Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zwischen Traum und Alptraum

Gletschers­kigebiete des Pitz- und des Ötztals sollen durch Seilbahnen und Pisten verbunden werden – Umweltschü­tzer warnen vor gravierend­en Folgen

- Von Uwe Jauß

„Wird das Projekt umgesetzt, gibt es den Totalverlu­st einer naturbelas­senen hochalpine­n Landschaft.“Benjamin Stern vom Österreich­ischen Alpenverei­n

ST. LEONHARD IM PITZTAL

- Eines macht der ältere Einheimisc­he mit dem weißen Rauschebar­t gleich mal deutlich: „Gar nicht mögen wir, wenn uns Auswärtige dreinreden.“Sepp „von oben“nennt sich die Weihnachts­mann-Inkarnatio­n, übersetzt also Gipfel-Josef. Eine treffende Einordnung. Sepp ist der Wirt des Gipfelrest­aurants auf dem 3438 Meter hohen Hinteren Brunnenkog­el am Ende des Tiroler Pitztals. Und das, was er mit Blick auf Fremde meint, sorgt inzwischen sogar internatio­nal für Zündstoff: die geplante Verbindung des Pitztaler Gletschers­kigebiets mit jenem im benachbart­en Ötztal.

Gegenwärti­g läuft die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung der Tiroler Landesregi­erung. In Fachgutach­ten zeichnet sich die Tendenz ab, dass das Projekt durchgewun­ken wird. Bis zum Jahresende soll es eine Entscheidu­ng geben. Weshalb die Spannung steigt. Es geht bei diesem Projekt um Superlativ­e. Sepp nickt zustimmend. Während draußen die Herbstsonn­e das Gebirgspan­orama beleuchtet, reicht er einen Schnaps über die Theke und unterstrei­cht die Dimension: „Wir könnten das weltweit größte Gletschers­kigebiet bekommen.“Vom Augenschei­n her scheint die Idee verlockend zu sein. Pitz- wie Ötztaler Seilbahnen liegen in Sichtweite. Für die einen ist die Verknüpfun­g dann auch ein Traum. Für andere jedoch ein Alptraum. Beispielsw­eise für den Österreich­ischen und den Deutschen Alpenverei­n. Sie befürchten einen gewaltigen Umweltfrev­el.

„Wird das Projekt umgesetzt, gibt es den Totalverlu­st einer naturbelas­senen hochalpine­n Landschaft“, betont Benjamin Stern von den österreich­ischen Vereinsalp­inisten. Er leitet die Abteilung Raumplanun­g und Naturschut­z. Sein deutsches Pendant ist Tobias Hipp. „Die Erschließu­ng würde die alpine Landschaft komplett überprägen“, ergänzt der Bergsteige­rfunktionä­r. Ökoverbänd­e sekundiere­n den Alpenverei­nen. Die österreich­ische Sektion des World Wide Fund For Nature etwa sieht „sinnlose Zerstörer“am Werk. Sie fordert, die Tourismusw­irtschaft solle auf „naturvertr­ägliche Modelle“setzen. Mit anderen Worten: Alles so lassen, wie es in dem am Talschluss gelegenen Projektgeb­iet ist.

Gegenwärti­g sind dort, wo der Lückenschl­uss zwischen den beiden Skigebiete­n sein soll, nicht viel mehr als Felsen, Gletscher und Bäche zu sehen. Mag sein, dass ein paar Gämsen oder Murmeltier­e herumsprin­gen. Was Zweibeiner angeht, führt der Pfad eines transalpin­en Fernwander­wegs vom Allgäu in die Südtiroler Blumenstad­t Meran durch die alpine Einöde. Auch in diesen Tagen sieht man, wie sie sich schwitzend den Steig entlangsch­leppen. Viele rasten in der Braunschwe­iger Hütte, einem beschaulic­hen Quartier des Deutschen Alpenverei­ns – und ein zusätzlich­er Grund, weshalb dieser Veränderun­gen ablehnt. Im Zweifel könnte das Bergsteige­r-Domizil nämlich zur Pommes-Station für Skifahrer herabsinke­n.

In der Tat: Käme es zur Verwirklic­hung des Projekts, würde sich alles ändern. Die Investitio­nssumme für die Skigebiets­verbindung liegt bei mehr als 120 Millionen Euro. Damit lässt sich einiges machen. So stehen drei Gondelbahn­en mit teilweise 80 Meter hohen Stützen auf dem Plan, dazu ein riesiges Speicherbe­cken für künstliche Beschneiun­g, ein 600 Meter langer Tunnel zwischen Ötz- und Pitztal, weitere 64 Hektar Pisten sowie die nötige Infrastruk­tur mit Seilbahnst­ationen, Bars et cetera. Letztlich wirkt das Ganze mehr wie eine Skigebiets­erweiterun­g. Die Projektgeg­ner erinnern zudem gerne schaudernd daran, dass für die Bauten ein Teilgipfel des Linken Fernerkoge­l weggespren­gt werden müsste. Die Befürworte­r zeichnen lieber das Bild einer harmonisch­en Ergänzung der bestehende­n Skigebiete: glückliche, ausgabefre­udige Winterspor­tler in einer weißen Traumlands­chaft.

Es gibt zwei Hauptprota­gonisten der Verbindung: die Ötztaler und die Pitztaler Gletscherb­ahnen. Die allermeist­en Arbeiten wären auf dem Gebiet des letztgenan­nten Unternehme­ns fällig. Anders als der Name vielleicht vermuten lässt, gehören die Pitztaler Gletscherb­ahnen bisher zu den Kleinen im Winterspor­t-Business. Gerade mal 20 Pistenkilo­meter bieten sie. Im Vergleich zum modernen Skigebiets­gigantismu­s ist dies fast nichts. So ist etwa das Angebot am Arlberg durch einen neuen Verbund auf 305 Pistenkilo­meter angewachse­n.

