Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Frau mit der Ohrfeige wird 80 Jahre alt

- Von Christine Longin, Paris

Gemeinsam mit ihrem Mann spürte Beate Klarsfeld Naziverbre­cher wie Klaus Barbie auf. An diesem Mittwoch wird die Berlinerin 80 Jahre alt.

„Sind Sie Engländeri­n?“Mit dieser Frage, gestellt im Mai 1960 an der Pariser Metro-Station Porte de Saint-Cloud, ändert sich auf einen Schlag das Leben von Beate Künzel. Die 21-Jährige, gerade erst als Aupair-Mädchen aus Berlin in der schicken französisc­hen Hauptstadt angekommen, trifft auf Serge Klarsfeld, einen jüdischen Historiker. Er, dessen Vater in Auschwitz ermordet wurde, bringt der jungen Deutschen die Verbrechen der Nazis ins Bewusstsei­n. „Ein Jude und eine Deutsche: Ihr seid ein außergewöh­nliches Paar“, sagt der Bürgermeis­ter bei der Trauung 1963.

Seinen Kampf gegen das Vergessen nimmt dieses Paar 1967 auf, nachdem Beate wegen eines Artikels über die Nazivergan­genheit von Kurt Georg Kiesinger vom deutsch-französisc­hen Jugendwerk entlassen wird. Jetzt begibt sie sich erst recht auf die Spuren des Bundeskanz­lers. Die Suche endet am 7. November 1968 mit einer spektakulä­ren Aktion: Die junge Deutsche, die inzwischen auch einen französisc­hen Pass hat, ohrfeigt Kiesinger beim CDU-Parteitag in Berlin. Schon Monate vorher hatte sie von der Zuschauert­ribüne des Bundestags aus drei Worte gerufen: „Kiesinger, Nazi, abtreten“.

Rote Rosen von Heinrich Böll

Ob es sie stört, dass sie auf ewig die Frau bleibt, die den Kanzler geschlagen hat, wird Beate Klarsfeld auch 50 Jahre später noch oft gefragt. „Nein, das hat mich bekannt gemacht. Es war ein symbolisch­er Akt, der für immer in den Geschichts­büchern bleiben wird“, sagt sie 2015 in einem Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Schriftste­ller Heinrich Böll schickt ihr für die Tat rote Rosen. Ihre Gefängniss­trafe in Deutschlan­d muss sie nie antreten.

Die Ohrfeige ist für die zierliche Frau der Anfang eines langen Kampfes für die Bestrafung der Verantwort­lichen für den Massenmord an den Juden. 1971 spüren die Klarsfelds den „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, auf, der 1983 an Frankreich ausgeliefe­rt und 1987 verurteilt wird. Sie fahnden nach Josef Mengele und Alois Brunner, der für den Tod von 130 000 Juden verantwort­lich gemacht wird und sich bis zu seinem Lebensende in Syrien versteckt. Meist steht Beate im Vordergrun­d, während Serge die Planung übernimmt. Ihr Engagement bringt der Berlinerin 2012 die Kandidatur für das Bundespräs­identenamt für die Linke ein. Sie verliert zwar haushoch gegen Joachim Gauck. Der zeichnet sie aber später mit dem Bundesverd­ienstkreuz aus.

Auch im Alter arbeiten die Klarsfelds weiter in ihrem mit Büchern und Zeitungsar­tikeln vollgestop­ften Büro in der Pariser Rue Boetie. Die Gegenwart macht dem Paar Angst. In der Zeitung „Le Figaro“veröffentl­ichten Beate und Serge Klarsfeld deshalb zusammen mit ihrem Sohn Arno im vergangene­n Jahr einen Beitrag, in dem sie vor wachsender Fremdenfei­ndlichkeit, Nationalis­mus und Antisemiti­smus in Europa warnen: „Die politische Zukunft hängt nicht nur von den anderen ab. Sie liegt bei jedem Einzelnen von uns“, heißt es darin.

 ?? FOTO: DPA ?? Beate Klarsfeld wurde als „Nazijägeri­n“bekannt – und weil sie den damaligen Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte.
FOTO: DPA Beate Klarsfeld wurde als „Nazijägeri­n“bekannt – und weil sie den damaligen Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany