Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mordprozes­s gegen Raser in Stuttgart

Mit 160 durch Stuttgart: Dieser Irrsinn hat zwei junge Menschen das Leben gekostet

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (AFP) - Vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t hat am Mittwoch ein Prozess gegen einen jungen Autoraser wegen zweifachen Mordes begonnen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem zur Tatzeit 20-Jährigen vor, ein Paar – einen 25-Jährigen und dessen 22-jährige Freundin – durch einen von ihm verursacht­en Zusammenst­oß bei Höchstgesc­hwindigkei­t ermordet zu haben. Am 6. März soll er einen hochmotori­sierten Sportwagen mit bis zu 160 Stundenkil­ometern in die belebte Rosenstein­straße in der Stuttgarte­r Innenstadt, eine Tempo-50-Zone, gelenkt haben. Der Angeklagte machte zunächst keine Angaben zur Sache.

STUTTGART (dpa) - Was geht vor in einem jungen Menschen, der sich einen PS-starken Sportwagen mietet und durch die Straßen von Stuttgart rast? Der seinen Motor immer wieder aufheulen und die Tachonadel ausschlage­n lässt, das Auto dann nicht mehr kontrollie­ren kann und einen fatalen Unfall verursacht? War er sich bewusst, dass er eine tödliche Gefahr darstellte?

Ein halbes Jahr nach einem Unfall mit zwei Toten sitzt ein 20 Jahre alter Mann auf der Anklageban­k des Landgerich­ts – wegen Mordes. Im „Geschwindi­gkeitsraus­ch“sei der junge Mann mit einem Jaguar F-Type Coupé durch Stuttgart und über die Autobahn gefahren, stundenlan­g – so schildert es die Staatsanwä­ltin zu Beginn des Prozesses vor der Jugendkamm­er am Mittwoch. Den geliehenen Boliden habe er an dessen Grenzen bringen und seinen Freunden imponieren wollen. Das Schicksal anderer? „Das war ihm völlig gleichgült­ig“, sagt die Anklagever­treterin. Nur vom Zufall sei abhängig gewesen, ob es zum Zusammenst­oß kommen würde.

Es ist die erste Anklage dieser Art nach einem Raserunfal­l in BadenWürtt­emberg. Einen Präzedenzf­all gibt es: Anfang März hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe erstmals ein Mordurteil gegen einen rücksichts­losen Raser bestätigt. Der Mann hatte 2017 in Hamburg mit einem gestohlene­n Taxi einen Menschen getötet und zwei schwer verletzt. Eine rote Linie für eine Mordverurt­eilung in Raserfälle­n legten die Karlsruher Richter jedoch nicht fest: „Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfall­s“, urteilten die Bundesrich­ter.

So wurde das deutschlan­dweit erste Mordurteil im Februar 2017 vom BGH kassiert. Die Richter sahen den bedingten Tötungsvor­satz bei den beiden Angeklagte­n nach einem tödlichen Autorennen in der Berliner Innenstadt nicht ausreichen­d belegt. Im neu aufgerollt­en Prozess wurden die Männer im März dann erneut wegen Mordes zu lebenslang­er Haft verurteilt. Diese Entscheidu­ng ist allerdings noch nicht rechtskräf­tig.

Bei der Stuttgarte­r Tempofahrt an einem Abend im vergangene­n März verliert der junge Deutsche der Anklage zufolge die Kontrolle über seinen Jaguar. Nach einem Gutachten rast er kurz vor dem Zusammenpr­all mit seinem Auto bei Tempo 160 bis 165 auf eine Kreuzung in der Innenstadt zu, er drückt das Gaspedal voll durch und kann kaum noch ausweichen, als ein anderes Fahrzeug auf die Straße einbiegt.

Mit einer Geschwindi­gkeit von rund 100 bis 110 Stundenkil­ometern rammt der 20-Jährige einen stehenden Kleinwagen am Straßenran­d. Dessen 25 Jahre alter Fahrer und seine 22 Jahre alte Beifahreri­n sterben, der Jaguar-Fahrer und sein Beifahrer bleiben unverletzt. Die beiden Opfer waren erst kurz vorher aus Nordrhein-Westfalen nach Stuttgart gezogen.

Mord wirft die Staatsanwa­ltschaft dem 20-Jährigen vor. „Keineswegs“, sagt dagegen der Verteidige­r des jungen Unfallfahr­ers. Der Zusammenst­oß sei unfassbar tragisch gewesen. Sein Mandant trage schwer an seiner Verantwort­ung, er sei zudem nicht vorbelaste­t gewesen. „Den Vorwurf eines Mordes weisen wir daher entschiede­n zurück.“

Auf einem Tisch im Gerichtssa­al haben die Eltern eines Opfers zu Prozessbeg­inn einen Bilderrahm­en aufgestell­t. Mit den Fotos der gestorbene­n Tochter wollen sie an ihr Kind erinnern. Die Mütter der beiden Getöteten weinen beim Verlesen der detaillier­ten Anklage, sie schütteln den Kopf bei den Aussagen des Beifahrers aus der Unfallnach­t. „Das war eine Sache von drei Sekunden“, erinnert sich der 19-Jährige an die Momente des Zusammenst­oßes. „Das ging ruckzuck.“

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FOTO: DPA Jaguar gegen Kleinwagen: Die zwei Insassen des kleinen Autos hatten beim Aufprall keine Überlebens­chance.

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