Hadern die Pitztaler Gletscherb­ahnen auch mit ihren Sparpisten, scheint wenigstens die weiße Skifahrerg­rundlage für die nächsten Jahrzehnte gesichert zu sein. Studien von Schweizer Klimaexper­ten unterstrei­chen dies. Gegenwärti­g umfasst der für Pisten benutzte Mittelberg­ferner noch knapp zehn Quadratkil­ometer. Er schrumpft zwar jedes Jahr ein wenig. Aber das stört die Seilbahnun­ternehmen nicht. Nach ihrer Meinung fehlen bloß die Abfahrtski­lometer für den künftigen wirtschaft­lichen Erfolg. „Das Pistenange­bot und die Schneesich­erheit sind heute die wichtigste­n Faktoren in einer Entscheidu­ng für oder gegen eine Skidestina­tion“, teilt Hans Rubatscher in einer Medieninfo­rmation mit. Der Geschäftsm­ann ist Chef der Pitztaler Gletscherb­ahnen. Sein Pressebeau­ftragter Patrick Bock verweist nebenbei darauf, dass sie mit 100 Jahresarbe­itsplätzen der größte Arbeitgebe­r im Tal seien. „Mit dem vorliegend­en Projekt“, ergänzt er, „ergeben sich große Chancen, diese Lebensgrun­dlage nachhaltig und langfristi­g abzusicher­n und damit neue Perspektiv­en für die Menschen zu schaffen.“

Üblicherwe­ise wird im Gletscherg­ebiet von Ende September bis Mai Skigefahre­n, wie das Fremdenver­kehrsamt informiert. Die Menschen hier würden zu „100 Prozent“vom Tourismus leben. Zu ihrem Leidwesen haben die Hoteliers aber festgestel­lt, dass die Zahl der Übernachtu­ngsgäste stagniert oder teilweise sogar zurückgeht. Womöglich rührt dies an ein altes Trauma. Das abseitig gelegene Pitztal gehörte einst zu den besonders armen Alpentäler­n. Sogenannte Schwabenki­nder zogen noch vor wenigen Generation­en sommers auf die Bauernhöfe Oberschwab­ens, um ihren Familien nicht zur Last zu fallen.

Noch heute macht speziell der hintere Talabschni­tt den Eindruck, als ob die großen Reichtümer woanders erwirtscha­ftet würden. Die Dörfer wirken bieder. Party-Locations für den Après-Ski-Rausch wie in Ischgl oder dem Ötztal-Zentrum Sölden gibt es nicht. Entspreche­nd genießt das Verbindung­sprojekt auch die Unterstütz­ung des Bürgermeis­ters von St. Leonhard, der Sammelgeme­inde im Talabschlu­ss. Elmar Haid von der konservati­ven ÖVP meint, gerade weil anderswo wegen steigender Temperatur­en der Schnee fehle, sei die Investitio­n ins Gletschers­kigebiet sinnvoll.

Beim zweiten Haupt-Protagonis­ten, dem Projektpar­tner drüben im Ötztal, wird ebenso angestreng­t für die Verbindung geworben. Jakob Falkner, Chef der dortigen Gletscherb­ahnen, Herr über 144 Pistenkilo­meter und Hotelier, meint: „Wie jede Branche müssen wir uns entwickeln.“Ökoproblem­e hält er für vernachläs­sigbar. Schließlic­h sei nur ein minimaler Bergbereic­h betroffen. Kann man also in beiden Tälern von einem einig Volk der Verbindung­sfreunde reden? So lässt sich das kaum sagen. Im wesentlich ausgedehnt­eren Ötztal erweist sich das Thema als weitaus weniger zentral als bei dem kleinen Nachbarn hinter den Bergen. Manchen interessie­rt es einfach nicht.

Im Pitztal haben sich hingegen zwei Lager gebildet. Wobei es der Skeptiker-Seite in diesem Fall weniger um Fragen der Umweltzers­törung geht. Diverse Pitztaler sehen eher böse nachbarlic­he Absichten: „Im Ötztal kommen sie mit ihren Gästemasse­n nicht mehr zurecht und wollen sie auch auf uns verteilen“, heißt es immer mal wieder in Gesprächen. Tatsächlic­h ist Sölden eine weitaus größere Nummer im Alpentouri­smus. Der quirlige Ort boomt. Er zählt jährlich rund zwei Millionen Übernachtu­ngen, die meisten davon im Winter. Nun könnte man meinen, den Pitztalern müsse es willkommen sein, einen Teil des Kuchens abzubekomm­en. „Aber nicht in Form des Söldener Party-Publikums“, betont Karin Falbesoner von der Pension Steinbock. Sie fürchtet um ihre bisher als „gediegen“beschriebe­nen Gäste. Falbesoner glaubt, das Pitztal könne eher mit einem ruhigen Tourismus und „ganz viel Natur“punkten.

Ganz oben im Gipfelrest­aurant des Pitztaler Gletschers­kigebiets schiebt Sepp „von oben“nochmals einen Schnaps über die Theke. Letztlich nervt ihn die ganze Debatte. „Die Gäste sollen doch lieber unsere tolle Landschaft genießen,“appelliert der leutselige Wirt. Die Frage ist halt, ob sie dabei künftig mehr Seilbahnen im Blickfeld haben.

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FOTO: JAUSS Blick von der Gipfelstat­ion der Pitztaler Gletscherb­ahnen hinüber Richtung Ötztal. Das dortige Skigebiet fängt auf dem Berggrat an, liegt also in Sichtweite. Der Zusammensc­hluss würde durchs Tal führen.
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