Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Chefin will allen gefallen
Wer schon bisher Schwierigkeiten hatte, das Zuständigkeitsgewirr in der EU-Kommission zu durchschauen, kann jetzt ganz aufgeben. Ursula von der Leyen versucht nicht einmal mehr, jedem Kommissar ein klar umgrenztes Aufgabenfeld zuzuweisen. Zwar sind viele im neuen Team begeisterte Europäer mit Erfahrung in ihren Politikfeldern. Doch entweder müssen sie zu viele Zuständigkeiten unter einem Dach vereinen, oder ihnen wurde zwar ein klares Ressort zugeteilt, aber kein einziger Beamter an die Seite gestellt.
Die gut geölte Brüsseler Maschinerie wird dennoch weiterlaufen. Die Fachabteilungen werden Staatshaushalte prüfen, kartellrechtliche Fragen klären, Vertragsverletzungsverfahren vorbereiten. Vor allem aber werden sie weiterhin lebensfremde Gesetzesvorschläge ausspucken und damit die Bürger gegen „Brüssel“aufbringen.
Hätte von der Leyen den Anspruch einlösen wollen, ein bürgernäheres Europa zu bauen, hätte sie Junckers Strukturreform konsequent fortsetzen müssen. Das hätte klare Zuständigkeiten und eine übersichtliche Struktur aus Senior- und Juniorkommissaren bedeutet. Damit allerdings wäre es nicht gelungen, das Ego jedes einzelnen Regierungschefs zu streicheln und perfekten Proporz zu erreichen. Gefälligkeitspolitik statt klares Profil – das ist kein guter Start.
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