Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rote Beete retten

Warum Foodsharer Lebensmitt­el vor der Mülltonne bewahren wollen

- Von Katrin Neef

RAVENSBURG - Samstagmit­tag in der Ravensburg­er Innenstadt: Angelika Holly und Malchus Kern gehen zügigen Schrittes Richtung Marktstraß­e. Sie ziehen einen Leiterwage­n hinter sich her. Ihr Ziel: der Wochenmark­t. Ihre Mission: Lebensmitt­el retten.

„Es ist einfach unglaublic­h, wie viele Lebensmitt­el weggeworfe­n werden“, sagt Angelika Holly. Um das wenigstens ein bisschen zu ändern, hat sie sich den Foodsharer­n angeschlos­sen. Foodsharin­g heißt so viel wie Essen teilen. Genauer gesagt: Lebensmitt­el verteilen, die sonst im Müll landen würden. Seit 2014 gibt es die Initiative auch in Ravensburg. Ein fester Programmpu­nkt ist der Gang über den Wochenmark­t.

Erste Station für Angelika und Malchus ist an diesem Samstag ein Brot-Verkaufsst­and. Kurz vor dem Zusammenpa­cken liegen noch einige Backwaren in der Auslage. „Das könnt ihr alles mitnehmen“, sagt der Verkäufer.“Die beiden füllen einen großen Plastikkor­b mit frischem Brot und Brötchen, die zusammen einen Verkaufswe­rt von rund 50 Euro hätten, wie der Verkäufer erklärt. Die Ware wieder mit nach Hause zu nehmen, hätte für ihn keinen Zweck: „Ich kann das nicht weitervert­eilen, aber ich will es auch nicht wegwerfen“, sagt er. Deshalb gibt er seine Reste gerne den Foodsharer­n.

Nächster Anlaufpunk­t ist ein Gemüsestan­d. Dort sind Paprika und Blumenkohl übrig, die nicht mehr lang gelagert werden können. Die Verkäuferi­n kennt Angelika und Malchus schon und reicht die Ware gleich über die Auslagen. Die Foodsharer fragen nur bei Händlern an, mit denen zuvor eine Zusammenar­beit vereinbart wurde.

Keine Konkurrenz zu den Tafelläden

Auch Geschäfte machen mit: Angelika betritt einen Laden, der kleine Snacks anbietet. „Heute haben wir leider nichts“, ruft eine Mitarbeite­rin hinter der Theke hervor. „Super“, ruft Angelika zurück und ist schon wieder aus der Tür. Sinn der Sache sei es ja, Lebensmitt­elverschwe­ndung zu reduzieren, erklärt sie. Deshalb freut sie sich, wenn alles aufgebrauc­ht ist. Die Foodsharer sehen sich daher auch nicht als Konkurrenz zu den Tafelläden, deren Ziel es ist, Menschen mit wenig Einkommen mit Lebensmitt­eln zu kleinen Preisen zu versorgen.

„Jeder Bundesbürg­er wirft im Durchschni­tt 81,6 Kilo Lebensmitt­el im Jahr weg“, heißt es auf der Internetse­ite der Ravensburg­er Foodsharer. Mit jedem weggeworfe­nen Lebensmitt­el sei ein hoher Verbrauch an Energie, Wasser und anderen Rohstoffen verbunden. Auch direkt beim Hersteller würden öfter mal Überproduk­tionen oder falsch deklariert­e Ware im Müll landen.

Das zu ändern haben sich Foodsharer auf die Fahnen geschriebe­n. Die Initiative entstand 2012 in Berlin. Inzwischen gibt es laut Informatio­nen auf der Homepage von foodsharin­g.de mehr als 200 000 registrier­te Nutzer in Deutschlan­d, Österreich, der Schweiz und weiteren europäisch­en Ländern. „Es ist eine coole Gemeinscha­ft und macht einfach Spaß“, sagt Malchus, der die Ravensburg­er Gruppe mitgegründ­et hat.

Nachdem sie noch Bananen, Käse und Tofu eingesamme­lt haben, gehen Angelika und Malchus zum Treffpunkt in der Nähe des Gänsbühl-Centers, um die Lebensmitt­el zu verteilen. Dort wartet schon eine Handvoll Leute auf die heutige Leiterwage­n-Lieferung. Zwei ältere Frauen freuen sich über Brot, ein Rentner packt Gemüse ein, und die Studenten Theresa und Hannes nehmen Käse und Blumenkohl mit. „Wir finden es gut, wenn die Sachen verwertet werden“, sagen sie. Dass Foodsharin­g außerdem den studentisc­hen Geldbeutel schont, ist ein angenehmer Nebeneffek­t. Ein Filmbeitra­g über die Foodsharer ist zu sehen unter www.schwäbisch­e.de/foodsharer-rv Alle weiteren Berichte zu unserer Müllserie gibt es im Internet unter www.schwäbisch­e.de/müll

 ?? FOTOS: KATRIN NEEF ?? Brot, Gemüse, Fertiggeri­chte: Die eingesamme­lten Lebensmitt­el werden gerecht unter den Wartenden verteilt.
FOTOS: KATRIN NEEF Brot, Gemüse, Fertiggeri­chte: Die eingesamme­lten Lebensmitt­el werden gerecht unter den Wartenden verteilt.
 ??  ?? Malchus Kern und Angelika Holly fahren die Lebensmitt­el zum Treffpunkt.
Malchus Kern und Angelika Holly fahren die Lebensmitt­el zum Treffpunkt.
 ??  ?? An diesem Samstag gibt es viele Paprika für Angelika Holly.
An diesem Samstag gibt es viele Paprika für Angelika Holly.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany