Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bodnegg will NS-Zeit aufarbeiten
Bild von Nazi-Bürgermeister wird mit Kommentierung aufgehängt.
BODNEGG - Das Gesicht des Bodnegger Nazi-Bürgermeisters Anton Blaser wird im Sitzungssaal des Bodnegger Gemeinderats wieder zu sehen sein – allerdings nicht als Foto mit Passepartout und dem Charakter einer Ehrung, sondern Anton Blaser in Uniform und einem begleitenden Text. Außerdem soll die nationalsozialistische Vergangenheit der Gemeinde im Gesamten aufgearbeitet werden. Das hat der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung einstimmig beschlossen.
Seit der Veröffentlichung des SZArtikels „Die ,Judenfamilie’ sollte raus aus dem Dorf“vom 7. November 2018 basierend auf einer Arbeit des Ravensburger Historikers Wolf-Ulrich Strittmatter über das Schicksal einer zur Katholikin konvertierten Jüdin und die Machenschaften des von den Nationalsozialisten eingesetzten Bürgermeisters Anton Blaser, lässt das Thema NS-Vergangenheit Bodnegg nicht mehr los. Der Gemeinderat beschloss in seiner Sitzung vom 9. November sogar, das Foto aus der Galerie der Bürgermeister im Sitzungssaal zu entfernen. Dem Mann sollte keinerlei Würdigung mehr zukommen. Doch was sollte stattdessen aufgehängt werden? Das wurde seither diskutiert.
Ein Foto ist Dokumentation
Der Gemeinderat machte es sich nicht leicht mit seiner Entscheidung. Es wurde viel, zielführend und konstruktiv diskutiert. Den Räten war es wichtig, das Richtige zu tun und ein klares Zeichen zu setzen. Sollen wirklich die Namen der Opfer genannt werden? Soll wirklich nochmal ein Bild von Blaser aufgehängt werden oder bekommt er so wieder eine Würdigung? Als Experten hatte der Gemeinderat den Historiker Wolf-Ulrich Strittmatter, der die Person Blaser erforscht hat, und Uwe Hertrampf, Vorsitzender des Denkstättenkuratoriums NS-Dokumentation Oberschwaben, eingeladen.
Beide bestärkten den Gemeinderat auf seinem Weg und plädierten für ein Foto von Blaser zum kommentierenden Text. „Das ist eine Dokumentation und dazu gehört ein Foto“, so Hertrampf. Das Foto solle zeigen, dass Blaser ein Mensch war und kein Monster. Die Entwicklung zum Nazi sei eine schleichende gewesen, das müsse man sich mit Blick auf die Tagespolitik klar machen. Auch plädierten beide für die Namensnennung der Opfer. „Wir müssen uns auch vor Augen halten, für wen wir das machen: für die jüngeren Generationen“, sagte Hertrampf. „Durch Namen wird die Sache konkret. Es muss plastisch und anschaulich sein. Sonst kommen gerade in der heutigen Zeit Fragen auf wie: Stimmt das überhaupt? Hat es das überhaupt gegeben? Auch beim Thema Euthanasie gehört der Name dazu, der Name gehört zur Menschenwürde.“
„Ich habe große Hochachtung vor Ihrer entschiedenen Haltung“, lobte Strittmatter. Er machte auch klar, dass es nicht nur um ein Bild geht. Solche Bilder hätten in ihrer Aufmachung immer den Charakter einer Ehrung. Auch im Ravensburger Rathaus hängt ein Gemälde von Oberbürgermeister Rudolf Walzer, der während des Dritten Reichs im Amt war. „Auch da könnte man überlegen, ob man eine Kommentierung anbringen sollte.“Laut den Recherchen Strittmatters war Blaser kein einfacher Parteifunktionär gewesen. „Er war gehorsam, übereifrig. Blaser musste wissen, was passiert, wenn er jemanden bei der Gestapo in Friedrichshafen meldet“, so Strittmatter. Blaser sei Mittäter und Denunziant, der die nationalsozialistische Idee umsetzen wollte. Er ließ auch Helfer der als „jüdisch versippt“geltenden Bodnegger Familie Schrempp im NSDAP-Hetzblatt Stürmer namentlich veröffentlichen. „So wie sich Blaser als Bürgermeister verhalten hat, war es in der Gegend einmalig.“
Einig war man sich im Rat auch, dass mit dem Abhängen des Bildes noch nicht Schluss sein soll. Bodneggs Bürgermeister Christof Frick berichtete, dass auch die katholische Kirchengemeinde plane, einen Gedenkstein für die NS-Opfer zu errichten. Er habe bereits angemerkt, dass es sinnvoll wäre, wenn sich Kirchengemeinde und politische Gemeinde zusammentäten. Dazu könnte ein Arbeitskreis gegründet werden, der sich des Themas annimmt. Rudi Blöchl (Mensch und Umwelt)
war es wichtig, dass möglichst schnell damit begonnen wird. „Vielleicht durch einen ersten Vortrag mit grundlegenden Informationen“, sagte er. Wolfgang Legner und Rudolf Stör (beide Aktiv für Bodnegg) erinnerten daran, den Teilort Rosenharz nicht zu vergessen. Auch dort hat es Opfer des Euthanasie-Programms der Nazis gegeben, in dem Menschen mit Behinderung getötet wurden.
Versöhnung durch Aussprechen
Daniel Rheinländer (Mensch und Umwelt) könnte sich in Bodnegg sogenannte Stolpersteine, wie es sie unter anderem in Ravensburg gibt, vorstellen und wünscht sich, dass die Schule miteinbezogen wird. „Das ist eine Chance, die man nutzen muss“, sagte er. Hubert Bröhm (Freie Wähler) war es wichtig, dass nicht die Täter im Mittelpunkt stehen, sondern die Vergangenheit im Gesamten.
Uwe Hertrampf gab dem Gemeinderat eine Botschaft mit auf den Weg – gerade vor dem Hintergrund der Bedenken, die es im Ort bei dem Thema Aufarbeitung gibt: „Heute ist niemand mehr Schuld an dem, was damals passiert ist. Versöhnung gibt es aber nur durch Aussprechen. Und Versöhnung gibt es nicht umsonst.“
Ein Gespräch mit dem Historiker Wolf-Ulrich Strittmatter im Video finden Sie unter www.schwäbische.de/ns-zeit-bodnegg