Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Autoindustrie bei der IAA unter Druck
Zweifel an Klimaschutzkonzepten der Konzerne – Daimler-Chef Källenius für CO2-Steuer
FRANKFURT - Der schwierige Umbruch von klimaschädlichen Verbrennern zu massentauglicher Elektromobilität dominiert die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt. Viele Aussteller stellen auf der größten Branchenmesse der Welt neue Antriebskonzepte und Techniken für CO2-ärmeres und vernetztes Fahren vor. Andererseits ringen die Konzerne mit den nötigen Veränderungen und Folgen für die Jobs. Viele Zulieferer, etwa Continental oder auch ZF aus Friedrichshafen, rechnen mit einer über Jahre schwachen Autokonjunktur. Sie bekommen die sinkende Nachfrage nach herkömmlicher Verbrennertechnologie bereits zu spüren. In Frankfurt muss sich die Branche zudem massiven Protesten stellen. An den Publikumstagen am Wochenende soll es Demonstrationen geben.
Branchenführer Volkswagen will mit dem in Frankfurt erstmals gezeigten Mittelklasse-E-Modell ID.3 ein Bekenntnis zum Wandel ablegen. Das vollelektrische Auto soll eine ganze Serie begründen. Kritiker nehmen den Wolfsburgern den Schwenk jedoch nicht ab. Die Aktivistin Tina Velo, mit der Vorstandschef Herbert Diess am Montag diskutiert hatte, sagte, die Autoindustrie sei „hochgradig kriminell“, VW biete aus Profitgründen zu viele SUVs an. Diess entgegnete, der Konzern meine es ernst mit dem Klimaschutz. VWMarkengeschäftsführer Ralf Brandstätter erklärte, Klimaschutz sei heute „nicht Werbung oder ein Claim, sondern innere Haltung“.
Konkurrent Daimler, der seine Fabriken bis 2022 CO2-neutral machen möchte, will auch seine Zulieferer zu klimaneutraler Produktion bewegen. Vorstandschef Ola Källenius befürwortete in Frankfurt zudem einen CO2-Steuer: „Industrie und Politik müssen den Weg zur Klimawende gemeinsam gehen. Ein wirksamer Weg ist ein Preis für Kohlendioxid. Man muss ökologische Innovationen koppeln mit ökonomischen Anreizen.“Auch ZF-Chef Wolf-Henning Scheider sagte: „Ich halte es durchaus für sinnvoll, wenn alle Sektoren einen Beitrag leisten. Allerdings verteuert das die individuelle Mobilität weiter – und das wird zu einem geringeren Wachstum der Automärkte führen.“
FRANKFURT - Der Unterschied hätte nicht größer sein können. Tina Velo steht am Montagabend barfuß vor dem Eingang zur Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA). Die Sprecherin der Protestgruppierung „Sand im Getriebe“zieht frische Socken an und schlüpft in ihre Schuhe. Immer wieder eilen Manager im Anzug an ihr vorbei, um noch rechtzeitig zur Show des Mannes zu kommen, mit dem die Aktivistin sich kurz zuvor eine leidenschaftliche Debatte geliefert hat. Volkswagen-Chef Herbert Diess hatte am Vorabend der IAA zur Weltpremiere des ID3 eingeladen.
Kurze Zeit später leuchten grelle Scheinwerfer die Bühne in Halle 3 der Messe Frankfurt aus. Zu dröhnender Musik fällt ein weißer Vorhang, und das neue Elektroauto von VW fährt ins Rampenlicht. Diess, im blauen Anzug, gestreifte Krawatte, hört zu, wie sein Design-Chef die Linienführung des Autos erklärt und lächelt. Dann tritt er an den ID3 heran und streicht über das Dach. „Das ist mehr als ein neues Modell, es ist das Auto, das von uns erwartet wurde und das die Elektromobilität aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft bringt“, sagt der VW-Chef.
Zuvor beim von der Tageszeitung „taz“organisierten Zwiegespräch mit Tina Velo lächelt Diess nicht. Sachlich, hochkonzentriert, höflich versucht der Manager die aus seiner Sicht falschen Argumente der 33 Jahre alten Kritikerin der Autoindustrie zu widerlegen. Mit Gelassenheit und einer Portion Demut reagiert der 60Jährige auf die Vorwürfe, dass die Automobilbranche als kriminelle Industrie ihre Profite auf Kosten der Allgemeinheit erwirtschafte.
Überraschend war nicht die Heftigkeit der Angriffe Velos, auch nicht die Ruhe, mit der Diess reagierte, sondern die Tatsache, dass sich der Chef des größten Autobauers der Welt überhaupt zu einem Gespräch mit Velo bereit erklärt hatte. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre zeigt, wie sehr die Automobilbranche unter Druck steht. Nicht weil Velos Bündnis „Sand im Getriebe“für das Wochenende militante Proteste angekündigt hat – gegen die IAA „als symbolischen Ort, an dem sich die Spitzenindustrie trifft, um eine Technologie von vorvorgestern zu feiern“. Die Konzerne stehen mit dem Rücken zur Wand, weil die Gefahren des Klimawandels in den Köpfen vieler Menschen angekommen sind, und die Gesellschaft den Individualverkehr als entscheidenden Umweltverschmutzer ausgemacht hat.
