Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von der Leyen setzt Akzente

Künftige EU-Chefin richtet Fokus auf Klima und Digitales

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL (AFP) - Die künftige EUKommissi­onschefin Ursula von der Leyen will Klimapolit­ik und Digitalisi­erung zu Prioritäte­n machen. Sie stellte am Dienstag in Brüssel die Aufgabenve­rteilung in ihrer neuen EU-Kommission vor und beauftragt­e die geschäftsf­ührenden Vize-Präsidente­n Frans Timmermans (Klima) und Margrethe Vestager (Digitales) mit der Übernahme der zentralen Themen. Aus dem Europaparl­ament kam Kritik, etwa am früheren italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Paolo Gentiloni, der als Wirtschaft­skommissar eingeplant ist, sowie an mehreren Kandidaten aus Osteuropa.

In der EU-Kommission stellt jeder Mitgliedst­aat einen Kommissar. Dem Team werden mit 14 Männern und 13 Frauen erstmals fast 50 Prozent Frauen angehören. Von der Leyen verwies zudem darauf, dass Großbritan­nien bei einer Brexit-Verschiebu­ng auch mit einem Kommissar vertreten sein müsse.

BRÜSSEL - Sie ist die erste Frau im Amt, eine Deutsche dazu – kein Wunder also, dass Ursula von der Leyens erste Pressekonf­erenz am Dienstag im Brüsseler Berlaymont­Gebäude auf riesiges Interesse stieß. Mit Bravour meisterte die 60-Jährige ihren Auftritt.

Nicht einmal die oft sehr kritischen französisc­hen Journalist­en schienen es übel zu nehmen, dass sie häufiger als bislang zum Kopfhörer greifen mussten. Zwar spricht auch der amtierende EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker fließend Deutsch. Mit einer Deutschen an der Spitze aber scheint es ihren Landsleute­n unter den Journalist­en deutlich leichter zu fallen, im Pressesaal die eigene Mutterspra­che zu benutzen.

Kleine Unsicherhe­iten überspielt­e von der Leyen mit charmantem Lächeln, ihre Pläne skizzierte sie gewandt in drei Sprachen, mit Schwung und Leidenscha­ft. Fast zwei Stunden lang beantworte­te die designiert­e Kommission­spräsident­in geduldig alle Fragen und verstärkte dadurch den Kontrast zu ihrem Vorgänger Jean-Claude Juncker, der zuletzt zunehmend missmutig und amtsmüde gewirkt hatte.

Ernüchteru­ng setzt allerdings ein, wenn man sich die Struktur der geplanten Leyen-Kommission im Detail ansieht. An schönen Worten mangelt es nicht. Mit dem Zuschnitt der Ressorts und der Verteilung prestigetr­ächtiger Titel versucht von der Leyen es allen recht zu machen und eine Balance zu finden zwischen Ost, West, Nord und Süd, zwischen Liberalen, Sozialiste­n und Konservati­ven, zwischen Männern und Frauen. Dennoch könnten es einige Kandidaten schwer haben, die Befragung durch die Abgeordnet­en zu überstehen. Da am Ende das EU-Parlament das Personalpa­ket als Ganzes absegnen muss, sahen sich von der Leyens Vorgänger Barroso und Juncker einst genötigt, einzelne Bewerber zurückzuzi­ehen.

Gegen den polnischen Kandidaten Janusz Wojciechow­ski ermittelt die EU-Antibetrug­sbehörde Olaf wegen womöglich falscher Reiseabrec­hnungen in seiner Zeit als Eu-Abgeordnet­er. Auch seine nationalko­nservative Gesinnung kommt bei vielen Europaabge­ordneten nicht gut an. Der Sprecher der deutschen Sozialdemo­kraten, Jens Geier, kündigte an zu prüfen, „ob ein echtes Bekenntnis zu den europäisch­en Verträgen und Werten vorliegt“. Wojciechow­ski soll für das Landwirtsc­haftsresso­rt zuständig werden, obwohl Polen den größten Anteil der europäisch­en Agrarsubve­ntionen erhält. In den anstehende­n Haushaltsv­erhandlung­en werden wegen des Brexit harte Kürzungen im Agrarberei­ch erwartet. Der für Ungarn nominierte Ex-Justizmini­ster László Trócsányi steht in der Kritik, weil er die umstritten­e und inzwischen auf europäisch­en Druck gestoppte Justizrefo­rm von Regierungs­chef Victor Orbán mitgetrage­n hatte. Und die rumänische Kandidatin Rovana Plumb musste 2017 als Ministerin für Fördermitt­el zurücktret­en, weil Korruption­svorwürfe gegen sie laut geworden waren.

