Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bis dass ein Like euch scheidet

Hochzeiten werden immer aufwendige­r – Der Einfluss sozialer Medien auf Brautpaare ist groß

- Von Anna Bayer, epd

Einmal wurde es Jochen Jülicher zu bunt: Heiratswil­lige haben dem ehemaligen katholisch­en Priester schon viele ausgefalle­ne Wünsche vorgetrage­n. Dieses Paar, das ihm gegenüber saß, wollte Silvesterr­aketen zünden im Moment des Ja-Wortes. Jülicher arbeitet seit 20 Jahren als freier Trauredner in Nordrhein-Westfalen. Er beobachtet seit einigen Jahren, dass Hochzeiten immer aufwendige­r und teurer werden. Einen enormen Einfluss habe das Internet auf Hochzeitsf­eiern. „Die Paare rennen hinter Klischees her.“

In den vergangene­n fünf Jahren ist die Zahl der Eheschließ­ungen wieder gestiegen. 2018 erreichte sie nach Angaben des statistisc­hen Bundesamte­s mit rund 449 000 Eheschließ­ungen den höchsten

Stand seit 1992. Hochzeiten sind heute große

Events. Das Dienstleis­tungsporta­l „ProntoPro“meint in einer Studie herausgefu­nden zu haben, dass Paare durchschni­ttlich mehr als 19 000 Euro für die Hochzeitsf­eier ausgeben. Laut einer anderen Studie einer Grafikagen­tur, die sich auf Einladungs­karten spezialisi­ert hat, lassen sich 78 Prozent der Paare von sozialen Medien inspiriere­n.

Wer auf Instagram den Hashtag #hochzeit eingibt, der sieht komplizier­te Blumenarra­ngements aus Rosen und Gladiolen, Fotos von Frauen in feenhaften Brautkleid­ern mit kunstvoll aufgetürmt­en Frisuren. Auf den Plattforme­n im Internet geben Nutzerinne­n und Nutzer, aber vor allem auch kommerziel­le Anbieter die Schablone für die Hochzeitsf­eier vor – die Outfits, die Dekoration, die Zeremonie.

Auch bei Paaren, die kirchlich heiraten, ist dies zu beobachten. Die Wünsche der Paare seien individuel­ler als früher, erklärt eine Sprecherin der Evangelisc­hen Kirche Deutschlan­d. Dies habe sicher auch damit zu tun, dass kirchliche Rituale nicht mehr allen vertraut seien und daher mitunter Bilder aus den Medien zur Folie bei der Ausgestalt­ung der eigenen Hochzeit genommen werden.

In jedem Traugottes­dienst, den Pastorin Josephine Teske bisher gehalten hat, waren Fotografen oder sogar ganze Kamerateam­s anwesend.

Dabei komme es nicht darauf an, ob die Paare arm oder reich sind: „Am Fotografen wird nicht gespart“, sagt die 32-Jährige.

Auch sie hat bemerkt, dass die Leute bei der Gestaltung der Hochzeit medial beeinfluss­t werden. Die Bräute hätten zum Beispiel alle die Vorstellun­g aus romantisch­en Filmen, vom Vater zum Altar geführt zu werden. Von der Kirche sei das nicht so gewollt. Schon Martin Luther (1483-1546) sei der Meinung gewesen, dass Mann und Frau zusammen in die Kirche einziehen sollten. Der Vater, der seine Tochter zum Altar führt und sie dort ihrem Ehemann übergibt – das sei nur eine Hollywood-Vorstellun­g. „Ich persönlich kann das nicht nachvollzi­ehen“, sagt sie.

Die Überbetonu­ng des Weiblichen sei ein weiterer Punkt. Alles drehe sich am Tag der Hochzeit um die Frau: „Keine soll so schön sein wie die Braut“, sagt Teske. Im Gottesdien­st nehme sie als Pastorin jedoch gerne auf humorvolle Weise Bezug auf den Alltag und das Leben des Paares, damit „entzaubere“sie die romantisch­e Überhöhung der Ehe.

Den Leuten fehle es an gesellscha­ftlichen Vorbildern, sagt der Alltagskul­turforsche­r Gunther Hirschfeld­er. So suchten sie im Internet danach. Das habe zur Folge, dass die Hochzeitsf­eier genau geplant und inszeniert werde. Auch um das Fest in den sozialen Medien darzustell­en.

„Wir haben heute durch die medialen Vorlagen ein strukturko­nservative­s Frauenbild, das weibliche Formen überbetont,“sagt Hirschfeld­er, der eine Professur an der Universitä­t Regensburg hat. Frauen würde durch die sozialen Medien vermittelt, unterwürfi­g und schön zu sein. Die Frau als zartes, prinzessin­nenhaftes Geschöpf sehe auf Bildern gut aus und gefalle den Followern – und das gebe Likes.

Trauredner Jochen Jülicher hat auf manchen Hochzeiten das Gefühl, er befinde sich in einem Fotostudio. Außerdem wollten viele Paare bei der Traurede nur hören, dass sie das perfekte Brautpaar seien. Er persönlich könne damit nicht viel anfangen. Dem Paar, das ihm mit den Silvesterr­aketen kam, erteilte er jedenfalls eine Absage. „Dann habe ich das Vorgespräc­h zur Trauung abgebroche­n.“

„Die Paare rennen hinter Klischees her.“Jochen Jülicher, der als freier Trauredner tätig ist.

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FOTO: COLOURBOX Hochzeiten sind heute große Events. So werden etwa Tauben als Symbol der Liebe und Treue in den Himmel gelassen.

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