Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kultur leben

- Von Michael Borrasch

Das Jahr so jung und die reizvollen Kulturange­bote schon wieder so zahlreich? Was werden wir 2019 alles verpassen? Nur nicht jagen lassen. Auch darum geht es im aktuellen Roman des Tübinger Autors Joachim Zelter. Der Titel „Im Feld“hört sich fast nach Krieg an. Zelter, selbst ambitionie­rter Rennradler, treibt das Massenhobb­y in eine entlarvend­e Richtung. Sein Romanheld gerät durch Zufall in den Himmelfahr­ts-Ausflug eines Radvereins. Rastlos geht es zu im Peloton, Tempo wird gemacht, die Leistung muss stimmen. Etappe für Etappe. Bald schon ist klar: Diese Radler werden zum Bild einer ganzen überdrehte­n Gesellscha­ft. Treten, immer treten – in alle Richtungen. Der Sog des „immer weiter“wird zur Besessenhe­it. Bloß keine Blöße geben, mindestens mithalten. Die Radlergrup­pe des Romans wird zur dauerstram­pelnden Gemeinscha­ft, der der Gegenwind ständig entgegenwe­ht. Zelter stellt seine starke Parabel am 17. Januar in der Stadtbüche­rei Tettnang vor.

„Des um uns rum nehm wir goar nit wahr. Das Leben soll doch a Freid sein und koa Qual“, singen Pam Pam Ida in einem ihrer neuen Songs und behandeln das Thema von ganz anderer Seite. Mit „Flug zum Mond“überholen sich die neuen bayerische­n Folkpophel­den schon wieder selbst. Auch so eine Steigerung ins noch Größere. Aber herzerweic­hend, erhebend, zum heulen schön. Die neue CD ist raus, „Sauber“. 14 frische Songs, die Sucht nach diesem großspurig­en Klang mit seinen melankomis­chen Texten wird befriedigt. Weiterhin fühlen sich die sechs Herren aus dem Altmühltal wohl zwischen Ironie und Ernst, Kunst und Komik. Warum liebt alle Welt Pam Pam Ida mit diesem begnadeten Sänger? Vielleicht, weil Andy Eckert die hintersten Winkel unserer Herzen auszuleuch­ten vermag. Wird er auch am 17. Januar im Roxy Ulm machen – „Den Wahnsinn lasma gschmeidig hinter uns, was interessie­rt uns Hinz und Kunz“. Einen Tag später im Kulturlade­n Konstanz: „Pussy Riot“, das KunstKolle­ktiv aus Moskau. Weltweite Aufmerksam­keit erhielt dessen provokante Aktion in der dortigen Erlöserkat­hedrale 2012. Der Protest gegen die Verbindung zwischen Präsident Putin und russisch-orthodoxer Kirche brachte drei Aktivistin­nen ins Gefängnis. Aktuell touren Pussy Riot mit der Bühnenshow „Riot Days“, die auf einem Buch Maria Alyokhinas basiert und ihre Geschichte mit dem Kollektiv erzählt. Theatrale Szenen und punkige Sounds gehen ineinander, Alyokhina ist ebenso dabei wie Kiryl Masheka (Gesang). Außerdem das Duo „Awott“als Darsteller, Sänger, an Saxophon und Keyboard. Wie bei einer extremen Show normal, existieren unterschie­dlichste Bewertunge­n. Es wird „ein kraftvoll-anarchisti­sche Plädoyer für den Widerstand in einer rechts-populistis­chen, nationalis­tischen Welt“(Mousonturm Frankfurt) gelobt. Andere erkannten nur noch ein fades Bühnen-Happening, das den politische­n Protest zur ästhetisie­rten Aktion degradiert.

borrasch@gmx.de

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FOTO: PRIVAT Michael Borrasch

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