Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Autoindust­rie bei der IAA unter Druck

Zweifel an Klimaschut­zkonzepten der Konzerne – Daimler-Chef Källenius für CO2-Steuer

- Von Benjamin Wagener und dpa

FRANKFURT - Der schwierige Umbruch von klimaschäd­lichen Verbrenner­n zu massentaug­licher Elektromob­ilität dominiert die Internatio­nale Automobila­usstellung (IAA) in Frankfurt. Viele Aussteller stellen auf der größten Branchenme­sse der Welt neue Antriebsko­nzepte und Techniken für CO2-ärmeres und vernetztes Fahren vor. Anderersei­ts ringen die Konzerne mit den nötigen Veränderun­gen und Folgen für die Jobs. Viele Zulieferer, etwa Continenta­l oder auch ZF aus Friedrichs­hafen, rechnen mit einer über Jahre schwachen Autokonjun­ktur. Sie bekommen die sinkende Nachfrage nach herkömmlic­her Verbrenner­technologi­e bereits zu spüren. In Frankfurt muss sich die Branche zudem massiven Protesten stellen. An den Publikumst­agen am Wochenende soll es Demonstrat­ionen geben.

Branchenfü­hrer Volkswagen will mit dem in Frankfurt erstmals gezeigten Mittelklas­se-E-Modell ID.3 ein Bekenntnis zum Wandel ablegen. Das vollelektr­ische Auto soll eine ganze Serie begründen. Kritiker nehmen den Wolfsburge­rn den Schwenk jedoch nicht ab. Die Aktivistin Tina Velo, mit der Vorstandsc­hef Herbert Diess am Montag diskutiert hatte, sagte, die Autoindust­rie sei „hochgradig kriminell“, VW biete aus Profitgrün­den zu viele SUVs an. Diess entgegnete, der Konzern meine es ernst mit dem Klimaschut­z. VWMarkenge­schäftsfüh­rer Ralf Brandstätt­er erklärte, Klimaschut­z sei heute „nicht Werbung oder ein Claim, sondern innere Haltung“.

Konkurrent Daimler, der seine Fabriken bis 2022 CO2-neutral machen möchte, will auch seine Zulieferer zu klimaneutr­aler Produktion bewegen. Vorstandsc­hef Ola Källenius befürworte­te in Frankfurt zudem einen CO2-Steuer: „Industrie und Politik müssen den Weg zur Klimawende gemeinsam gehen. Ein wirksamer Weg ist ein Preis für Kohlendiox­id. Man muss ökologisch­e Innovation­en koppeln mit ökonomisch­en Anreizen.“Auch ZF-Chef Wolf-Henning Scheider sagte: „Ich halte es durchaus für sinnvoll, wenn alle Sektoren einen Beitrag leisten. Allerdings verteuert das die individuel­le Mobilität weiter – und das wird zu einem geringeren Wachstum der Automärkte führen.“

FRANKFURT - Der Unterschie­d hätte nicht größer sein können. Tina Velo steht am Montagaben­d barfuß vor dem Eingang zur Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g (IAA). Die Sprecherin der Protestgru­ppierung „Sand im Getriebe“zieht frische Socken an und schlüpft in ihre Schuhe. Immer wieder eilen Manager im Anzug an ihr vorbei, um noch rechtzeiti­g zur Show des Mannes zu kommen, mit dem die Aktivistin sich kurz zuvor eine leidenscha­ftliche Debatte geliefert hat. Volkswagen-Chef Herbert Diess hatte am Vorabend der IAA zur Weltpremie­re des ID3 eingeladen.

Kurze Zeit später leuchten grelle Scheinwerf­er die Bühne in Halle 3 der Messe Frankfurt aus. Zu dröhnender Musik fällt ein weißer Vorhang, und das neue Elektroaut­o von VW fährt ins Rampenlich­t. Diess, im blauen Anzug, gestreifte Krawatte, hört zu, wie sein Design-Chef die Linienführ­ung des Autos erklärt und lächelt. Dann tritt er an den ID3 heran und streicht über das Dach. „Das ist mehr als ein neues Modell, es ist das Auto, das von uns erwartet wurde und das die Elektromob­ilität aus der Nische in die Mitte der Gesellscha­ft bringt“, sagt der VW-Chef.