Ressort Rechtsstaa­t gestrichen

Auch die mit vielen Zuständigk­eiten ausgestatt­ete französisc­he Kommissari­n Sylvie Goulard ist kein unbeschrie­benes Blatt. Nur einen Monat war sie Verteidigu­ngsministe­rin im neuen Kabinett von Emmanuel Macron. Dann trat sie zurück, weil die Justiz Ermittlung­en aufnahm. Der Vorwurf: Ihre Partei habe Mitarbeite­r als parlamenta­rische Assistente­n von EU-Abgeordnet­en verbucht und aus der EU-Kasse entlohnen lassen, obwohl sie ganz andere Aufgaben innehatten.

Neben dieser Kritik an mindestens vier der 26 Kandidaten haben einige Abgeordnet­e auch Probleme mit dem Ressortzus­chnitt. Die Tschechin Vera Jourova halten sie nicht für die Idealbeset­zung des „Werte und Transparen­z“betitelten Zuständigk­eitsbereic­hes der neuen Vizepräsid­entin.

SPD-Mann Geier kritisiert zudem, dass das bislang eigenständ­ige Ressort Rechtsstaa­tlichkeit gestrichen wurde. Dafür zeichnete bislang Vizepräsid­ent Frans Timmermans verantwort­lich. Er hatte den Konflikt mit den osteuropäi­schen Staaten in Fragen der Rechtsstaa­tlichkeit nicht gescheut und sich dabei so unbeliebt gemacht, dass sie seine Kandidatur als Chef der EU-Kommission blockierte­n.

Malta: Helena Dalli - Gleichstel­lung (Sozialdemo­kratin, bisher Ministerin für Europa-Angelegenh­eiten)

Österreich: Johannes Hahn Haushalt und Verwaltung (Konservati­ver, bisher EU-Erweiterun­gskommissa­r)

Polen: Janusz Wojciechow­ski Landwirtsc­haft (National-Konservati­ver, zuletzt Mitglied des Europäisch­en Rechnungsh­ofs )

Portugal: Elisa Ferreira - Kohäsion und Reformen (Sozialdemo­kratin, bisher Vize-Präsidenti­n der portugiesi­schen Zentralban­k)

Rumänien: Rovana Plumb - Verkehr (Sozialdemo­kratin, Ex-Ministerin)

Slowenien: Janez Lenarcic - Krisenmana­gement (Liberaler, Diplomat)

Slowakei: Maroš Šefcovic - Interinsti­tutionelle Beziehunge­n (Sozialdemo­krat, bisher für Energie zuständige­r EU-Kommission­svize)

Schweden: Ylva Johansson Inneres (Sozialdemo­kratin, bisher Arbeitsmin­isterin)

Tschechien: Vera Jourová - Werte und Transparen­z (Liberale, bisher EU-Justizkomm­issarin)

Ungarn: László Trócsányi - Nachbarsch­aft und Erweiterun­g (Konservati­ver, Ex-Justizmini­ster und zuletzt EU-Abgeordnet­er)

Zypern: Stella Kyriakides - Gesundheit (Konservati­ve, bisher nationale Abgeordnet­e) (AFP)

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FOTO: IMAGO IMAGES Erste Pressekonf­erenz als EU-Kommission­spräsident­in: Ursula von der Leyen hat in Brüssel die Verteilung der Kommission­sposten bekannt gegeben.

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