Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erinnerungen eines Lehrers
Der Knabe saß auf dem Blechspind und strahlte mich an. Mir schwante schon Übles, als ich nach der Großen Pause die Tür des Klassenzimmers geöffnet und das Wasser auf dem Boden gesehen hatte. Er war im Klassenzimmer geblieben, hatte den Wasserhahn aufgedreht, den Abfluss verstopft und wartete nun auf die Rückkehr der Klasse und des neuen Lehrers, der als Krankheitsstellvertreter gekommen war für die Klassenlehrerin. Es dauerte eine Weile, bis ich den Zweitklässler einer dörflichen Schule in der Nähe Ravensburgs vom Spind heruntergeholt hatte. Und noch viel länger dauerte es, bis ich die Klasse 2a in den Griff bekommen habe. Auch die Buben und Mädchen der Klasse 7 hatten seinerzeit große Lust, mich auf die Probe zu stellen. Ein Bauernbube lag vor der Tür des Klassenzimmers und weigerte sich nach der Pause sich zu erheben. Die Klasse lachte laut, als ich ihn mehrfach erfolglos aufgefordert hatte, sich auf seinen Platz zu begeben.
Schließlich stieg ich über ihn hinweg und begann mit meinem Unterricht. „ Nach der Schule werde ich dich heimfahren“, sagte ich beiläufig zu ihm. „Denn ich will deinem Vater erzählen, wie du dich mir gegenüber heute in der Schule benommen hast!“Als wir kurz vor 13 Uhr in den elterlichen Hof zwischen Amtzell und Waldburg einbogen, weinte der Knabe. „Also gut“, sagte ich, „wenn du dich morgen anständig benimmst, vergesse ich alles!“In den folgenden Wochen nahm er durchaus interessiert an meinem Deutsch- und Religionsunterricht teil. Übrigens stammen meine Erfahrungen aus den 1990erJahren. facebook.com/ schwaebische.oberschwaben schwaebische.de/ whatsapp