Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gerd Leipold bricht eine Lanze für die Politiker

Weltweit wachsende Egoismen sind Thema der Fastenpred­igten in der Liebfrauen­kirche in Ravensburg

- Von Rainer Kössl

RAVENSBURG - Eigentlich ist er studierter und promoviert­er Physiker und Ozeanograp­h: Gerd Leipold. Jahrgang 1951, aus Rot an der Rot. 30 Jahre hat er für Greenpeace gearbeitet, auf hohen und höchsten Leitungseb­enen. Die Arbeit bei dieser Umweltorga­nisation sei ein Glück und eine Fügung für ihn gewesen. Nicht nur damals, als er 1983 mit einem Heißluftba­llon über die Berliner Mauer geflogen sei, um gegen die Atomwaffen­versuche der Großmächte zu protestier­en. Am vergangene­n Sonntag hat sich der Naturwisse­nschaftler Leipold auf religiöses Terrain gewagt: Auf die Kanzel der Ravensburg­er Liebfrauen­kirche hielt er die Fastenpred­igt.

Zum Thema hat er sich die uralten Erzählunge­n der Heiligen Schrift gemacht, die Geschichte­n vom Garten Eden, den ersten Menschen und der Schlange. Vor allem aber das Bild vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse hat es ihm angetan. Die Botschaft an Adam war: „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten Eden aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.“Für ihn, so Gerd Leipold, sei ein Baum der Erkenntnis prinzipiel­l etwas Positives und nichts Unheilbrin­gendes. „Mit dem Wissen verlieren wir die Naivität, erkennen, dass es Gut und Böse gibt und erwerben die Fähigkeit zu unterschei­den.“„Ich möchte“, so der Kern von Leipolds Botschaft von der Kanzel der voll gefüllten Liebfrauen­kirche, „den Genuss des verbotenen Apfels verstehen, als eine Aufforderu­ng, unsere Verantwort­ung gegenüber der Welt und ihren Kreaturen wahrzunehm­en.“

Verantwort­lich sein heiße nicht das Eigeninter­esse zu leugnen. Verantwort­lich sein bedeute sich das Eigeninter­esse bewusst zu machen, es an den Interessen unserer Mitmensche­n zu messen und es mit dem Allgemeinw­ohl zu vergleiche­n. „Und dann entscheide­n wir, wie wir handeln sollen“, so Leipold. Mit dieser Aufforderu­ng des Klimawande­l-Experten zur Übernahme von Verantwort­ung anstatt des Auslebens von Egoismen, begab er sich auf politische­s Terrain. Ein besonderes Anliegen sei es ihm, eine Lanze für die Politik, speziell für die Politiker zu brechen.

Pech und Schwefel über Politiker zu schütten, gehöre heute zur Tagesordnu­ng. Denn diese seien, „unfähig, korrupt und dumm.“Gerd Leipold hält „diese Stigmatisi­erung der Politiker für bequem“, so wie es in früheren Zeiten bequem gewesen sei, den Teufel für alles Schlechte verantwort­lich zu machen. Der Fastenpred­iger stellt die Frage, ob es nicht manchmal angebracht wäre, uns zu fragen, ob wir es besser machen könnten „wie die da oben“. Uns zu fragen, wie wir mit den immer weiter auseinande­rstrebende­n Bedürfniss­en und Einstellun­gen in unserer Gesellscha­ft umgehen würden.

Gerd Leipold weiß um die Gefahren, denen wir und unsere Nachkommen ausgesetzt sind. Er ist dennoch weder ein Moralist, noch ein Fundamenta­list, noch ein Pessimist. „Machen wir uns nichts vor“, beendet er seine Predigt, „Unsere Demokratie ist die beste Regierungs­form, die wir je in diesem Land hatten. Sie ist nicht perfekt. Aber ich weiß auch, dass es uns allen obliegt sie besser zu machen.“

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FOTO: RAINER KÖSSL Michael Schindler (links), Pastoralre­ferent und und Organisato­r der Fastenpred­igten, zusammen mit Gerd Leipold.

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