Klimawandel gehört die Bühne
Die Bereitschaft, sich auf die Fragen, auf die Vorwürfe und die eigenen Fehler einzulassen, zeigt nicht nur Herbert Diess. Das Thema Umwelt und Klimawandel ist das bestimmende Thema der IAA. Power, Chrom und röhrende Motoren waren gestern. Die Sorge um die Zukunft der Welt bestimmt die Auftritte vieler Konzerne. „Uns geht es um die nächste Generation – und was bewegt die nächste Generation? Der Klimawandel“, beginnt BMW-Chef Oliver Zipse seine Rede, um sich gleich im nächsten Satz zu den Pariser Klimazielen zu bekennen.
Über die riesigen Bildschirme bei Daimler flimmern Filme mit romantischen Parkanlagen, mit buntem Laub und filigranen Blüten und einer Frau, die nachdenklich in die Ferne blickt. Danach lässt Vorstandschef Ola Källenius die Elektroautos der Daimler-Marke Mercedes auf die Bühne fahren. „Ich denke, es ist offensichtlich. Mercedes ist elektrisch“, sagt der Schwede. „Wir übernehmen Verantwortung.“
Bei VW nimmt Design-Chef Klaus Bischoff ein junges Mädchen mit auf die Bühne. „Wir starten in eine Zukunft, die deine Erwartungen erfüllen wird“, sagt der 57-Jährige und fragt seine Begleiterin, wie sie sich die Autos der Zukunft vorstelle. „Sie müssen gut aussehen, sympathisch wirken, einfach zu bedienen sein, elektrisch fahren, und sie dürfen die Luft nicht verschmutzen“, lautet die Antwort. Charakteigenschaften, die nicht von ungefähr den auf der Bühne geparkten ID3 von Volkswagen beschreiben – zumindest aus Sicht von Bischoff und seinem Chef Herbert Diess.
Tina Velo lehnt solche Konzepte vor allem mit Blick auf die vielen auf der IAA zur Schau gestellten Stadtgeländewagen („Sport Utility Vehicle“– SUV) als scheinheilig ab. „Für jedes verkaufte Elektroauto können Sie am Ende einen SUV mehr auf den Markt bringen“, hatte Velo im Gespräch mit Diess erklärt. Für die Sprecherin von „Sand im Getriebe“ist das Auto an sich die Wurzel allen Übels. „Ihr Greenwashing macht mich wütend“, griff die Aktivistin den Konzernchef an. „Mir dreht sich der Magen um, in Ihrem Portfolio haben Sie neben den Elektroautos dicke fette Geländewagen, Klimakiller, Stadtpanzer“, erklärte Velo. „Wir müssen weg von Profitmaximierung und Wachstumslogik. Sie produzieren und verkaufen Autos, die unsere Umwelt zerstören.“
Diess hielt dagegen und verteidigte seine Branche. „Die Autoindustrie hat die Zeichen der Zeit erkannt, die Konzerne sind auf dem richtigen Weg“, betonte der Manager immer wieder. Die Gewinne brauche man, um die Zukunftstechnologien zu finanzieren. „Wir müssen die individuelle Mobilität nachhaltig und menschenfreundlich gestalten“, erklärte Diess. „In 20 Jahren werden wir nicht mehr über Unfälle und Emissionen reden.“Und auch die Entwicklung eines Autos wie des ID3 sei kein Feigenblatt. „Wir meinen das ernst“, sagte Diess. Die Serienfertigung des ID3 soll im November im VW-Werk in Zwickau anlaufen, für das Frühjahr 2020 sind die ersten Auslieferungen geplant.
Keine Gemeinsamkeiten
Im Anschluss bezeichnete Velo die Diskussion mit dem VolkswagenChef als konstruktiv. „Allerdings“, erklärte Velo im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, „Herbert Diess hat sich entlarvt und deutlich gemacht, dass er sich nicht vom Individualverkehr verabschieden will.“Das müsse aber das Ziel sein, weshalb die von „Sand im Getriebe“für Sonntag angekündigte Blockade der IAA gerechtfertigt sei. Die Aktivisten wollen nach Angaben Velos in einer Aktion des zivilen Ungehorsams die Eingänge zur Messe mit ihren Körpern versperren.
Der Volkswagen-Chef begrüßte die Tatsache, dass die Diskussion überhaupt stattgefunden hat, nachdem das Bündnis zuerst eine Einladung des Automobilverbands ausgeschlagen hatte. „Es ist besser miteinander zu reden, als sich gegenseitig Transparente vor die Nase zu halten“, sagte Diess der „Schwäbischen Zeitung“. „Aber wir haben eine grundsätzlich unterschiedliche Einschätzung, was den Individualverkehr betrifft: Wir glauben an das Auto.“
Und auch in dieser Einschätzung sprach Herbert Diess für seine Branche. Daimler-Chef Källenius prophezeite, dass der Bedarf an individueller Mobilität in Zukunft noch zunehmen werde. „Mobilität ist Fortschritt. In Ländern, in denen Menschen am mobilsten sind, ist auch der Fortschritt am größten. Deshalb ist Mobilität nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern sogar ein Grundrecht“, sagt der Vorstandsvorsitzende des baden-württembergischen Traditionskonzerns, während hinter ihm grüne Stadtansichten von Frankfurt über die Bildschirme flimmern.
Das Ziel der Autobranche, das wurden die Chefs der Konzerne nicht müde zu betonen, bleibt die kohlendioxidneutrale individuelle Mobilität im Jahr 2050. „Wir haben die Lösungen dafür, daran arbeiten wir seit Jahren, man muss sich nur auf der IAA umschauen“, sagte ZFChef Wolf-Henning Scheider. „Wir müssen die Technologien jetzt noch in den Markt bringen.“
Tina Velo hätte das vehement zurückgewiesen. Für sie sind die auf der IAA präsentierten Technologien nicht die Lösung, sondern das Problem.