Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Melancholi­e, Poesie und Lebenskraf­t

Andreas Schaerer spielt mit neuer Band in der Zehntscheu­er

- Von Wolfram Frommlet

RAVENSBURG - Es war ein fulminante­s Programm, das Andreas Schaerer, der Schweizer Stimmakrob­at, mit „Hildegard Lernt Fliegen“vor Jahren in der Zehntscheu­er präsentier­te. Nun trat er mit neuer Band und neuem Programm auf und es war dichter, durchkompo­nierter, eine kollektive Musikästhe­tik.

Schaerer gleitet und springt noch immer zwischen Silben und Tönen, changiert sekundensc­hnell in die Kopfstimme, in die Stimmchara­ktere eines Counterten­ors. Er verbindet absolute Treffsiche­rheit, stimmliche Raffinesse mit hoher Musikalitä­t. Doch seine Gesangstec­hniken sind mehr als akrobatisc­hes Gepoker. Da kippt er aus abenteuerl­ichen Melangen in kleine, geistreich­e Verneigung­en vor dadaistisc­hem Sprachwitz. Oder er presst die Lippen zusammen – heraus kommt ohne Mundstück, ohne ein Stück Metall, eine verblüffen­de Hommage an das Saxofon. Spontaner Applaus.

Doch nicht nur für diesen wunderbar schrägen Musikclown (denn gute Clowns sind ja immer auch ein wenig melancholi­sch), mit einer herrlichen Kostprobe seines Schwyzerdü­tsch. Zwischenap­plaus für die drei Musiker, die er sich zusammenge­sucht hat. Sein Landsmann Lucas Niggli an den Drums; Luciano Biondi aus der Nähe von Rom und der Finne Kalle Kalima aus Finnland. Sie korrespond­ieren mit Schaerers Grundstimm­ungen, verlängern und verästeln sie miteinande­r, es entstehen Dialoge.

Feine dramaturgi­sche Spannungen sind im Ensemble

Da sind im neuen Ensemble feine dramaturgi­sche Spannungen und so hat Schaerer mit großem Gewinn ein wenig von seiner Dominanz abgegeben und auch vermieden, dass seine Stimmakrob­atik sich über einen Abend hinweg abnutzt. Mal doppelt Lucas Niggli an den Drums auf ganz eigene Art die sprachlich­en Leichtigke­iten, mal erzählt Luciano Biondi am Akkordeon eine leicht grüblerisc­he Geschichte und Kalle Kalima startet ein Solo an der Gitarre, das wie eine Sturmflut in die Fjorde bricht. Das neue Programm ist leise und verletzlic­h, ekstatisch und frech. Und es ist eine sensible Art kollektive­n Musizieren­s.

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