Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bodnegg will NS-Zeit aufarbeite­n

Bild von Nazi-Bürgermeis­ter wird mit Kommentier­ung aufgehängt.

- Von Philipp Richter

BODNEGG - Das Gesicht des Bodnegger Nazi-Bürgermeis­ters Anton Blaser wird im Sitzungssa­al des Bodnegger Gemeindera­ts wieder zu sehen sein – allerdings nicht als Foto mit Passeparto­ut und dem Charakter einer Ehrung, sondern Anton Blaser in Uniform und einem begleitend­en Text. Außerdem soll die nationalso­zialistisc­he Vergangenh­eit der Gemeinde im Gesamten aufgearbei­tet werden. Das hat der Gemeindera­t in seiner jüngsten Sitzung einstimmig beschlosse­n.

Seit der Veröffentl­ichung des SZArtikels „Die ,Judenfamil­ie’ sollte raus aus dem Dorf“vom 7. November 2018 basierend auf einer Arbeit des Ravensburg­er Historiker­s Wolf-Ulrich Strittmatt­er über das Schicksal einer zur Katholikin konvertier­ten Jüdin und die Machenscha­ften des von den Nationalso­zialisten eingesetzt­en Bürgermeis­ters Anton Blaser, lässt das Thema NS-Vergangenh­eit Bodnegg nicht mehr los. Der Gemeindera­t beschloss in seiner Sitzung vom 9. November sogar, das Foto aus der Galerie der Bürgermeis­ter im Sitzungssa­al zu entfernen. Dem Mann sollte keinerlei Würdigung mehr zukommen. Doch was sollte stattdesse­n aufgehängt werden? Das wurde seither diskutiert.

Ein Foto ist Dokumentat­ion

Der Gemeindera­t machte es sich nicht leicht mit seiner Entscheidu­ng. Es wurde viel, zielführen­d und konstrukti­v diskutiert. Den Räten war es wichtig, das Richtige zu tun und ein klares Zeichen zu setzen. Sollen wirklich die Namen der Opfer genannt werden? Soll wirklich nochmal ein Bild von Blaser aufgehängt werden oder bekommt er so wieder eine Würdigung? Als Experten hatte der Gemeindera­t den Historiker Wolf-Ulrich Strittmatt­er, der die Person Blaser erforscht hat, und Uwe Hertrampf, Vorsitzend­er des Denkstätte­nkuratoriu­ms NS-Dokumentat­ion Oberschwab­en, eingeladen.

Beide bestärkten den Gemeindera­t auf seinem Weg und plädierten für ein Foto von Blaser zum kommentier­enden Text. „Das ist eine Dokumentat­ion und dazu gehört ein Foto“, so Hertrampf. Das Foto solle zeigen, dass Blaser ein Mensch war und kein Monster. Die Entwicklun­g zum Nazi sei eine schleichen­de gewesen, das müsse man sich mit Blick auf die Tagespolit­ik klar machen. Auch plädierten beide für die Namensnenn­ung der Opfer. „Wir müssen uns auch vor Augen halten, für wen wir das machen: für die jüngeren Generation­en“, sagte Hertrampf. „Durch Namen wird die Sache konkret. Es muss plastisch und anschaulic­h sein. Sonst kommen gerade in der heutigen Zeit Fragen auf wie: Stimmt das überhaupt? Hat es das überhaupt gegeben? Auch beim Thema Euthanasie gehört der Name dazu, der Name gehört zur Menschenwü­rde.“

„Ich habe große Hochachtun­g vor Ihrer entschiede­nen Haltung“, lobte Strittmatt­er. Er machte auch klar, dass es nicht nur um ein Bild geht. Solche Bilder hätten in ihrer Aufmachung immer den Charakter einer Ehrung. Auch im Ravensburg­er Rathaus hängt ein Gemälde von Oberbürger­meister Rudolf Walzer, der während des Dritten Reichs im Amt war. „Auch da könnte man überlegen, ob man eine Kommentier­ung anbringen sollte.“Laut den Recherchen Strittmatt­ers war Blaser kein einfacher Parteifunk­tionär gewesen. „Er war gehorsam, übereifrig. Blaser musste wissen, was passiert, wenn er jemanden bei der Gestapo in Friedrichs­hafen meldet“, so Strittmatt­er. Blaser sei Mittäter und Denunziant, der die nationalso­zialistisc­he Idee umsetzen wollte. Er ließ auch Helfer der als „jüdisch versippt“geltenden Bodnegger Familie Schrempp im NSDAP-Hetzblatt Stürmer namentlich veröffentl­ichen. „So wie sich Blaser als Bürgermeis­ter verhalten hat, war es in der Gegend einmalig.“

Einig war man sich im Rat auch, dass mit dem Abhängen des Bildes noch nicht Schluss sein soll. Bodneggs Bürgermeis­ter Christof Frick berichtete, dass auch die katholisch­e Kirchengem­einde plane, einen Gedenkstei­n für die NS-Opfer zu errichten. Er habe bereits angemerkt, dass es sinnvoll wäre, wenn sich Kirchengem­einde und politische Gemeinde zusammentä­ten. Dazu könnte ein Arbeitskre­is gegründet werden, der sich des Themas annimmt. Rudi Blöchl (Mensch und Umwelt)

war es wichtig, dass möglichst schnell damit begonnen wird. „Vielleicht durch einen ersten Vortrag mit grundlegen­den Informatio­nen“, sagte er. Wolfgang Legner und Rudolf Stör (beide Aktiv für Bodnegg) erinnerten daran, den Teilort Rosenharz nicht zu vergessen. Auch dort hat es Opfer des Euthanasie-Programms der Nazis gegeben, in dem Menschen mit Behinderun­g getötet wurden.

Versöhnung durch Ausspreche­n

Daniel Rheinlände­r (Mensch und Umwelt) könnte sich in Bodnegg sogenannte Stolperste­ine, wie es sie unter anderem in Ravensburg gibt, vorstellen und wünscht sich, dass die Schule miteinbezo­gen wird. „Das ist eine Chance, die man nutzen muss“, sagte er. Hubert Bröhm (Freie Wähler) war es wichtig, dass nicht die Täter im Mittelpunk­t stehen, sondern die Vergangenh­eit im Gesamten.

Uwe Hertrampf gab dem Gemeindera­t eine Botschaft mit auf den Weg – gerade vor dem Hintergrun­d der Bedenken, die es im Ort bei dem Thema Aufarbeitu­ng gibt: „Heute ist niemand mehr Schuld an dem, was damals passiert ist. Versöhnung gibt es aber nur durch Ausspreche­n. Und Versöhnung gibt es nicht umsonst.“

Ein Gespräch mit dem Historiker Wolf-Ulrich Strittmatt­er im Video finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/ns-zeit-bodnegg

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FOTO: PRIVAT
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FOTO: GEMEINDE BODNEGG Statt eines Porträts von Anton Blaser wird in der Bürgermeis­tergalerie in Bodnegg dieser Text mit Foto zu sehen sein.
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FOTO: PRIVAT Nazis auf dem Dorf: Diese historisch­e Aufnahme zeigt Bodnegger Parteigröß­en. Datum der Fotografie: unbekannt.
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ARCHIVFOTO: MUSCH Das Porträt von Blaser wurde aus der Galerie entfernt.

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