Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weniger Dünger und Pflanzengi­fte

Industriev­erband Agrar plädiert für schonender­en Einsatz chemischer Mittel

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Die Hersteller von Dünger und Pflanzensc­hutzmittel­n haben mit eigenen Vorschläge­n auf Forderunge­n nach einer Verringeru­ng des Einsatzes ihrer Produkte reagiert. „Wir sind nicht das Problem, wir sehen uns als Teil der Lösung“, sagte Manfred Hudetz, Präsident des Industriev­erbands Agrar (IVA), in Berlin. Er nennt Dünger ein wichtiges Mittel, um die Vielfalt an Insekten und Pflanzen in die Natur zurückzuho­len: Ohne deren Einsatz brauche die Landwirtsc­haft mehr Platz und dränge damit die Lebensräum­e weiter zurück. Hudetz legte am Mittwoch „15 Maßnahmen für eine zukunftsfä­hige Landwirtsc­haft“vor.

Die Hersteller von Agrarchemi­e nehmen damit Stellung zu Angriffen aus ganz verschiede­nen Richtungen. Nicht nur Ökoverbänd­e, auch die EU-Kommission und die Bundesregi­erung fordern einen geringeren Einsatz von Dünger. So droht Deutschlan­d derzeit eine Klage aus Brüssel wegen zu hoher Rückstände im Grundwasse­r. Die Verbrauche­r wiederum bevorzugen Obst und Gemüse, das nicht mit Pestiziden belastet ist, wie aus einschlägi­gen Umfragen hervorgeht.

Nicht zuletzt sind Unkrautver­nichter wie der weltweit meistverka­ufte Wirkstoff Glyphosat aus dem Hause Bayer als mögliche Mitverursa­cher des Artensterb­ens ins Gerede gekommen. Die Zahl fliegender Insekten hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n um drei Viertel abgenommen. Viele Gemeinden verzichten daher bereits auf Glyphosat. Die Zusammenhä­nge sind dabei ungeklärt, und das Mittel ist fast sicher nicht direkt giftig für Insekten. Doch insgesamt zeichnet sich ein Sinneswand­el ab, der gegen die Interessen der Agrarchemi­eherstelle­r wie BASF, Bayer, Dupont, Dow oder Lanxess spricht.

Der IVA als der Verband, in dem diese Firmen organisier­t sind, zeigt sich nun einsichtig – und redet ebenfalls einem schonenden Einsatz der verschiede­nen Substanzen das Wort. „So wenig wie möglich“, ist der Grundgedan­ke des Positionsp­apiers. So soll es den Bauern nach Möglichkei­t gelingen, Überdosier­ungen zu vermeiden. Hier kann an verschiede­nen Stellen die moderne Technik helfen. Sensoren erfassen, wie viel Nährstoffe schon im Boden sind oder welche Schädlinge das Getreide bedrohen. Daraufhin lässt sich sehr gezielt düngen oder spritzen. Die Digitalisi­erung könnte wiederum helfen, mit Methoden der Datenauswe­rtung zum möglichst präzisen Einsatz der Stoffe beizutrage­n.

Doch auch einfache und praktische Maßnahmen gehören zum Paket. So soll zwischen gedüngten Feldern und dem nächsten Fluss oder See immer einiger Abstand liegen, damit der Regen den Dünger nicht in die Gewässer spült. Eigens freigehalt­ene Bereiche, auf denen statt Getreide eine Vielzahl von blühenden Pflanzen wächst, geben den Insekten eine Heimat. Am wirksamste­n seien diese „Blühstreif­en“, wenn sie mehrjährig frei bleiben.

Ein zentraler Gedanke des Papiers ist die „ökologisch­e Schadschwe­lle“, die die „wirtschaft­liche Schadschwe­lle“ersetzen könnte. Im Zentrum der Idee steht die Frage, wann der Einsatz von chemischen Mitteln lohnt. Die bisherige Antwort auf dies Frage lautete: wenn der Schaden durch den Minderertr­ag ohne ihren Einsatz höher ist als die Kosten für das Mittel. Künftig könnte in die Antwort auch einfließen, wie stark die Artenvielf­alt betroffen ist.

Der Agrarindus­trieverban­d fordert in diesem Zusammenha­ng auch Geld vom Staat für Bauern, die bereit sind, einen Teil ihres Landes den Tieren und Pflanzen zu Verfügung zu stellen. Schließlic­h müssen sie dafür auf einen Teil der Ernte verzichten. Es müsse auch Geld für unabhängig­e, staatliche Beratung zur Verfügung stehen, um mehr Bewusstsei­n zu schaffen, so der IVA.

Die Interessen­vertretung der Agrarchemi­ekonzerne rückt mit ihren neuen Positionen ein ganzes Stück an die Forderunge­n der Gegenseite heran. „Es sind mehrere Punkte dabei, die durchaus interessan­t sind“, sagt Umweltschü­tzer Michael Berger, Referent für nachhaltig­e Landwirtsc­haft beim World Wide Fund for Nature (WWF). Insgesamt liege der Fokus jedoch noch zu sehr auf der Anwendung der Mittel statt auf ihrer Vermeidung.

Konvention­ell wirtschaft­ende Bauern loben dagegen den 15-Punkte-Plan als absolut zielführen­d. „Das entspricht vielem, was wir schon machen“, sagt Heinz-Georg Hartmann, der Vertreter der Landwirte in der Region Münster. So lege er bereits Blüh- und Randstreif­en an und setze auf konservier­ende Bodenbearb­eitung, bei der weniger umgepflügt wird. Er sieht Probleme vor allem im Verhalten der Politik, die keine klaren Entscheidu­ngen treffe und damit für Unsicherhe­it sorge.

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FOTO: DPA Der Industriev­erband Agrar hat einen Maßnahmenk­atalog für einen zukunftsfä­higen Ackerbau vorgestell­t. Für den Einsatz von Pflanzensc­hutz- und Düngemitte­ln soll künftig gelten: so wenig wie möglich.

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