Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zwischen Krankenhau­s und Zuhause

Bruderhaus arbeitet an einer neuen Form der Kurzzeitpf­lege – Projekt vom Land gefördert

- Von Sybille Glatz

RAVENSBURG - Ein fiktives, aber realistisc­hes Szenario: Opa ist mit dem Rad gestürzt, hat sich den Arm gebrochen. Er wird im Krankenhau­s operiert, alles verläuft gut, die Ärzte haben die Behandlung abgeschlos­sen. Doch weil er etwas älter ist, benötigt er für die Genesung mehr Zeit als ein jüngerer Mensch. Ein paar Wochen lang wird er Pflege und Hilfe brauchen, doch guten Gewissens kann ihn das Krankenhau­s nicht nach Hause entlassen. Denn er ist Witwer und lebt allein, Kinder und Enkelkinde­r wohnen mehrere Hundert Kilometer weit weg. Was nun?

„In solchen oder ähnlichen Fällen möchten wir in Zukunft die Lücke zwischen Krankenhau­s und Zu Hause schließen“, erklärt Ralph Zodel, Geschäftsf­ührer der Bruderhaus­Stiftung, in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das Bruderhaus ist aktuell dabei, ein Angebot für eine neue Art der Kurzzeitpf­lege auszuarbei­ten. In diese sollen Krankenhau­spatienten gehen können, die nach ihrer Behandlung noch Zeit für die Genesung und Pflege brauchen, die sie jedoch zu Hause nicht bekommen können – aus welchen Gründen auch immer. Für die Entwicklun­g des Angebots bekommt das Bruderhaus vom Land Baden-Württember­g einen Zuschuss in Höhe von 49 550 Euro. „Das Projekt läuft seit Dezember 2018. Wenn alles glatt läuft, können wir 2021/22 starten“, sagt Zodel. Für das neue Angebot soll auch ein neues Gebäude gebaut werden und zwar neben das Haus Oberhofen, einer Pflegeeinr­ichtung der Bruderhaus­Stiftung in Eschach.

Welche Räumlichke­iten gebraucht werden, wie viel und welches Personal, für welche Krankheits­bilder das Angebot geeignet ist, diese und andere Fragen klärt die Bruderhaus-Stiftung während der Konzeption­serstellun­g. Sie führt dazu Gespräche mit Hausärzten und der Oberschwab­enklinik (OSK) in Ravensburg. Mit den Kassen bespricht sie, welche Kosten unter welchen Voraussetz­ungen die Pflegekass­e übernehmen wird und welche die Krankenkas­sen.

Ein wichtiger Unterschie­d zur herkömmlic­hen Kurzzeitpf­lege bestehe in der Zukunftspe­rspektive des Patienten, betont Zodel. „Bei der klassische­n Kurzzeitpf­lege geht es darum, pflegende Angehörige vorübergeh­end zu entlasten. Das heißt, der Patient kommt pflegebedü­rftig in die Einrichtun­g und wird im selben oder vielleicht einem etwas besseren Zustand wieder nach Hause in die Pflege entlassen. Wir haben bei unserem Projekt eine andere Zielgruppe im Auge: Patienten, die die Perspektiv­e haben, im Anschluss an die Pflege möglichst gesund nach Hause zu gehen“, erklärt Zodel. Dabei werde auch die Digitalisi­erung eine wichtige Rolle spielen. „Wir stellen uns das so vor: Die OSK sagt zu uns: Wir haben hier einen Patienten, der wäre für eure Kurzzeitpf­lege geeignet. Wir antworten: In Ordnung, wir haben einen Platz frei. Schicken Sie uns bitte seine elektronis­che Patientena­kte. Und noch bevor der Patient zu uns kommt, sind wir über seine Krankheits­geschichte informiert und kümmern uns um alles, was er braucht: Medikament­e, Physiother­apeuten, eventuell einen Rollstuhl oder einen Rollator. Während er dann hier ist, wird er nicht nur versorgt und gepflegt. Er bekommt auch entspreche­nde Therapien, wie Gymnastik oder Physiother­apie“, sagt Zodel. „Darüber hinaus ist es eine aktivieren­de Pflege, das heißt, der Patient wird dazu ermuntert, sich selbststän­dig zu waschen oder anzuziehen, während eine Pflegekraf­t neben ihm steht. Das können sie im Krankenhau­s gar nicht leisten, darauf sind sie nicht ausgelegt. Nach beispielsw­eise sechs Wochen ist es dann soweit, der Patient kann nach Hause gehen. Doch vor der Entlassung suchen wir das Gespräch mit seinen Angehörige­n und mit seinem Hausarzt und klären ab, was er zuhause braucht. Braucht er die Unterstütz­ung eines ambulanten Pflegedien­stes? Oder reicht es, wenn jemand von der Nachbarsch­aftshilfe nach ihm schaut? Wie sieht es mit Rollator, Medikament­en etc. aus? Kurzum: Wir kümmern uns darum, dass der Patient nahtlos weitervers­orgt wird“, so Zodel.

Mit dem neuen Angebot möchte das Bruderhaus eine Brücke schlagen zwischen zwei Bereichen des Gesundheit­swesens, die in Deutschlan­d bislang strikt getrennt sind: der stationäre und der ambulante Sektor. Abgeleitet sind die Begriffe aus dem Lateinisch­en: „statio“heißt auf Deutsch „fester Aufenthalt“, ambulans bedeutet „gehend“. „Wenn Sie zu Ihrem Hausarzt gehen, werden Sie ambulant versorgt, das heißt, Sie kommen und Sie gehen wieder.

Wenn Sie im Krankenhau­s aufgenomme­n werden, gehört das in den stationäre­n Sektor, Sie kommen und Sie bleiben erst einmal. Wir planen eine Einrichtun­g, die zwar stationär ist, aber einen ambulanten Charakter hat, also nach außen orientiert ist. Die Patienten kommen, erholen sich und gehen dann möglichst gesund nach Hause“, erklärt Zodel. Gefördert wurde das Projekt vom Land, um die „Mauern der Sektoren“zu überwinden, wie es in einer Pressemeld­ung des Sozial- und Integratio­nsminister­s Manfred Lucha heißt.

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ARCHIVFOTO: DPA/PATRICK PLEUL Die Bruderhaus-Stiftung möchte eine Lücke schließen zwischen Krankenhau­s und Zuhause.

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