Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Viele Patienten halten unseren Takt einfach nicht mehr aus“

Psychiater Dr. Tobias Hölz spricht über den Fall des Friedrichs­hafener Brandstift­ers

- Von Britta Baier

FRIEDRICHS­HAFEN/RAVENSBURG - Kein Gefängnis, sondern Psychiatri­e: „Paranoide Schizophre­nie“lautete die Diagnose für den 29-jährigen Angeklagte­n aus Friedrichs­hafen, der in der Nacht auf den 30. Dezember drei Brände in der Häfler Innenstadt gelegt hat. Das Landgerich­t Ravensburg sprach den Mann im Juni wegen vermindert­er Schuldfähi­gkeit frei und ordnete seine Unterbring­ung im Maßregelvo­llzug an. Eine Entscheidu­ng, die nicht bei allen nur für Verständni­s sorgte. Dr. Tobias Hölz ist Psychiater und Chefarzt der Abteilung Forensisch­e Sozialpsyc­hiatrie und Rehabilita­tion der Klinik für forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie Weissenau und kennt sich in solchen Fällen aus.

Was ist eine paranoide Schizophre­nie?

„Schizophre­ne Störungen sind gekennzeic­hnet durch schwerwieg­ende, charakteri­stische Störungen des Denkens und der Wahrnehmun­g und werden oft begleitet von anhaltende­n Halluzinat­ionen oder anderen Wahrnehmun­gsstörunge­n. Für Außenstehe­nde sind oft bizarre Verhaltens­auffälligk­eiten der Betroffene­n erkennbar“, berichtet Hölz, der den knapp 30-jährigen Brandstift­er mehrere Male in Untersuchu­ngshaft und vor Prozessbeg­inn aufgesucht hatte, um diesen zur Frage der Schuldfähi­gkeit zu begutachte­n. Wer zur Tatzeit am Vollbild einer schizophre­nen Erkrankung leidet und deshalb das Unrecht der Tat nicht einsehen kann, könne nicht für diese verantwort­lich gemacht werden - und wird, statt im Vollzug, im Maßregelvo­llzug untergebra­cht.

Der Maßregelvo­llzug

Um im Maßregelvo­llzug untergebra­cht zu werden, muss beim Delinquent­en eine psychische Erkrankung vorliegen, erläutert Hölz, außerdem müsse von diesem - nach Überzeugun­g des Gerichts – weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinh­eit ausgehen. Im Falle des Brandstift­ers hatte Richter Franz Bernhard in seiner Urteilsbeg­ründung betont, dass die Schizophre­nie „eine der schwersten Erkrankung­en“sei, die es im psychische­n Bereich gebe. „Dieses Risiko können wir der Allgemeinh­eit nicht zumuten.“

Viele Patienten würden direkt nach Tatbegehun­g „in sehr desolatem psychische­n Zustand in die forensisch­e Klinik eingewiese­n“, berichtet Hölz aus seinem Alltag. Während der ersten Tage ihres Aufenthalt­s ist es vorrangige Aufgabe, akut-psychotisc­he Patienten medikament­ös zu behandeln und so die Gefahr erneuter Übergriffe zu minimieren. Meist gelinge es Ärzten und Pflegepers­onal relativ schnell, die Neuzugänge von der Notwendigk­eit einer medikament­ösen Behandlung zu überzeugen. Dazu müssen die Patienten dieser aber auch zustimmen – der Brandstift­er hatte während des Prozesses allerdings erklärt, Medikament­e seien für ihn „Drogen“, er therapiere sich lieber selbst mit Alkohol und Marihuana.

Der Alltag

Nach seiner Aufnahme in die forensisch­e Klinik kommt der Patient dann auf eine geschlosse­ne Abteilung, die nur durch zwei elektronis­ch gesicherte Schleusen betreten werden kann und deren Sicherheit­sstandards mit denen im Vollzug durchaus vergleichb­ar sind. Durch die derzeitige Überbelegu­ng der Klinik sind die Zimmer nicht selten doppelt belegt, außerdem gehört Gemeinscha­ftsküche und -bad dazu – alles gesichert mit bruchsiche­rem Glas, Gittern vor den Fenstern und mit Videoüberw­achung.

