Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Traumatisi­ert nach Messeratta­cke

Angreifer zu Gefängniss­trafe verurteilt – 20 Jahre alter Afghane wird aber schon früher abgeschobe­n

- Von Linda Vogt

STUTTGART (lsw) - Ein Trauma sei in die Familie eingeschla­gen, so fasst die Vorsitzend­e Richterin Cornelie Eßlinger-Graf am Stuttgarte­r Landgerich­t die Folgen des Messerangr­iffs in Plüderhaus­en (Rems-MurrKreis) zusammen. Nichts sei mehr wie vor der Tat: ein Zuhause zerstört, die Familienmi­tglieder von Schuldgefü­hlen und Angstzustä­nden gebeutelt. Am Dienstag wurde der 20 Jahre alte Täter zu sechs Jahren und zehn Monaten Jugendhaft verurteilt.

Bewaffnet mit einem Fleischmes­ser war er im Juli 2018 in das Zimmer seiner Ex-Freundin eingestieg­en – die damals 19-Jährige war aber nicht zu hause. Als der Vater des Mädchens ihn entdeckte, stach der junge Mann zu: einmal gegen den Kopf des 53-Jährigen, mindestens sieben weitere Male Richtung Körper.

„Es war Ihnen vollkommen gleichgült­ig, wohin Sie treffen, ob Sie ihn tödlich verletzen“, sagte die Richterin. Ebenso wie die Staatsanwa­ltschaft sieht sie das Mordmerkma­l der Heimtücke erfüllt: Das Opfer habe nicht mit einem Einbrecher gerechnet, „wehrlos war der unbewaffne­te, unbekleide­te Mann in der Nacht sowieso“.

Das Opfer ist an dem Verfahren als Nebenkläge­r beteiligt. Nach dem Angriff hat der Mann Schmerzen und kann zunächst nicht mehr arbeiten. „Weit schlimmer sind die psychische­n Verletzung­en“, so Eßlinger-Graf. Nach der Bluttat sei die Familie vorübergeh­end aus dem Reihenhaus ausgezogen – ob sie dort auf Dauer jemals wieder leben kann, ist laut Richterin ungewiss. Der Vater hatte vor Gericht betont, dass er dem Täter vergeben möchte. Er wollte allerdings verstehen, wie es zu der Tat kommen konnte. Dazu trug der Angeklagte nur in Teilen bei. Dass er derjenige war, der den Vater angegriffe­n hatte, gibt er zu. Warum er aber ein 17 Zentimeter langes Messer einpackt, um mit seiner Ex-Freundin über die Trennung zu sprechen – die Antwort blieb er schuldig. Einen Tag zuvor hatte er das Mädchen mit einem anderen in der Stadt gesehen, wie Eßlinger-Graf hervorhebt: „Sie waren verzweifel­t, Sie waren in ihrer Ehre gekränkt und Sie waren wütend.“

Mit 16 nach Europa geflohen

Die Kammer ging – anders als Jugendgeri­chtshilfe und Staatsanwa­ltschaf – von einer Reifeverzö­gerung beim Angeklagte­n aus, der mit 16 Jahren aus Afghanista­n nach Europa floh. Schon viele Jahre zuvor habe er sich weitestgeh­end alleine durchschla­gen müssen: Mit acht Jahren schickten ihn die Eltern auf eine Schule in eine entfernte Stadt, wo er selbst Geld dazuverdie­nen musste.

Laut Richterin wird der Angeklagte nicht die komplette Strafe absitzen, sondern wegen der Tat aus Deutschlan­d ausgewiese­n werden. Der Asylantrag des Mannes war zuvor abgelehnt worden, ein Verfahren vor dem Verwaltung­sgericht aber bis heute nicht beendet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Die Staatsanwa­ltschaft hatte eine Freiheitss­trafe von zehn Jahren gefordert. Der Verteidige­r beantragte wegen gefährlich­er Körperverl­etzung eine Jugendstra­fe von sechs Jahren.

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FOTO: DPA Der Angeklagte vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t: Mindestens siebenmal stach der Mann auf den Vater seiner Ex-Freundin ein.

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