Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf der Suche nach der „Poesie des Augenblick­s“

Hans von Trotha präsentier­t sich als Fotograf und Autor

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RAVENSBURG - In Ergänzung zur neuen Ausstellun­g der Galerie 21.06 und in Zusammenar­beit mit der Buchhandlu­ng Anna Rahm stellt Literaturw­issenschaf­tler und Autor Hans von Trotha seinen Essay „A Sentimenta­l Journey – Laurence Sterne in Shandy Hall“vor. Er erfreut den Leser bereits mit seinem Titelbild, einem Porträt des Autors des „Tristram Shandy“auf feuerrotem Grund. Sein Autor ist 1965 geboren, besuchte das Ravensburg­er Welfengymn­asium, studierte in Heidelberg und Berlin Literatur, Geschichte und Philosophi­e und promoviert­e über den englischen Landschaft­sgarten. An diesem Thema interessie­rte ihn die Überschnei­dung der geistesges­chichtlich­en, politische­n, sozialen und kulturelle­n Strömungen des 18. Jahrhunder­ts in England. In seinem Essay beschäftig­t er sich mit Laurence Sterne, laut Goethe einer der „freiesten Geister“seiner Zeit. Dorothee L. Schaefer hat sich mit Hans von Trotha unterhalte­n.

Im Hinblick auf Fotografie bezeichnen Sie sich als einen Quereinste­iger, als Kunstbuchv­erleger haben Sie viel mit Fotografie­n gearbeitet, bis Sie die SX 70 Spiegelref­lex von Polaroid dazu verleitete, selbst zu fotografie­ren. Warum?

Es war der besondere Moment, den ich auf Reisen oder in bestimmten Städten festhalten wollte, so etwas wie „die Zeit anhalten“. Dazu passte diese Technik, weil die Kamera Farben nicht durch Belichtung generiert, sondern in dem direkt ablaufende­n chemischen Prozess „erfindet“. Deshalb kommt eine Art visuelles Archiv zustande, das sich nicht wiederhole­n ließe.

Die Polaroidfo­tos galten damals in den 1970er-Jahren als nicht ernst zu nehmender Partygag, außerdem sind sie schlecht zu konservier­en. Wie bewahren Sie sie auf?

Ohne direktes Sonnenlich­t ist das kein Problem. Außerdem ist dieser besondere Film nicht so anfällig fürs Ausbleiche­n. Mir geht es mehr um eine Annäherung an die Wirklichke­it, es ist eher ein poetisches Moment oder Motiv. Das Foto in seiner Zeitlichke­it hat dennoch etwas Überzeitli­ches, so wie ein Gemälde oder eine Zeichnung.

Und wie stehen Sie zur digitalen Fotografie?

Die hat den Umgang mit Bildern völlig verändert und ungeahnte neue Möglichkei­ten eröffnet – und die Aura des Unikats der alten Polaroids noch verstärkt.

Aus den Titeln Ihrer Publikatio­nen lässt sich eine Affinität zum 18. Jahrhunder­t in England herauslese­n. Wie kam es zur interdiszi­plinären Beschäftig­ung mit Gartenkuns­t?

Es war tatsächlic­h der Versuch, das ungemein spannende, vielschich­tige 18. Jahrhunder­t zu verstehen, in dem viele Grundlagen unserer heutigen Ästhetik und Weltsicht formuliert wurden. Und dabei hat, wie ich feststellt­e, die Gartenkuns­t eine zentrale Rolle gespielt – als Medium, in dem Geschichte­n über Sinnesreiz­e erzählt werden, ein unmittelba­res Vorgängerm­edium des Films.

Und nun im zeitlichen Kontext Sternes Reiseroman „A sentimenta­l journey“, den er nicht mehr vollenden konnte: Ist das die Frühzeit oder die Hochzeit der „Empfindsam­keit“nach der europäisch­en Aufklärung oder ist der Begriff des „Sentimenta­len“trotz des französisc­hen Lehnworts ein englischer?

Sterne hat das englische Wort „sentimenta­l“erfunden, das der Übersetzer mit „empfindsam“eindeutsch­te. Damit traf er einen Nerv. Es ist ein verbreitet­es Missverstä­ndnis, Aufklärung und Empfindsam­keit als Gegensätze zu betrachten – sie sind die beiden Seiten einer schillernd­en Medaille.

Lesung, Vortrag und Gespräch beginnen am Freitag, 22. März, um 19 Uhr in der Galerie 21.06.

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