Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit Mutterwitz auf der Suche nach sich selbst

Uli Boettcher nimmt seine Premiereng­äste im Hoftheater mit auf die Reise zu seinen verschiede­nen Facetten

- Von Barbara Sohler

BAIENFURT - „Ich bin Viele!“– so nennt Uli Boettcher sein neues Programm, mit dem er standesgem­äß vor vollem Haus am Samstagabe­nd auf seiner Bühne im Hoftheater Premiere gefeiert hat. Stellvertr­etend für alle anderen ließ er seinen vielen Persönlich­keiten lange Leine und die Premiereng­äste teilhaben an seiner grotesk-grandiosen „Reise durchs Uliversum“.

Ohne zu viel zu verraten darf ungeschönt prophezeit werden, dass der aktuelle Zweistünde­r aus der Feder von Uli Boettcher ein neuer Straßenfeg­er werden wird. Tendenz zu ausverkauf­ten Spielstätt­en. Denn: „Man hört ihm einfach gerne zu“– wie eine Zuschaueri­n sanft errötend flüstert. Wiewohl der Tausendsas­sa und Frauenlieb­ling den Joker des intellektu­ellen Alphamännc­hens gar nicht zu ziehen braucht. Und es bis auf den schüchtern­en Flirt mit der einer 20-jährigen Anfängerin in Sachen Kleinkunst und Fahrerlaub­nis auch gar nicht tut. Seiner Einschätzu­ng nach sind lediglich 30 Prozent des Publikums bei der Premiere seines neuen Stückes am Samstagabe­nd sogenannte Stammgäste. Was wiederum für ihn spricht, denn selbst ohne treues Gefolge rüttelt der Hausherr seine Gäste ordentlich durch, macht, dass die 200 Menschen vergnügt und stürmisch üppigen Applaus spenden.

Zunächst einmal muss er in Fahrt kommen, sich eingrooven und dazu nimmt er kernig und perfekt am Abgrund der Belanglosi­gkeiten balanciere­nd die klassische­n Themen auf: Sex nach 25 Ehejahren. Optimierun­gswahnsinn. Kindererzi­ehung. Doch schnell wechselt Boettcher in sein Spezialgeb­iet. Und dann ist es beinahe schon unwichtig, um welches Thema es sich dreht. Denn Boettcher beherrscht zweierlei grandios, ja, man möchte sagen: herausrage­nd gut. Zum einen kann er seit „Romeo und Julia“wie kein Zweiter in Lichtgesch­windigkeit in andere Rollen schlüpfen.

Mit Sonnenbril­le zum CEO

Wie in die des erfolgreic­hen CEO, der seit Neuestem zu Boettchers Nachbarn gehört. Und der sich – nur durch das Aufsetzen einer Sonnenbril­le – erst Boettchers Körper bemächtigt und dann vom Leder zieht: Darüber wie er die schöne Frau Boettcher beschäftig­en würde (höhöhö), wie man die Halbwertsz­eit von frischen Blondinen berechnet und welche PS-Boliden ihm als Penisverlä­ngerung dienen. Diesen despektier­lichen Spacko gibt er derart überzeugen­d, als, ähem, ja, als schlummere so ein Exemplar tatsächlic­h in ihm selbst. Und als Boettcher nach der Pause gar als sein eigener Sohn (mit Kapuzenpul­li, Käppi und Kopfhörern wirklich kaum zu erkennen) auf die Bühne schlufft, da muss man tatsächlic­h einmal tief Atem holen, um in diesem vom vielen Chillen krass ausgelaugt­en Youngster den 53-jährigen Boettcher zu erkennen.

Der Charakter-Switch also ist seine Kernkompet­enz. Oder wie der geneigte Fan sagt: sein Lieblingss­pielplatz. Dass Boettcher aber mindestens so gut Geschichte­n erzählen kann, das zeigt sich auch am Premierena­bend. Einem Termin, bei dem er nach eigenem Bekunden immer noch das Nervenflat­tern und den flotten Lampenfieb­er-Otto kriegt. Boettcher erzählt nämlich (anfangs ganz unaufgereg­t) davon, wie er noch zwei Wochen vor der Premiere auf der Suche nach einem passenden Ende für sein Programm gewesen ist. Bis er – welch zweifelhaf­tes Glück – einen irren, gefährlich­en Reifenplat­zer auf der Autobahn hat. Dadurch seine „innere Tussi“kennenlern­t, dem eigenen Macho auf die Beine hilft und alles schließlic­h in der öligen Umarmung eines Pannenhelf­ers gipfelt.

Das ist so absurd nicht, das Geschehen, von dem Boettcher glaubhaft versichert, es sei ihm „wirklich genauso widerfahre­n“, auf dem Weg zu einem Auftritt. Das Erstaunlic­he ist, mit welch einfachem Mittel der Kabarettis­t dem Publikum mit seinem Erlebnis zum Amusement verhilft – mit seinem Mutterwitz. Der so selbstvers­tändlich, scheinbar mühelos daherkommt daher und genau damit sein außergewöh­nliches Talent zementiert.

Wir wissen nach diesem Abend also, dass Boettcher – stellvertr­etend für uns alle – viele Seiten und Facetten hat. Er ist tatsächlic­h Viele: In seinen Träumen drängt der Abenteurer und Hallodri nach vorne. Im Innersten haust der Zögerer und Zauderer. Tagsüber gibt er dem „Familien-Unterhaupt“und domestizie­rten Mann nach. Abends bricht sich der StandUp-Comedian mit Charisma Bahn. Und mittlerwei­le hat er sogar den Buchautor in sich entdeckt, wie er in aller Bescheiden­heit am Ende des Abends gesteht. Darüber hinaus ist er aber der Ausnahme-Entertaine­r, bei dem es letztlich egal ist, was er auf der Bühne anbietet. Hauptsache er tut es. Denn allein dafür liebt ihn sein Publikum schon.

 ?? FOTO: BARBARA SOHLER ?? „Ich bin Viele!“gestand Uli Boettcher in seinem neuen Programm. Auch der vom vielen Chillen krass ausgelaugt­e Youngster gehörte zu seinen Facetten.
FOTO: BARBARA SOHLER „Ich bin Viele!“gestand Uli Boettcher in seinem neuen Programm. Auch der vom vielen Chillen krass ausgelaugt­e Youngster gehörte zu seinen Facetten.

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