Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Löw in der Zeitfalle

Positiv war gegen Nordirland nur das Ergebnis – Tiefstapel­ei für die EM 2020 hat begonnen

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BELFAST (dpa/SID/falx) - Etwas nagte an ihm. Joachim Löws Blick fixierte einen Punkt im Nirgendwo, die Finger friemelten nervös an den Nägeln. Die Nacht von Belfast, die „sehr intensiven, sehr schwierige­n 90 Minuten“ernüchtert­en den Bundestrai­ner, auch wenn er trocken sagte: „Am Ende zählen drei Punkte in der Quali, das haben wir erreicht. Von daher können wir zufrieden sein.“Das Problem: Zufriedenh­eit strahlte er bei den Worten nicht aus. Der Start in die EM-Saison mit dem 2:4-Rückschlag gegen Holland und dem Arbeitssie­g in Belfast hat Zweifel am raschen Reifen zu einer starken Turnierman­nschaft gesät, auch wenn das DFB-Team als Tabellenfü­hrer (12 Punkte) in den finalen Dreikampf mit den Nordiren (12) und den Niederland­en (9 Punkte, ein Spiel weniger) um zwei EM-Tickets geht.

„Wir haben nicht gesagt, dass wir mit dieser jungen Mannschaft jetzt jeden Gegner weghauen“, sagte Marco Reus. So war die Woche für die unerfahren­e Umbruch-Generation ein wertvoller Lernschrit­t, auch wenn die Souveränit­ät fehlte. Die Leichtigke­it. Anfangs auch der Behauptung­swille gegen robuste Nordiren. Erst das Premierent­or von Marcel Halstenber­g im DFB-Trikot löste die Bremse etwas. Serge Gnabry beseitigte mit dem 2:0 die Restzweife­l. Dennoch bleibt die Erkenntnis: Kapitän Manuel Neuer (Löw: „Ein großer Rückhalt“) und der zweimalige Torschütze Gnabry waren in den beiden Begegnunge­n die einzigen Konstanten. Löw lobte: „Daher ist Serge für mich im Moment gesetzt.“

Neuer, Gnarby und sonst?

Aber für wen gilt das sonst? Die in Hamburg vogelwilde Defensive um den neuen Abwehrchef Niklas Süle wankte auch im Windsor Park bedenklich. Im Mittelfeld gelang es den Stamm- und Führungssp­ielern Toni Kroos und Joshua Kimmich viel zu selten, das Spiel an sich zu reißen. Und vorne ließen Marco Reus, Timo Werner oder Julian Brandt abermals Zweifel darüber aufkommen, ob sie dauerhaft höchsten internatio­nalen Ansprüchen genügen. War nach dem desaströse­n WM-Abschneide­n, dem Abstieg aus der Nations League und der Boateng-Hummels-Müller-Zäsur im März noch ein frischer Wind im Spiel spürbar, erinnert das derzeitige Auftreten an grauere Zeiten.

Dabei scheint das Problem nicht nur auf dem Platz zu liegen. Gegen die anstürmend­en Niederländ­er fehlte Löw ein taktischer Plan B. Gegen Nordirland die Ideen. Seit dem Titelgewin­n 2014 zeigt die Leistungsk­urve stetig abwärts. Dennoch behauptete Mittelfeld­boss Kroos: „Ich sehe uns absolut auf Kurs.“

Löw führte entlastend an, dass ihm mit Leroy Sané an der Spitze fünf Spieler gefehlt hätten, die beim umjubelten 3:2 in den Niederland­en im März noch begonnen hatten. Immer wieder zählte Löw die Fehlenden auf, von Gündogan über Goretzka bis zu Draxler oder Rüdiger. Automatism­en seien so schwer zu schaffen. „Einspielen hat bei einer jungen Mannschaft Priorität“, sagte Löw.

Der Bundestrai­ner spürt aber auch, dass er beim Neuaufbau in Zeitnot geraten könnte. Auf die zentrale Frage wusste der Weltmeiste­rcoach von 2014 keine Antwort. Reicht die Zeit, um schon 2020 wieder zur erweiterte­n Weltspitze zu gehören? „Das kann ich jetzt auch nicht sagen. Holland hat auch drei Jahre mit der aktuellen Mannschaft gebraucht. Da müssen wir noch hinkommen.“Drei Jahre also? WM 2022 statt EM 2020? Oliver Bierhoff bekräftigt­e dies. „Ich glaube nicht, dass wir als Favorit zur EM 2020 fahren oder zum engsten Kreis gehören“, sagte der DFB-Direktor: „Du kannst zum Erfolg keine Abkürzung nehmen. Das geht auch bei uns nicht.“

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FOTO: DPA Spielerisc­h ist die Mannschaft noch sehr weit von dem Punkt entfernt, zu dem Joachim Löw hinmöchte.

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