Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von der Leyen setzt Akzente
Künftige EU-Chefin richtet Fokus auf Klima und Digitales
BRÜSSEL (AFP) - Die künftige EUKommissionschefin Ursula von der Leyen will Klimapolitik und Digitalisierung zu Prioritäten machen. Sie stellte am Dienstag in Brüssel die Aufgabenverteilung in ihrer neuen EU-Kommission vor und beauftragte die geschäftsführenden Vize-Präsidenten Frans Timmermans (Klima) und Margrethe Vestager (Digitales) mit der Übernahme der zentralen Themen. Aus dem Europaparlament kam Kritik, etwa am früheren italienischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni, der als Wirtschaftskommissar eingeplant ist, sowie an mehreren Kandidaten aus Osteuropa.
In der EU-Kommission stellt jeder Mitgliedstaat einen Kommissar. Dem Team werden mit 14 Männern und 13 Frauen erstmals fast 50 Prozent Frauen angehören. Von der Leyen verwies zudem darauf, dass Großbritannien bei einer Brexit-Verschiebung auch mit einem Kommissar vertreten sein müsse.
BRÜSSEL - Sie ist die erste Frau im Amt, eine Deutsche dazu – kein Wunder also, dass Ursula von der Leyens erste Pressekonferenz am Dienstag im Brüsseler BerlaymontGebäude auf riesiges Interesse stieß. Mit Bravour meisterte die 60-Jährige ihren Auftritt.
Nicht einmal die oft sehr kritischen französischen Journalisten schienen es übel zu nehmen, dass sie häufiger als bislang zum Kopfhörer greifen mussten. Zwar spricht auch der amtierende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker fließend Deutsch. Mit einer Deutschen an der Spitze aber scheint es ihren Landsleuten unter den Journalisten deutlich leichter zu fallen, im Pressesaal die eigene Muttersprache zu benutzen.
Kleine Unsicherheiten überspielte von der Leyen mit charmantem Lächeln, ihre Pläne skizzierte sie gewandt in drei Sprachen, mit Schwung und Leidenschaft. Fast zwei Stunden lang beantwortete die designierte Kommissionspräsidentin geduldig alle Fragen und verstärkte dadurch den Kontrast zu ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker, der zuletzt zunehmend missmutig und amtsmüde gewirkt hatte.
Ernüchterung setzt allerdings ein, wenn man sich die Struktur der geplanten Leyen-Kommission im Detail ansieht. An schönen Worten mangelt es nicht. Mit dem Zuschnitt der Ressorts und der Verteilung prestigeträchtiger Titel versucht von der Leyen es allen recht zu machen und eine Balance zu finden zwischen Ost, West, Nord und Süd, zwischen Liberalen, Sozialisten und Konservativen, zwischen Männern und Frauen. Dennoch könnten es einige Kandidaten schwer haben, die Befragung durch die Abgeordneten zu überstehen. Da am Ende das EU-Parlament das Personalpaket als Ganzes absegnen muss, sahen sich von der Leyens Vorgänger Barroso und Juncker einst genötigt, einzelne Bewerber zurückzuziehen.
Gegen den polnischen Kandidaten Janusz Wojciechowski ermittelt die EU-Antibetrugsbehörde Olaf wegen womöglich falscher Reiseabrechnungen in seiner Zeit als Eu-Abgeordneter. Auch seine nationalkonservative Gesinnung kommt bei vielen Europaabgeordneten nicht gut an. Der Sprecher der deutschen Sozialdemokraten, Jens Geier, kündigte an zu prüfen, „ob ein echtes Bekenntnis zu den europäischen Verträgen und Werten vorliegt“. Wojciechowski soll für das Landwirtschaftsressort zuständig werden, obwohl Polen den größten Anteil der europäischen Agrarsubventionen erhält. In den anstehenden Haushaltsverhandlungen werden wegen des Brexit harte Kürzungen im Agrarbereich erwartet. Der für Ungarn nominierte Ex-Justizminister László Trócsányi steht in der Kritik, weil er die umstrittene und inzwischen auf europäischen Druck gestoppte Justizreform von Regierungschef Victor Orbán mitgetragen hatte. Und die rumänische Kandidatin Rovana Plumb musste 2017 als Ministerin für Fördermittel zurücktreten, weil Korruptionsvorwürfe gegen sie laut geworden waren.
Ressort Rechtsstaat gestrichen
Auch die mit vielen Zuständigkeiten ausgestattete französische Kommissarin Sylvie Goulard ist kein unbeschriebenes Blatt. Nur einen Monat war sie Verteidigungsministerin im neuen Kabinett von Emmanuel Macron. Dann trat sie zurück, weil die Justiz Ermittlungen aufnahm. Der Vorwurf: Ihre Partei habe Mitarbeiter als parlamentarische Assistenten von EU-Abgeordneten verbucht und aus der EU-Kasse entlohnen lassen, obwohl sie ganz andere Aufgaben innehatten.
Neben dieser Kritik an mindestens vier der 26 Kandidaten haben einige Abgeordnete auch Probleme mit dem Ressortzuschnitt. Die Tschechin Vera Jourova halten sie nicht für die Idealbesetzung des „Werte und Transparenz“betitelten Zuständigkeitsbereiches der neuen Vizepräsidentin.
SPD-Mann Geier kritisiert zudem, dass das bislang eigenständige Ressort Rechtsstaatlichkeit gestrichen wurde. Dafür zeichnete bislang Vizepräsident Frans Timmermans verantwortlich. Er hatte den Konflikt mit den osteuropäischen Staaten in Fragen der Rechtsstaatlichkeit nicht gescheut und sich dabei so unbeliebt gemacht, dass sie seine Kandidatur als Chef der EU-Kommission blockierten.
Malta: Helena Dalli - Gleichstellung (Sozialdemokratin, bisher Ministerin für Europa-Angelegenheiten)
Österreich: Johannes Hahn Haushalt und Verwaltung (Konservativer, bisher EU-Erweiterungskommissar)
Polen: Janusz Wojciechowski Landwirtschaft (National-Konservativer, zuletzt Mitglied des Europäischen Rechnungshofs )
Portugal: Elisa Ferreira - Kohäsion und Reformen (Sozialdemokratin, bisher Vize-Präsidentin der portugiesischen Zentralbank)
Rumänien: Rovana Plumb - Verkehr (Sozialdemokratin, Ex-Ministerin)
Slowenien: Janez Lenarcic - Krisenmanagement (Liberaler, Diplomat)
Slowakei: Maroš Šefcovic - Interinstitutionelle Beziehungen (Sozialdemokrat, bisher für Energie zuständiger EU-Kommissionsvize)
Schweden: Ylva Johansson Inneres (Sozialdemokratin, bisher Arbeitsministerin)
Tschechien: Vera Jourová - Werte und Transparenz (Liberale, bisher EU-Justizkommissarin)
Ungarn: László Trócsányi - Nachbarschaft und Erweiterung (Konservativer, Ex-Justizminister und zuletzt EU-Abgeordneter)
Zypern: Stella Kyriakides - Gesundheit (Konservative, bisher nationale Abgeordnete) (AFP)