Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wie der Shutdown den Alltag der Amerikaner betrifft
Eigentlich wäre es nur eine Formalie gewesen. Claire O’Rourke und Sam Bockenhauer wollten heiraten, und dazu brauchten sie vom Marriage Bureau, der für Eheschließungen zuständigen Behörde der Stadt Washington, einen amtlichen Schein. So eine EheUrkunde kann man online beantragen, reine Formsache, nichts, womit sich angehende Hochzeitspaare lange aufhalten. Als O’Rourke es erledigen wollte, folgte ein böses Erwachen. Wegen des Verwaltungsstillstands war das Büro für Hochzeiten geschlossen.
Da die Hauptstadt direkt dem Bund unterstellt ist, ist auch ihr Marriage Bureau vom Shutdown betroffen. Am Samstag wollen sie feiern, mit 140 geladenen Gästen in einem Hotel in Washingtons Chinatown. Falls es bis dahin nichts wird mit der Urkunde, ist die Hochzeit streng genommen nicht rechtens.
Ein Viertel des Regierungsapparats bleibt geschlossen. Rund 800 000 Angestellte der amerikanischen Bundesregierung dürfen derzeit nicht arbeiten, weil sich das Parlament nicht darauf einigen kann, durch ein kurzfristiges Haushaltsgesetz Geld für ihre Bezahlung zu bewilligen. In der Nacht auf Mittwoch wollte sich US-Präsident Donald Trump in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung wenden. Falls Demokraten und Republikaner bis Freitag keinen Kompromiss schließen, wird es der längste Shutdown in der US-Geschichte sein.
Mit jedem Tag wird deutlicher, was der Streit im Alltag für Folgen hat. In den Nationalparks quellen die Papierkörbe über. Die Steuerbehörde mit ihren Bundesfinanzämtern arbeitet nur noch mit gut einem Zehntel ihrer Belegschaft: Sie nimmt zwar Zahlungen entgegen, weist aber keine Rückerstattungen an.
Bruce Rohwer, ein Farmer, der in Iowa Mais und Sojabohnen anbaut, hat theoretisch einen Anspruch auf Entschädigungszahlungen, seit die USA und China im Handelspoker Zollschranken aufstellen. Verluste, die er erleidet, da ihm der für Sojaexporte so wichtige chinesische Markt weggebrochen ist, wird ihm der Staat weitgehend ersetzen. Nur kann das Landwirtschaftsministerium seinen Antrag nicht bearbeiten. Wann der Bauer das Geld bekommt, steht in den Sternen.
Von rechten Publizisten getrieben
Trump hatte den Shutdown provoziert, indem er auf dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko beharrte, nachdem sich im Kongress bereits eine Verständigung abgezeichnet hatte. Der Präsident ließ den Deal platzen, nachdem rechte Publizisten wie die schrille Kommentatorin Ann Coulter und der Radiotalker Rush Limbaugh, ihn als Weichei kritisiert hatten. Auch um Coulter und Limbaugh den Wind aus den Segeln zu nehmen, rüstete er rhetorisch auf. Es gipfelte, am vergangenen Freitag, in dem Satz, er werde die Regierung für Monate oder gar Jahre dicht machen, sollten ihm die Demokraten beim Mauerbau nicht entgegenkommen. Nun folgt, für den Moment jedenfalls, eine Phase verbalen Abrüstens. Am Montag sprach Trump statt von einer Mauer von einer Stahlbarriere, die es auszubauen gelte. Stahl, twitterte er, sei ohnehin robuster und weniger aufdringlich als Beton. Auf ungefähr einem Drittel der 3144 Kilometer langen Grenze zwischen Pazifik und dem Golf von Mexiko gibt es schon heute Hindernisse aus Metall. Mal sind es Wellblechteile, mal Stangen, die man dicht an dicht nebeneinandergestellt hat. Trump will sie um rund 380 Kilometer verlängern, wofür er vom Kongress 5,7 Milliarden Dollar verlangt.
Allerdings wächst auch auf ihn der Druck. Nach Tagen schweigsamer Zurückhaltung fordern inzwischen auch republikanische Senatoren ein Ende der Kraftprobe.