Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Blutritt als Unesco-Welterbe
Unesco-Kommission sieht Bedeutung, fragt aber wegen Öffnung für Frauen und NS-Zeit nach
Kommission fordert Nachbesserungen beim Antrag für die nächste Stufe.
WEINGARTEN - Der weite Weg des Blutritts in Weingarten zur Ernennung zum immateriellen UnescoWelterbe wird immer konkreter. So gibt es positive Signale, dass der Blutfreitag gute Chancen hat, nach der landesweiten Auswahl den nächsten wichtigen Schritt – die Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes – zu schaffen. Gleichsam hat die Deutsche Unesco-Kommission Nachbesserungen im Antrag gefordert. Und die betreffen ziemlich heikle Themen.
So bat die Kommission in einem Schreiben an die Stadt bereits im Dezember vergangenen Jahres um eine Präzisierung der Unterlagen. Einerseits ging es um die Frage zur aktuellen und künftigen Offenheit beziehungsweise Wandlungsfähigkeit des Blutrittes. Andererseits fragte die Kommission bezüglich der „Reflexion zur Brauchpraxis während der Zeit des Nationalsozialismus“nach.
Dass die Kommission gerade diese beiden heiklen Themen anspricht, kommt nicht von ungefähr und ist ein starkes Signal. Denn in beiden Punkten hatte der Blutfreitag bislang nicht mit Offenheit geglänzt. Während sich in den vergangenen Jahren gerade Dekan und erster Blutreiter Ekkehard Schmid für eine Öffnung der größten Reiterprozession Europas für Frauen öffentlich bekannt hatte – aktuell dürfen nur Ministrantinnen in Weingarten mitreiten – und auch Bischof Gebhard Fürst sich das vorstellen konnte, blieb das Thema innerhalb der Blutreitergruppen eher unpopulär.
Trotz Nachwuchsproblemen und einer stetig zurückgehenden Gesamtteilnehmerzahl stehe eine Öffnung aktuell nicht auf der Agenda, hieß es immer wieder. Und letztlich – das betonten auch stets die Geistlichen – müsste eine Öffnung von innen heraus, also von den Reitergruppen selbst kommen. So hatte der Gruppenführer der Weingartener Blutreiter, Markus Göttner, in diesem Jahr zwar ein junges Mädchen mitreiten lassen. Allerdings hatte dies persönliche Gründe und sollte auch als Ausnahme verstanden werden. Und auch das Thema Blutritt während des Nationalsozialismus wurde öffentlich bislang kaum diskutiert.
Ob sich das durch die Nachfragen der deutschen Unesco-Kommission in Zukunft ändert, ist unklar. Auf jeden Fall hat die Arbeitsgruppe Weltkulturerbe – ein Expertengremium aus Vertretern der Stadt, des öffentlichen Lebens, der Katholischen Kirchengemeinde St. Martin, der Katholischen Gesamtkirchengemeinde, der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten sowie der Blutreitergruppe Weingarten – im Frühjahr dieses Jahres die Antragsunterlagen in den betreffenden Punkten überarbeitet und dann fristgerecht Ende Mai an die Kommission zurückgesandt. Eine abschließende Entscheidung, ob der Blutritt in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird – aktuell gibt es 97 Listungen –, soll dann bis Ende des Jahres fallen.
Blickt man auf die weiteren Ausführungen aus dem Schreiben vom Dezember 2018, stehen die Chancen nicht schlecht. Denn laut städtischer Pressestelle würdige die Kommission den grundsätzlichen Vorschlag und erkennt „ihn als Brauch mit langer Tradition und hoher identitätsstiftender Bedeutung als möglichen Kandidaten für das Immaterielle Kulturerbe“an. Speziell das starke zivilgesellschaftliche Engagement und die völkerverbindende Wirkung des Blutritts seien laut des Expertengremiums positiv hervorzuheben.
Sollte der Blutritt den Sprung in die nationale Liste schaffen, würde das auch die Möglichkeit eröffnen, auf die internationale Unesco-Liste zu kommen. Denn das ist die Grundvoraussetzung. Ein unabhängiges deutsches Expertenkomitee der deutschen Unesco-Kommission schlägt dann pro Jahr eine Nominierung vor, die von der Kultusministerkonferenz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien bestätigt werden muss und dann international zur Auswahl steht und weitere Hürden nehmen muss.
Und aus Deutschland haben diesen Sprung bislang nur vier Vorschläge geschafft, in die Liste aufgenommen zu werden: Der Blaudruck, der Orgelbau und die Orgelmusik, die Falknerei sowie die Genossenschaftsidee.