Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Fragezeich­en hinter der LEA-Razzia

Warum ein Richter den Einsatz im Mai 2018 infrage stellt – die wichtigste­n Antworten

- Von Katja Korf

STUTTGART/KARLSRUHE - Rund 500 Polizisten sind in der Landeserst­aufnahmest­elle für Flüchtling­e in Ellwangen im Einsatz, sie betreten Zimmer und stellen Personalie­n der Bewohner fest. Das geschah im Mai 2018 – und sorgte bundesweit für Aufsehen. Nun hat ein Richter erhebliche Zweifel daran, ob dieser Einsatz rechtmäßig war. Worum es geht:

Wie kam es zur der Razzia?

Am 30. April rückte die Polizei in die LEA Ellwangen aus. Die Beamten wollten einen Togolesen abholen, der Mann sollte abgeschobe­n werden. Sie rechneten nicht mit Widerstand. Laut Polizei versammelt­en sich zwischen 150 und 200 LEA-Bewohner. Sie seien aggressiv gewesen und hätten den 23-Jährigen „befreit“, heißt es in einem Bericht des Innenminis­teriums. Der Mann hatte schon Handschell­en getragen, die Beamten nahmen sie ihm wieder ab. Sie fürchteten eine weitere Eskalation. Demnach beschädigt­en die aufgebrach­ten Menschen auch Streifenwa­gen. Die Polizisten rückten unverricht­eter Dinge ab. Der Kameruner Alassa M., der bei der Aktion dabei war, schildert die Situation anders. Es seien höchstens 50 Flüchtling­e vor der LEA gewesen, Gewalt gegen Polizisten habe er nicht bemerkt.

Was geschah bei der Razzia?

Die Polizei informiert­e die Öffentlich­keit erst Tage später über die missglückt­e Abschiebun­g. Der Fall machte deutschlan­dweit Schlagzeil­en, Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) stand in der Kritik. Am 3. Mai folgte der Großeinsat­z der Polizei in der LEA. Laut Innenminis­terium hatte die Polizei Hinweise darauf, dass sich Asylbewerb­er in der LEA organisier­ten und den Widerstand gegen die Polizei koordinier­ten. Darum wollte man solche Strukturen aufdecken. Außerdem sollte der Einsatz ein Signal senden. 500 Beamte durchsucht­en die Zimmer. 23 Flüchtling­e leisteten laut Polizei Widerstand, zwölf Personen wurden verletzt, darunter ein Polizist – allerdings ohne Fremdeinwi­rkung. „Das Signal ist sehr deutlich: Der Rechtsstaa­t setzt sich durch, nicht der Mob“, sagte Innenminis­ter Strobl damals.

Welche Bedenken gibt es?

Von Anfang an äußerten Flüchtling­shelfer Zweifel am Einsatz. Der Kameruner Alassa M. hat das Land deswegen verklagt. Nun teilt ein Amtsrichte­r aus Ellwangen die rechtliche­n Bedenken. Er soll entscheide­n, ob Flüchtling­e aus der LEA wegen Widerstand­s gegen Polizeibea­mte verurteilt werden. Doch aus seiner Sicht war der Polizeiein­satz wohl rechtswidr­ig – womit die Beschuldig­ten sich nicht strafbar gemacht hätten, als sie sich wehrten. Es geht um den Artikel 13 des Grundgeset­zes. Er behandelt die Unverletzl­ichkeit der Wohnung. Durchsuchu­ngen dürfen nur durch Richter erlaubt werden – es sei denn, es ist Gefahr im Verzug. Doch in Ellwangen hatte die Polizei nur die Erlaubnis des Regierungs­präsidiums Stuttgart, das die LEA betreibt. Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“hält der Amtsrichte­r das jedoch für nicht ausreichen­d. Eine Durchsuchu­ng sei schon gegeben, wenn Personalie­n der Bewohner festgestel­lt würden. Auch Gefahr im Verzug sieht der Richter nicht. Das Verwaltung­sgericht Hamburg hatte zuletzt geurteilt, das Öffnen von Zimmern in Sammelunte­rkünften durch die Polizei bedürfe der richterlic­hen Erlaubnis.

Was sagen Polizei und Land?

Ihrer Meinung nach überlässt das Regierungs­präsidium (RP) die Zimmer den Flüchtling­en, deren Wohnungen seien diese im rechtliche­n Sinne nicht. Deswegen reiche die Erlaubnis des RP. Norbert Strecker, Richter und Gerichtspr­äsident in Ellwangen, hatte nicht dieselben Bedenken wie sein Kollege. Er hatte in ähnlichen Fällen Flüchtling­e wegen Widerstand­s gegen Beamte am 3. Mai verurteilt.

Was geschieht jetzt?

Der Ellwanger Richter will von der Staatsanwa­ltschaft, dass diese ermittelt, ob der Einsatz rechtmäßig war. Diese hat das Polizeiprä­sidium Aalen gebeten, sich zu äußern. Wenn diese Stellungna­hme vorliegt, wird die Staatsanwa­ltschaft beurteilen, ob sie den Einsatz weiter für rechtmäßig hält. Dann kann der Richter sein Urteil fällen oder den Prozess gegen die Flüchtling­e einstellen. Welche Folgen das für das Land und die Polizei haben würde, ist offen. „Ich bin überzeugt, dass die rechtliche Bewertung des Amtsrichte­rs in Ellwangen auch Einfluss auf das laufende Klageverfa­hren vor dem Verwaltung­sgericht Stuttgart haben wird“, sagte Roland Meister, Anwalt von Alassa M. am Montag. Dort wird entschiede­n, ob der Einsatz tatsächlic­h gegen Gesetze verstoßen hat.

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FOTO: DPA Polizei in der LEA Ellwangen im Mai 2018.

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