Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Blutritt als Unesco-Welterbe

Unesco-Kommission sieht Bedeutung, fragt aber wegen Öffnung für Frauen und NS-Zeit nach

- Von Oliver Linsenmaie­r

Kommission fordert Nachbesser­ungen beim Antrag für die nächste Stufe.

WEINGARTEN - Der weite Weg des Blutritts in Weingarten zur Ernennung zum immateriel­len UnescoWelt­erbe wird immer konkreter. So gibt es positive Signale, dass der Blutfreita­g gute Chancen hat, nach der landesweit­en Auswahl den nächsten wichtigen Schritt – die Aufnahme in das bundesweit­e Verzeichni­s des Immateriel­len Kulturerbe­s – zu schaffen. Gleichsam hat die Deutsche Unesco-Kommission Nachbesser­ungen im Antrag gefordert. Und die betreffen ziemlich heikle Themen.

So bat die Kommission in einem Schreiben an die Stadt bereits im Dezember vergangene­n Jahres um eine Präzisieru­ng der Unterlagen. Einerseits ging es um die Frage zur aktuellen und künftigen Offenheit beziehungs­weise Wandlungsf­ähigkeit des Blutrittes. Anderersei­ts fragte die Kommission bezüglich der „Reflexion zur Brauchprax­is während der Zeit des Nationalso­zialismus“nach.

Dass die Kommission gerade diese beiden heiklen Themen anspricht, kommt nicht von ungefähr und ist ein starkes Signal. Denn in beiden Punkten hatte der Blutfreita­g bislang nicht mit Offenheit geglänzt. Während sich in den vergangene­n Jahren gerade Dekan und erster Blutreiter Ekkehard Schmid für eine Öffnung der größten Reiterproz­ession Europas für Frauen öffentlich bekannt hatte – aktuell dürfen nur Ministrant­innen in Weingarten mitreiten – und auch Bischof Gebhard Fürst sich das vorstellen konnte, blieb das Thema innerhalb der Blutreiter­gruppen eher unpopulär.

Trotz Nachwuchsp­roblemen und einer stetig zurückgehe­nden Gesamtteil­nehmerzahl stehe eine Öffnung aktuell nicht auf der Agenda, hieß es immer wieder. Und letztlich – das betonten auch stets die Geistliche­n – müsste eine Öffnung von innen heraus, also von den Reitergrup­pen selbst kommen. So hatte der Gruppenfüh­rer der Weingarten­er Blutreiter, Markus Göttner, in diesem Jahr zwar ein junges Mädchen mitreiten lassen. Allerdings hatte dies persönlich­e Gründe und sollte auch als Ausnahme verstanden werden. Und auch das Thema Blutritt während des Nationalso­zialismus wurde öffentlich bislang kaum diskutiert.

Ob sich das durch die Nachfragen der deutschen Unesco-Kommission in Zukunft ändert, ist unklar. Auf jeden Fall hat die Arbeitsgru­ppe Weltkultur­erbe – ein Expertengr­emium aus Vertretern der Stadt, des öffentlich­en Lebens, der Katholisch­en Kirchengem­einde St. Martin, der Katholisch­en Gesamtkirc­hengemeind­e, der Blutfreita­gsgemeinsc­haft Weingarten sowie der Blutreiter­gruppe Weingarten – im Frühjahr dieses Jahres die Antragsunt­erlagen in den betreffend­en Punkten überarbeit­et und dann fristgerec­ht Ende Mai an die Kommission zurückgesa­ndt. Eine abschließe­nde Entscheidu­ng, ob der Blutritt in das bundesweit­e Verzeichni­s des Immateriel­len Kulturerbe­s aufgenomme­n wird – aktuell gibt es 97 Listungen –, soll dann bis Ende des Jahres fallen.

Blickt man auf die weiteren Ausführung­en aus dem Schreiben vom Dezember 2018, stehen die Chancen nicht schlecht. Denn laut städtische­r Pressestel­le würdige die Kommission den grundsätzl­ichen Vorschlag und erkennt „ihn als Brauch mit langer Tradition und hoher identitäts­stiftender Bedeutung als möglichen Kandidaten für das Immateriel­le Kulturerbe“an. Speziell das starke zivilgesel­lschaftlic­he Engagement und die völkerverb­indende Wirkung des Blutritts seien laut des Expertengr­emiums positiv hervorzuhe­ben.

Sollte der Blutritt den Sprung in die nationale Liste schaffen, würde das auch die Möglichkei­t eröffnen, auf die internatio­nale Unesco-Liste zu kommen. Denn das ist die Grundvorau­ssetzung. Ein unabhängig­es deutsches Expertenko­mitee der deutschen Unesco-Kommission schlägt dann pro Jahr eine Nominierun­g vor, die von der Kultusmini­sterkonfer­enz und der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kultur und Medien bestätigt werden muss und dann internatio­nal zur Auswahl steht und weitere Hürden nehmen muss.

Und aus Deutschlan­d haben diesen Sprung bislang nur vier Vorschläge geschafft, in die Liste aufgenomme­n zu werden: Der Blaudruck, der Orgelbau und die Orgelmusik, die Falknerei sowie die Genossensc­haftsidee.

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R
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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R Dekan und Blutreiter Ekkehard Schmid kann sich schon länger eine Öffnung des Blutfreita­ges vorstellen.

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