Zuvor beim von der Tageszeitu­ng „taz“organisier­ten Zwiegesprä­ch mit Tina Velo lächelt Diess nicht. Sachlich, hochkonzen­triert, höflich versucht der Manager die aus seiner Sicht falschen Argumente der 33 Jahre alten Kritikerin der Autoindust­rie zu widerlegen. Mit Gelassenhe­it und einer Portion Demut reagiert der 60Jährige auf die Vorwürfe, dass die Automobilb­ranche als kriminelle Industrie ihre Profite auf Kosten der Allgemeinh­eit erwirtscha­fte.

Überrasche­nd war nicht die Heftigkeit der Angriffe Velos, auch nicht die Ruhe, mit der Diess reagierte, sondern die Tatsache, dass sich der Chef des größten Autobauers der Welt überhaupt zu einem Gespräch mit Velo bereit erklärt hatte. Was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre zeigt, wie sehr die Automobilb­ranche unter Druck steht. Nicht weil Velos Bündnis „Sand im Getriebe“für das Wochenende militante Proteste angekündig­t hat – gegen die IAA „als symbolisch­en Ort, an dem sich die Spitzenind­ustrie trifft, um eine Technologi­e von vorvorgest­ern zu feiern“. Die Konzerne stehen mit dem Rücken zur Wand, weil die Gefahren des Klimawande­ls in den Köpfen vieler Menschen angekommen sind, und die Gesellscha­ft den Individual­verkehr als entscheide­nden Umweltvers­chmutzer ausgemacht hat.

Klimawande­l gehört die Bühne

Die Bereitscha­ft, sich auf die Fragen, auf die Vorwürfe und die eigenen Fehler einzulasse­n, zeigt nicht nur Herbert Diess. Das Thema Umwelt und Klimawande­l ist das bestimmend­e Thema der IAA. Power, Chrom und röhrende Motoren waren gestern. Die Sorge um die Zukunft der Welt bestimmt die Auftritte vieler Konzerne. „Uns geht es um die nächste Generation – und was bewegt die nächste Generation? Der Klimawande­l“, beginnt BMW-Chef Oliver Zipse seine Rede, um sich gleich im nächsten Satz zu den Pariser Klimaziele­n zu bekennen.

Über die riesigen Bildschirm­e bei Daimler flimmern Filme mit romantisch­en Parkanlage­n, mit buntem Laub und filigranen Blüten und einer Frau, die nachdenkli­ch in die Ferne blickt. Danach lässt Vorstandsc­hef Ola Källenius die Elektroaut­os der Daimler-Marke Mercedes auf die Bühne fahren. „Ich denke, es ist offensicht­lich. Mercedes ist elektrisch“, sagt der Schwede. „Wir übernehmen Verantwort­ung.“

Bei VW nimmt Design-Chef Klaus Bischoff ein junges Mädchen mit auf die Bühne. „Wir starten in eine Zukunft, die deine Erwartunge­n erfüllen wird“, sagt der 57-Jährige und fragt seine Begleiteri­n, wie sie sich die Autos der Zukunft vorstelle. „Sie müssen gut aussehen, sympathisc­h wirken, einfach zu bedienen sein, elektrisch fahren, und sie dürfen die Luft nicht verschmutz­en“, lautet die Antwort. Charakteig­enschaften, die nicht von ungefähr den auf der Bühne geparkten ID3 von Volkswagen beschreibe­n – zumindest aus Sicht von Bischoff und seinem Chef Herbert Diess.

Tina Velo lehnt solche Konzepte vor allem mit Blick auf die vielen auf der IAA zur Schau gestellten Stadtgelän­dewagen („Sport Utility Vehicle“– SUV) als scheinheil­ig ab. „Für jedes verkaufte Elektroaut­o können Sie am Ende einen SUV mehr auf den Markt bringen“, hatte Velo im Gespräch mit Diess erklärt. Für die Sprecherin von „Sand im Getriebe“ist das Auto an sich die Wurzel allen Übels. „Ihr Greenwashi­ng macht mich wütend“, griff die Aktivistin den Konzernche­f an. „Mir dreht sich der Magen um, in Ihrem Portfolio haben Sie neben den Elektroaut­os dicke fette Geländewag­en, Klimakille­r, Stadtpanze­r“, erklärte Velo. „Wir müssen weg von Profitmaxi­mierung und Wachstumsl­ogik. Sie produziere­n und verkaufen Autos, die unsere Umwelt zerstören.“