Die Behandlung

Die Behandlung der „psychisch kranken Rechtsbrec­her“, wie es im Juristende­utsch heißt, unterschei­det sich nicht von der in einem allgemeinp­sychiatris­chen Krankenhau­s, weiß Hölz. Neben ersten Therapiege­sprächen – einzeln und in Gruppen – gehören beschäftig­ungstherap­eutische Angebote, Sport, und vor allem die sogenannte Psychoeduk­ation dazu: „Vor allem in der Gruppe merken viele der Patienten, die in ihrer bisherigen Umgebung ihre Krankheit nicht wahrhaben wollten, diese nicht erkennen konnten oder mit deren Symptomen nicht wussten umzugehen, dass es andere Menschen mit ähnlichen Problemen gibt. Oft machen sie zu ersten Mal die Erfahrung, dass sie damit nicht alleine sind. Hat man es erst einmal geschafft, den Patienten ein Krankheits­konzept zu vermitteln, gibt es nicht mehr viele, die eine Behandlung ablehnen“, hat der Psychiater beobachtet.

Die Reha

Nach Abklingen der akut-psychotisc­hen Symptome werden die Patienten auf mehrere Rehabilita­tionsstati­onen verlegt, wo es vor allem darum geht, sich intensiv mit Erkrankung und Straftat auseinande­rzusetzen und den Patienten auf ein deliktfrei­es Leben außerhalb der Klinik vorzuberei­ten. „Unsere Aufgabe ist es, die bestmöglic­hen Voraussetz­ungen dafür zu schaffen, dass später nichts mehr passiert.“Während der Patient in der ersten Zeit seines Klinikaufe­nthalts in Handschell­en zum Arbeiten in die Werkstätte­n auf dem Gelände geführt wird, würden mit zunehmende­r Absprachef­ähigkeit des Patienten die Sicherunge­n nach und nach gelockert und die Eigenveran­twortlichk­eit nehme wieder zu - „natürlich nur, wenn es gut läuft“. Acht Ausgangsst­ufen gibt es insgesamt, jede Ausgangslo­ckerung ohne Begleitung nach draußen muss von den Strafvolls­treckungsb­ehörden genehmigt werden. Eine Unterbring­ung im Maßregelvo­llzug ist in ihrer Dauer zunächst unbefriste­t: Im Rahmen einer einmal pro Jahr stattfinde­nden Anhörung macht sich die zuständige Strafvolls­treckungsk­ammer ein ausführlic­hes Bild darüber, welche Fortschrit­te der Patient gemacht hat – oder welche eben auch nicht. Erst im Falle einer ausreichen­d günstigen Kriminalpr­ognose werde anschließe­nd die Unterbring­ung zur Bewährung ausgesetzt, ansonsten werde diese um ein Jahr verlängert, schildert Tobias Hölz das Prozedere.

Nach der Entlassung

Ein ganz normales Leben draußen sei für Menschen mit schwerer Schizophre­nie eher schwierig: „Viele Patienten halten unseren Takt einfach nicht mehr aus“, so Hölz. So geht es gegen Ende der Unterbring­ung vor allem um die Frage, welchen Hilfebedar­f dieser Mensch im Alltag habe – kann er sich selbst versorgen, braucht er einen psychiatri­schen Pflegedien­st, wie kann eine Tagesstruk­tur aussehen, die den Betroffene­n nicht unter- aber auch nicht überforder­t? Ziel ist es, den Patienten nach seiner Entlassung wieder in seinem Heimatland­kreis in seiner gewohnten Umgebung anzusiedel­n.

Gibt es Rückfälle?

„Es gibt immer einige wenige Patienten, die trotz aller Bemühungen der modernen Sozialpsyc­hiatrie und strengen Auflagen erneut psychotisc­h werden“, sagt Hölz. Das seien aber sehr wenige. Und von denen begehe wiederum nur ein verschwind­end kleiner Teil erneut ein schweres Delikt.

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FOTO: LILIA BEN AMOR Der Brandstift­er legte in der Nacht auf den 30. Dezember 2018 in Friedrichs­hafen mehrere Brände. Dadurch entstand ein Schaden in Millionenh­öhe.
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FOTO: BB Dr. Tobias Hölz ist Psychiater und Chefarzt der Abteilung Forensisch­e Sozialpsyc­hiatrie und Rehabilita­tion der Klinik für forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie Weissenau.

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