Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schuldsprüche nehmen zu
Richter im Südwesten verurteilen 104 800 Straftäter
STUTTGART (kab) - Die Zahl der Verurteilungen in Baden-Württemberg ist 2018 im Vorjahresvergleich drastisch gestiegen. Die Richter haben im vergangenen Jahr fast 104 800 Straftäter schuldig gesprochen. Das ist ein Anstieg um 4,1 Prozent. „Wir haben den ersten erheblichen Anstieg seit 2007 zu verzeichnen“, sagte Justizminister Guido Wolf (CDU) bei der Vorstellung der Strafvervolgungsstatistik am Dienstag in der Landeshauptstadt Stuttgart.
Für die Zunahme gebe es viele Gründe, so Wolf. Einer könnte sein, dass Menschen Straftaten häufiger anzeigten. Einen anderen Grund sieht der Minister in den 150 Stellen, die im Justizbereich seit seinem Amtstritt vor drei Jahren hinzugekommen seien.
Einen erheblichen Anteil an den Schuldsprüchen haben Menschen ohne deutschen Pass. Wie Wolf erklärte, bedürften diese Zahlen einiger Erläuterungen.
STUTTGART - Baden-Württembergs Richter haben 2018 deutlich mehr Menschen verurteilt als im Jahr zuvor. Der Anteil an Verurteilten mit einem ausländischen Pass ist drastisch gestiegen. Die Zahlen, die Justizminister Guido Wolf (CDU) und die Präsidentin des Statistischen Landesamts Carmina Brenner am Dienstag in Stuttgart vorgestellt haben, klingen zunächst erschreckend. Die Details und einige Erklärungen:
Was besagen die Zahlen?
Die Strafverfolgungsstatistik bietet einen Überblick über die Arbeit der Staatsanwaltschaften und der Gerichte im Land. Der Unterschied zu Statistiken der Polizei: Wenn Straftäter etwa nicht ermittelt werden konnten, tauchen sie in dieser Statistik nicht auf.
Was hat sich verändert?
2018 haben die Richter im Land 104 797 Menschen verurteilt. Das sind 4100 mehr als im Vorjahr – ein Anstieg um 4,1 Prozent. So drastisch sind die Zahlen in den vergangenen 14 Jahren nicht gestiegen. „Ein annähernder Zuwachs war zuletzt 2004 zu verzeichnen“, sagt Minister Wolf. Die absolute Zahl ist aber kein Ausreißer nach oben. Zwischen 1998 und 2014 wurden jedes Jahr mehr Menschen verurteilt als im vergangenen Jahr. Lediglich von 2015 bis 2017 lag die Zahl darunter. Die Verurteilungsquote von 85,8 Prozent liegt auf dem Niveau der vergangenen 20 Jahre. Die Zahl der Freisprüche ist mit gut zwei Prozent konstant niedrig. In den restlichen Fällen wurden die Verfahren etwa gegen eine Geldzahlung eingestellt. Auch wenn ein Straftäter wegen einer Suchterkrankung in eine psychiatrische Klinik statt ins Gefängnis geschickt wird, gilt dies nicht als Verurteilung. Mit 18,1 Prozent liegt die Frauenquote an den Verurteilten ungefähr auf dem Niveau der vergangenen Jahre.
Welchen Anteil haben Ausländer an den Verurteilungen?
Ihr Anteil ist der höchste seit 20 Jahren. 41,2 Prozent aller Verurteilten hatten keinen deutschen Pass. Wolf und Carmina Brenner haben dafür mehrere Erklärungen. Zum einen ist der Anteil von Ausländern an der Bevölkerung insgesamt um 4,2 Prozentpunkte gewachsen – 1,5 Millionen leben im Südwesten. Die Zahl der Deutschen hat dabei leicht um 0,1 Prozentpunkte abgenommen und liegt bei 8,1 Millionen. Dabei ist der Anteil junger Männer ohne deutbei schen Pass besonders deutlich gestiegen. Das ist laut Wolf genau jene Gruppe, die überproportional häufig kriminell wird – egal welcher Herkunft. Neben dieser demografischen Entwicklung gibt es auch Straftaten, die ausschließlich Ausländer begehen können, etwa Asylbetrug und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz. Um diese Vergehen ist die Statistik nicht bereinigt.
Was sind die häufigsten Taten?
Sieben von zehn Schuldsprüchen lassen sich in fünf Gruppen von Straftaten einsortieren. Straßenverkehrsdelikte führen bei Deutschen (26,1 Prozent) wie auch bei Ausländern (20,9 Prozent) die Liste an. Am zweithäufigsten wurden Deutsche wegen Betrugs und Untreue verurteilt (19,7 Prozent), was bei Ausländern erst auf Platz drei folgt (18,8 Prozent). Bei ihnen steht an zweiter Stelle Diebstahl (20,1 Prozent), der bei Deutschen auf Platz drei folgt (11,3 Prozent). Drogendelikte und Gewaltverbrechen folgen bei Deutschen (11,1 und 3,2 Prozent) wie auch Ausländern (7,1 und 4,2 Prozent) auf den vierten und fünften Plätzen. In allen Gruppen ist die Zahl der Vergehen gestiegen.
Welche Verbrechen haben besonders zugenommen?
1000 Menschen mehr als im Vorjahr wurden wegen Betrugs oder Untreue verurteilt – das ist ein deutlicher Zuwachs um 5,3 Prozent. Besonders drastisch gestiegen sind die Verurteilungen wegen Erschleichens von Leistungen. Dazu gehört etwa Schwarzfahren (plus 1200 Fälle). Immer wieder diskutiert die Politik darüber, dieses Vergehen nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Unter anderem die Grünen sehen darin eine Möglichkeit, Justiz und Polizei zu entlasten. Dem erteilt Wolf eine klare Absage: „Es wäre eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats, Kleinkriminalität zu bagatellisieren.“Verurteilungen wegen Drogendelikten haben deutlich um 7,7 Prozent auf 9900 Schuldsprüche zugenommen. Die Gewaltdelikte, zu denen neben schwerer Körperverletzung auch Mord, Totschlag und Vergewaltigung gehören, legten um 50 Schuldsprüche (plus 1,5 Prozent) zu. Die Zahl der Sexualstraftaten ist, wie bereits im Vorjahr, deutlich um 22,2 Prozent angestiegen. Verurteilung wegen Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung stieg um zwölf Prozent auf 121 Fälle. 75 Prozent des Anstiegs führt Wolf auf eine Verschärfung im Sexualstrafrecht von 2016 zurück.
Wie viele Menschen mussten ins Gefängnis?
In 13,8 Prozent aller Fälle verurteilten die Richter die kriminellen Erwachsenen zu Freiheitsstrafen. Der Wert liegt seit Jahren um die 14 Prozent. Alle anderen Straftäter wurden zu Geldstrafen verurteilt. Die Richter setzen die Strafe aber immer seltener zur Bewährung aus. 30,8 Prozent der Gefängnisstrafen blieben ohne Bewährung, 4119 Menschen mussten ihre Strafe im Gefängnis verbüßen. Das ist der höchste Wert der vergangenen zehn Jahre.