Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Rauchen bei Älteren wird zum Problem

Experten betonen, dass das Aufhören sich auch im fortgeschr­ittenen Lebensalte­r lohnt

- Von Julia Giertz

HEIDELBERG (dpa) - Während die Zahl jüngerer Raucher weiter sinkt, wird die Nikotinsuc­ht im Alter aus Sicht von Medizinern ein immer drängender­es Problem. Bei den Männern ist der Raucherant­eil in der Altersgrup­pe der 55- bis 74-Jährigen zwischen 2009 und 2017 um fast neun Prozent auf nahezu ein Viertel gewachsen, bei den Frauen um gut 80 Prozent auf 18,3 Prozent. Grund ist die Alterung der Gesellscha­ft. Doch auch wer in höheren Lebensjahr­en umsteuert, hat Vorteile.

HEIDELBERG (dpa) - Seit Jahren sinkt die Zahl der jungen Raucher. Eine erfreulich­e Entwicklun­g. Doch gleichzeit­ig gibt es immer mehr ältere Menschen, die an der Zigarette hängen: Bei den Männern ist der Raucherant­eil in der Altersgrup­pe der 55- bis 74-Jährigen zwischen 2009 und 2017 um fast neun Prozent auf nahezu ein Viertel gewachsen, bei den Frauen sogar um knapp 80 Prozent auf 18,3 Prozent. Aufgrund der gesundheit­lichen Folgeschäd­en ist das aus Sicht von Gesundheit­sexperten ein drängendes Problem.

Grund für die Zunahme älterer Raucher ist schlicht die demografis­che Entwicklun­g: „Die gestiegene­n Raucherant­eile in den höheren Altersgrup­pen sind vor allem dadurch zu erklären, dass sich die Raucher der mittleren in höhere Altersgrup­pen verschiebe­n“, sagt Ute Mons, Leiterin der Stabstelle Krebspräve­ntion am Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ) in Heidelberg. Dass jemand in höherem Alter anfängt zu rauchen, ist eine Seltenheit. Die hohe Zunahme bei den Frauen liege daran, dass vor den 60er-, 70er-Jahren Frauen nur ganz selten zum Glimmstäng­el gegriffen hätten, erklärt Mons.

Manch ein Raucher in seinen 50ern oder 60ern mag denken: „Jetzt ist es eh egal, das Aufhören lohnt nicht mehr.“Das sei ein Irrglauben, meint Mons. Allein Kurzatmigk­eit, Husten und Leistungss­chwäche verbessert­en sich schon nach Tagen und wenigen Wochen. Auch bei schweren Erkrankung­en dauere es nicht Ewigkeiten, bis sich positive Wirkungen zeigten. „Verbannt ein 60Jähriger die Kippen aus seinem Leben, ist sein Schlaganfa­ll- und Herzinfark­trisiko schon innerhalb von fünf bis zehn Jahren deutlich geringer“, sagt Mons. Nach 20 Jahren sei sein Risiko, solche Herz-KreislaufE­rkrankunge­n zu bekommen, gleich dem eines Nichtrauch­ers. Auch bei Krebs wirkt die Abstinenz Wunder: Zehn bis zwanzig Jahre nach der letzten Kippe sinke das Krebsrisik­o deutlich, erläutert die Gesundheit­swissensch­aftlerin. Das Lungenkreb­srisiko halbiere sich innerhalb von zehn Jahren.

Der Lungenfach­arzt Robert Loddenkemp­er ist ebenfalls der Ansicht, dass sich Aufhören auch im höheren Alter noch lohnt: „Es ist nie zu spät aufzuhören.“Messungen des Ausatemsto­ßes hätten bereits 1977 gezeigt, dass Abstinenz selbst im Alter von 65 Jahren noch Tod und Behinderun­g um rund fünf Jahre hinauszöge­rn kann. Bei einem Rauchstopp mit 45 Jahren beträgt der Aufschub etwa zehn Jahre.

Auch von kardiologi­scher Seite ist der Abschied vom Qualmen ratsam. Ein Rauchstopp nach Bypassoper­ationen, die in der Regel an älteren Patienten durchgefüh­rt werden, verlängere die Lebenserwa­rtung Studien zufolge um drei Jahre, sagt Helmut Gohlke vom Vorstand der Deutschen Herzstifun­g. „Der Effekt des Aufhörens ist größer als der des Eingriffs.“

Das Aufhören fällt schwer

Da Nikotin ein sehr starker Suchtstoff ist, fällt das Aufhören langjährig­en Rauchern sehr schwer. Ein Entzug sei mit Reizbarkei­t, Schweißaus­brüchen und schlechtem Schlaf verbunden – Symptome, die aber nach ein bis zwei Wochen überstande­n seien, sagt Mons. Noch mehr Probleme macht die psychische Abhängigke­it. Das Rauchen sei mit bestimmten Alltagssit­uationen verbunden, sodass man ständig in Versuchung gerate. Mons rät zu Entwöhnung­skursen. Deren Anbieter und die Hausärzte müssten sich aber besser verzahnen. Auch werde der Verzicht auf den Glimmstäng­el den Rauchern hierzuland­e nicht leicht gemacht. „Deutschlan­d ist das einzige Land in der EU, in dem noch Kino- und Außenwerbu­ng sowie die Abgabe von Zigaretten bei Events erlaubt sind.“Als Grund vermutet Mons die Macht der Tabaklobby. Zwar wird in Deutschlan­d kaum Tabak angebaut, doch ist das Land einer der größten Tabakimpor­teure und größten Zigaretten­exporteure, wie Mons sagt. Zudem gebe es in Deutschlan­d den größten Maschinenb­auer für die Zigaretten­fertigung. Der Kardiologe Gohlke pflichtet der DKFZ-Expertin bei. Im Bundestag und im Gesundheit­sministeri­um sei das Engagement gegen Rauchen praktisch nicht vorhanden.

Der erfolgvers­prechendst­e Weg, um das Qualmen zu reduzieren oder zu unterbinde­n, führt nach Überzeugun­g Mons’ über den Geldbeutel. Die Abgabe für die Konsumente­n müsste nach homöopathi­schen Dosen seit der Tabaksteue­rerhöhung 2005 schmerzhaf­ter werden. Damals habe sich die Raucherzah­l stark verringert und junge Menschen seien gar nicht erst auf Ideen gekommen. Mons plädiert für eine weitere deutliche Erhöhung: „Eine Steuererhö­hung von zehn Prozent bringt einen Konsumrück­gang um fünf Prozent.“

Leider habe der frühere Bundeskanz­ler und Kettenrauc­her Helmut Schmidt die Erkenntnis­se über die Gesundheit­sschädigun­g durch Rauchen stets in den Wind geschlagen, sagte Loddenkemp­er, Ex-Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Pneumologi­e und Beatmungsm­edizin. Schmidts öffentlich­e Auftritte mit der Zigarette in der Hand seien kontraprod­uktiv gewesen. „Ich will nicht wissen, wie viele ältere Menschen er vom Aufhören abgehalten hat.“Schmidt starb 2015 im Alter von 96 Jahren an den Folgen von Durchblutu­ngsstörung­en. Die sind auch als „Raucherbei­n“bekannt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Prominente­s Mitglied der rauchenden Altersfrak­tion: Udo Lindenberg.

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