlegend.
„Ich fühle mich wohl in der Haut, in der ich gerade stecke, und ich bin dankbar über die Möglichkeit, es mit diesem Team erneut anzugehen und mich hoffentlich positiv beweisen zu können“, sagte Prokop. Es seien jetzt „ganz andere Voraussetzungen“als im Januar 2018.
Im Umgang mit Andreas Wolff und seinen anderen Spielern ist Prokop kommunikativer und offener geworden – und hat so Schritt für Schritt das Team wieder hinter sich versammelt. „Ich denke, er hat sich selbst reflektiert und vor allem seine guten Seiten noch einmal verbes- sert“, sagte Keeper Wolff. In den Tagen vor dem Turnier erlebe er ihn „sehr fokussiert und souverän, aber gleichzeitig nicht nervös“. DHB-Vizepräsident Bob Hanning betonte: „Er hat nun die Sicherheit, die Mannschaft hinter sich zu wissen.“
Der Druck ist dennoch groß: „Dieser ganze Sperrmüll der EM muss aus den Köpfen raus. Wir haben jetzt Benzin aufgefüllt und die Reifen gewechselt. Deswegen erwarte ich, dass wir die positive Energie, die wir zuletzt aufgeladen haben, nun auch umsetzen“, sagte Hanning und nannte das Erreichen des Halbfinales in Hamburg als klares Ziel. „Die Mannschaft und der Trainer müssen ihre PS jetzt auf die Straße bringen, um ein großes Rennen zu fahren.“
Prokop holt sich für die WM Rat von Weltmeister-Trainer Heiner Brand, außerdem arbeitet er mit einem Mentalcoach zusammen. Die große Prüfung steht Prokop, der am 24. Dezember seinen 40. Geburtstag feierte, aber nun bevor. Erst in Stresssituationen, die es seit dem Systemabsturz beim EM-Hauptrundenaus gegen Spanien (27:31) nicht mehr gab, wird sich zeigen, wie es um den neuen Geist in der deutschen Mannschaft bestellt ist.
Hinter Prokop liegt ein aufregendes Jahr als DHB-Coach. Er wurde als „Nagelsmann des Handballs“gefeiert, ehe er nach EM-Platz neun heftige Kritik einstecken musste. Die Vergangenheit ist abgehakt, am Dienstag beginnt eine neue Zeitrechnung – der Bundestrainer ist bereit.