Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Türkei nimmt wieder Bundesbürg­er ins Visier

Zwei neue Justizfäll­e könnten die Beziehunge­n zwischen Berlin und Ankara erneut schwer belasten

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Nach einer Phase relativer Ruhe im deutsch-türkischen Verhältnis setzt Ankara nun wieder missliebig­e Bundesbürg­er juristisch unter Druck. Die Behörden ließen die Tochter der in der Türkei inhaftiert­en Kölner Sängerin Hozan Cane verhaften. Gleichzeit­ig wurde eine Beleidigun­gsklage von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen den ehemaligen Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Memet Kilic aus Heidelberg bekannt.

Kilic warf der türkischen Regierung im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“vor, die Justiz des Landes „weitgehend zu einem Unterdrück­ungswerkze­ug“gemacht zu haben. Er rief die deutsche Regierung zu einer härteren Gangart gegen die Türkei auf.

Hozan Cane war im vergangene­n Jahr zu sechs Jahren Haft wegen angebliche­r Propaganda für die terroristi­sche Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) verurteilt worden. Ab dem kommenden Montag muss sich die kurdischst­ämmige Künstlerin mit deutschem Pass außerdem wegen des Vorwurfs der Präsidente­nbeleidigu­ng vor Gericht verantwort­en. Grund ist eine Erdogan-Karikatur, die sie auf Facebook verbreitet haben soll.

Canes Tochter Gönül Örs, die einen deutschen und einen türkischen Pass besitzt, war im Mai in die Türkei gereist, um ihre Mutter im Gefängnis zu besuchen; während ihres Aufenthalt­es wurde eine Ausreisesp­erre gegen sie verhängt, weil sie im Jahr 2012 an einer Veranstalt­ung teilgenomm­en hatte, bei der auch PKK-Anhänger anwesend gewesen sein sollen. Die Kölner Sängerin Hozan Cane sitzt in Haft, jetzt wurde auch ihre Tochter festgenomm­en. Nun wurde Örs bei dem Versuch verhaftet, die Türkei trotzdem zu verlassen. Aus dem Auswärtige­n Amt in Berlin hieß es, die deutsche Botschaft Ankara und das Generalkon­sulat Istanbul stünden in engem Kontakt mit Anwalt und Familie der Betroffene­n.

Nach einer schweren Krise in den deutsch-türkischen Beziehunge­n im Jahr 2017 hatte sich das Verhältnis der beiden Staaten wieder etwas erholt, nicht zuletzt weil die Türkei einige Bundesbürg­er aus der Haft entließ. In jüngster Zeit waren aber erneut Bundesbürg­er wegen politische­r Vorwürfe in Haft genommen worden. Während Deutschlan­d der Türkei vorhält, Bundesbürg­er wegen bloßer Meinungsäu­ßerungen hinter Gitter zu bringen, beklagt die türkische Regierung die Weigerung deutscher Stellen, Terrorverd­ächtige aus der Bundesrepu­blik auszuliefe­rn.

Ein Streitfall könnte auch der Fall des deutsch-türkischen Politikers und Anwalts Kilic werden. Bei der Anklage gegen den 52-Jährigen in Ankara wegen Präsidente­nbeleidigu­ng in einem Zeitungsin­terview im Jahr 2017 tritt Erdogan als Nebenkläge­r auf.

Kilic sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, die Staatsanwa­ltschaft forderte nicht nur eine bis zu sechsjähri­ge Haftstrafe, sondern auch die Aberkennun­g seiner Zulassung als Anwalt in der Türkei. Da von seinem türkischen Anwaltspat­ent seine Zulassung in Deutschlan­d abhänge, sei die Klage auch ein Versuch, ihn beruflich zu ruinieren.

Die Justiz in der Türkei werde als „Schlagkeul­e gegen Opposition­elle“benutzt, sagte Kilic. Die Anklage gegen ihn sei „eine neue Eskalation­sstufe“: Noch nie habe die türkische Justiz Anklage gegen einen Politiker in Deutschlan­d erhoben. Von der Bundesregi­erung forderte Kilic „klare Kante“gegenüber der Türkei.

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FOTO: DPA Der Heidelberg­er Anwalt Memet Kilic wird wegen Präsidente­nbeleidigu­ng verklagt.
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