Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Das Jahr so jung und die reizvollen Kulturangebote schon wieder so zahlreich? Was werden wir 2019 alles verpassen? Nur nicht jagen lassen. Auch darum geht es im aktuellen Roman des Tübinger Autors Joachim Zelter. Der Titel „Im Feld“hört sich fast nach Krieg an. Zelter, selbst ambitionierter Rennradler, treibt das Massenhobby in eine entlarvende Richtung. Sein Romanheld gerät durch Zufall in den Himmelfahrts-Ausflug eines Radvereins. Rastlos geht es zu im Peloton, Tempo wird gemacht, die Leistung muss stimmen. Etappe für Etappe. Bald schon ist klar: Diese Radler werden zum Bild einer ganzen überdrehten Gesellschaft. Treten, immer treten – in alle Richtungen. Der Sog des „immer weiter“wird zur Besessenheit. Bloß keine Blöße geben, mindestens mithalten. Die Radlergruppe des Romans wird zur dauerstrampelnden Gemeinschaft, der der Gegenwind ständig entgegenweht. Zelter stellt seine starke Parabel am 17. Januar in der Stadtbücherei Tettnang vor.
„Des um uns rum nehm wir goar nit wahr. Das Leben soll doch a Freid sein und koa Qual“, singen Pam Pam Ida in einem ihrer neuen Songs und behandeln das Thema von ganz anderer Seite. Mit „Flug zum Mond“überholen sich die neuen bayerischen Folkpophelden schon wieder selbst. Auch so eine Steigerung ins noch Größere. Aber herzerweichend, erhebend, zum heulen schön. Die neue CD ist raus, „Sauber“. 14 frische Songs, die Sucht nach diesem großspurigen Klang mit seinen melankomischen Texten wird befriedigt. Weiterhin fühlen sich die sechs Herren aus dem Altmühltal wohl zwischen Ironie und Ernst, Kunst und Komik. Warum liebt alle Welt Pam Pam Ida mit diesem begnadeten Sänger? Vielleicht, weil Andy Eckert die hintersten Winkel unserer Herzen auszuleuchten vermag. Wird er auch am 17. Januar im Roxy Ulm machen – „Den Wahnsinn lasma gschmeidig hinter uns, was interessiert uns Hinz und Kunz“. Einen Tag später im Kulturladen Konstanz: „Pussy Riot“, das KunstKollektiv aus Moskau. Weltweite Aufmerksamkeit erhielt dessen provokante Aktion in der dortigen Erlöserkathedrale 2012. Der Protest gegen die Verbindung zwischen Präsident Putin und russisch-orthodoxer Kirche brachte drei Aktivistinnen ins Gefängnis. Aktuell touren Pussy Riot mit der Bühnenshow „Riot Days“, die auf einem Buch Maria Alyokhinas basiert und ihre Geschichte mit dem Kollektiv erzählt. Theatrale Szenen und punkige Sounds gehen ineinander, Alyokhina ist ebenso dabei wie Kiryl Masheka (Gesang). Außerdem das Duo „Awott“als Darsteller, Sänger, an Saxophon und Keyboard. Wie bei einer extremen Show normal, existieren unterschiedlichste Bewertungen. Es wird „ein kraftvoll-anarchistische Plädoyer für den Widerstand in einer rechts-populistischen, nationalistischen Welt“(Mousonturm Frankfurt) gelobt. Andere erkannten nur noch ein fades Bühnen-Happening, das den politischen Protest zur ästhetisierten Aktion degradiert.
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