Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wenn Kokou ruft, tanzen die Dorfbewohner
Im westafrikanischen Togo dürfen auch Touristen dem Voodoo-Kult beiwohnen
LOMÉ (dpa) - „Ein herrlicher Tag. Heute früh war ich im Gottesdienst“, sagt Cosme. Seine Augen leuchten. Die Messe hat ihm offensichtlich gefallen. Ein sonniger Sonntagmorgen in Lomé, der Hauptstadt Togos an der Westküste Afrikas. Wie jede Woche drängen sich die Gläubigen in der Kathedrale Sacré Coeur. Ihre beschwingten Choräle schallen durch das neugotische Gotteshaus. Eine strenge Predigt mahnt zu Disziplin und Mäßigung. Vergebens! Denn noch am selben Tag ist grenzenlose Entfesselung das höchste Gebot, stampfen erdbeschmierte VoodooPriester dumpfe Rhythmen in den Boden, wischt Kriegsgott Kokou die christliche Dreifaltigkeit sinnbildlich vom Altar. Cosme wird auch dabei sein.
Fotografieren erwünscht
Kokou schenkt Tapferkeit. Stärke. Kokou ist der allmächtige Kriegsgott der Ewe, die zusammen mit den Kabiyé zu den Hauptstämmen Togos zählen. Im Alltag hilft Kokou gegen Neider, Nebenbuhler und besonders gegen böse Geister. In Sanguéra, am Rande der Zweimillionen-Stadt Lomé, rufen die Dorfältesten den Gott heute mit einer Voodoo-Zeremonie an. Vor den Gästen schüttet ein betagter Priester aus einer Kalebasse einen stark riechenden, milchigen Trunk in die rotbraune Erde. Als das Gemisch aus Maismehl, Wasser und Palmschnaps versickert ist, dürfen die Fremden nähertreten. Schon ist ein junger Priester in Trance gefallen, wirbelt in seinem geweihten Strohrock rastlos umher, rennt hierhin, dorthin, immer wieder in eine heilige Hütte, um Kraft für seine spirituelle Sendung zu tanken. Auf die schüchterne Frage, ob man die sakrale Zeremonie fotografieren dürfe, stimmen die Gläubigen freudig zu.
Schlimme Kolonialzeit
Inzwischen sind viele Dorfbewohner auf den rituellen Platz unter den Kapokbäumen geströmt. Bunt gekleidete Frauen und Männer beginnen zu tanzen. Dazwischen der Vortänzer, mit seinen rasenden Drehungen ein Sendbote des wütenden Gottes. Immer wieder macht er halt, ritzt sich mit Steinen blutig, reibt Erde auf Kopf und Gesicht. Seine Augen sind glasig, in Trance, in der Welt des Kokou und der Ahnen, zu denen er jetzt Zugang haben soll. Auch Cosme, 60, ein gebildeter Togoer, der in Lomé Deutsch studierte, ist Voodoosi – gläubiger Anhänger des Kults.
Wenn ein Fluch Krankheit und eine Verwünschung Unglück bedeuten können, wirkt Nüchternheit oft therapeutisch. Vielleicht erklärt dies, warum die Togoer noch heute den 1884 geschlossenen Schutzvertrag zwischen Generalkonsul Gustav Nachtigal und König Mlapa in Lomé mit einem Denkmal ehren. Moderne Geschichtsbücher hingegen berichten von einer Kolonialzeit voller Zwang und Unterdrückung. Heute sind in dem schmalen Land an der Bucht von Benin viele deutsche Hilfsorganisationen aktiv, Besucher aus der Bundesrepublik werden mit besonderer Herzlichkeit empfangen. Die mehr und weniger gut erhaltene Kolonialarchitektur ist über das ganze Land verteilt. Davon ist die spektakulärste Ruine die kaiserliche Funkstation bei Atakpamé, 150 Kilometer nördlich von Lomé. Vor dem Einrücken der Franzosen 1914 hatte man die Anlage gesprengt. Übrig geblieben ist ein unwirkliches Areal technischer Skelette.
Die einzige Überlandstraße Richtung Norden führt nach Kara. Die fruchtbare, grüne Landschaft zieht langsam am Autofenster vorbei. Alte Baobabs und Kapokstämme ragen wie vorzeitliche Totems in den weiten blauen Himmel. Auf den Feldern werden Mangos und Papayas, Zitronen und Mandarinen, Avocados und Ananas, Spinat und Rüben angebaut – es gibt keine Frucht, kein Gemüse, das in Togo nicht wachsen würde.
Affenschädel gefällig?
Es ist früher Morgen in Kara, dem Land der Steinbauern, beim Stamm der Kabiyé. Cosme führt seine Gäste zu Kao, dem Schmied von Kétao, rund 400 Kilometer nördlich von Lomé. Kein Hammer, kein Amboss. Aus alten Autofelgen werden Schaufeln für die Landwirtschaft. Während sich junge Männer in den Internetcafés das Märchen vom glitzernden Metropolenleben erzählen, schleppen ihre Mütter und Schwestern Wasser und Früchte in die kleinen Dorfhütten.
Zurück in Lomé. Am Rande der Stadt bauen Händler aus Benin, der Wiege des Voodoo, gerade ihre Stände für den Fetischmarkt auf. Voodoopriester kommen von weither, um hier geeignete Devotionalien zu finden. Für Europäer ist der Markt ein gern besuchtes Horrorkabinett. Über den staubigen, heißen Platz weht ein süßlicher Verwesungsduft. Affenschädel, tote Singvögel, Fledermäuse und Schlangen stapeln sich zu einer schaurigen Auslage. Wer sich hier umschaut, sollte Ideen von Artenund Tierschutz im Hotel lassen. Doch die Händler nehmen alles sehr locker. Einer schenkt den Gästen einen „Telefonfetisch“, ein witziges Minihölzchen mit Hörer und Gabel. „Vor der Abreise einen guten Wunsch in die kleine Öffnung flüstern, mit dem Holzstopfen verschließen – dann guten Flug“, empfiehlt er.
Die beste Reisezeit nach Togo ist zwischen November und März. Es gibt keine Direktflüge von Deutschland nach Lomé. Air France fliegt nonstop ab Paris, mit TAP geht es über Lissabon, mit Ethiopian Airlines von Frankfurt über Addis Abeba. Reisende müssen ein Visum beantragen, das geht auch recht kurzfristig. Zudem ist eine Gelbfieberimpfung Pflicht. Weitere Informationen unter www.ambatogoberlin.de