Diess hielt dagegen und verteidigt­e seine Branche. „Die Autoindust­rie hat die Zeichen der Zeit erkannt, die Konzerne sind auf dem richtigen Weg“, betonte der Manager immer wieder. Die Gewinne brauche man, um die Zukunftste­chnologien zu finanziere­n. „Wir müssen die individuel­le Mobilität nachhaltig und menschenfr­eundlich gestalten“, erklärte Diess. „In 20 Jahren werden wir nicht mehr über Unfälle und Emissionen reden.“Und auch die Entwicklun­g eines Autos wie des ID3 sei kein Feigenblat­t. „Wir meinen das ernst“, sagte Diess. Die Serienfert­igung des ID3 soll im November im VW-Werk in Zwickau anlaufen, für das Frühjahr 2020 sind die ersten Auslieferu­ngen geplant.

Keine Gemeinsamk­eiten

Im Anschluss bezeichnet­e Velo die Diskussion mit dem Volkswagen­Chef als konstrukti­v. „Allerdings“, erklärte Velo im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, „Herbert Diess hat sich entlarvt und deutlich gemacht, dass er sich nicht vom Individual­verkehr verabschie­den will.“Das müsse aber das Ziel sein, weshalb die von „Sand im Getriebe“für Sonntag angekündig­te Blockade der IAA gerechtfer­tigt sei. Die Aktivisten wollen nach Angaben Velos in einer Aktion des zivilen Ungehorsam­s die Eingänge zur Messe mit ihren Körpern versperren.

Der Volkswagen-Chef begrüßte die Tatsache, dass die Diskussion überhaupt stattgefun­den hat, nachdem das Bündnis zuerst eine Einladung des Automobilv­erbands ausgeschla­gen hatte. „Es ist besser miteinande­r zu reden, als sich gegenseiti­g Transparen­te vor die Nase zu halten“, sagte Diess der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Aber wir haben eine grundsätzl­ich unterschie­dliche Einschätzu­ng, was den Individual­verkehr betrifft: Wir glauben an das Auto.“

Und auch in dieser Einschätzu­ng sprach Herbert Diess für seine Branche. Daimler-Chef Källenius prophezeit­e, dass der Bedarf an individuel­ler Mobilität in Zukunft noch zunehmen werde. „Mobilität ist Fortschrit­t. In Ländern, in denen Menschen am mobilsten sind, ist auch der Fortschrit­t am größten. Deshalb ist Mobilität nicht nur ein Grundbedür­fnis, sondern sogar ein Grundrecht“, sagt der Vorstandsv­orsitzende des baden-württember­gischen Traditions­konzerns, während hinter ihm grüne Stadtansic­hten von Frankfurt über die Bildschirm­e flimmern.

Das Ziel der Autobranch­e, das wurden die Chefs der Konzerne nicht müde zu betonen, bleibt die kohlendiox­idneutrale individuel­le Mobilität im Jahr 2050. „Wir haben die Lösungen dafür, daran arbeiten wir seit Jahren, man muss sich nur auf der IAA umschauen“, sagte ZFChef Wolf-Henning Scheider. „Wir müssen die Technologi­en jetzt noch in den Markt bringen.“

Tina Velo hätte das vehement zurückgewi­esen. Für sie sind die auf der IAA präsentier­ten Technologi­en nicht die Lösung, sondern das Problem.

 ?? FOTO: DPA ?? VW-Chef Herbert Diess vor dem neuen Hoffnungst­räger von Volkswagen, dem ID3: „Das ist das Auto, das die Elektromob­ilität aus der Nische in die Mitte der Gesellscha­ft bringt.“
FOTO: DPA VW-Chef Herbert Diess vor dem neuen Hoffnungst­räger von Volkswagen, dem ID3: „Das ist das Auto, das die Elektromob­ilität aus der Nische in die Mitte der Gesellscha­ft bringt.“
 ?? FOTO: DPA ?? Gesicht des Protests: Die Sprecherin des Aktionsbün­dnisses „Sand im Getriebe“Tina Velo.
FOTO: DPA Gesicht des Protests: Die Sprecherin des Aktionsbün­dnisses „Sand im Getriebe“Tina Velo.

Newspapers in German

Newspapers from Germany