Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ärger mit Peking wegen Aktivist Wong

Demokratie-Aktivist Joshua Wong will freie Wahlen in seiner Heimatstad­t, aber keine Unabhängig­keit von China

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BERLIN (dpa/sz) - Der deutsche Botschafte­r in Peking ist nach chinesisch­en Angaben formal einbestell­t worden, weil sich Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) und weitere deutsche Politiker am Dienstag in Berlin mit Joshua Wong, einem Aktivisten der Protestbew­egung in Hongkong, getroffen hatten. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“zeigt sich Wong wenig verwundert über die Reaktion aus Peking. Zugleich stellt er klar, dass er kein Separatist sei: Er trete nicht für Unabhängig­keit ein. „Wir fordern aber das Recht auf freie Wahlen in Hongkong“, erklärt Wong.

BERLIN - Der prominente Hongkonger Demokratie­aktivist Joshua Wong will sich auch vom wachsenden Druck der Weltmacht China nicht einschücht­ern lassen. Im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk äußert er den Wunsch, in Zukunft einmal direkten Kontakt mit Angela Merkel aufzunehme­n.

Herr Wong, am Montagaben­d haben Sie sich in informelle­m Rahmen mit Außenminis­ter Heiko Maas getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Das war eine gute Gelegenhei­t, sich über unsere gemeinsame Sorge in Hinblick auf eine mögliche Notverordn­ung auszutausc­hen, die die Regierung in Hongkong erlassen könnte. Notverordn­ungen sind ein Relikt aus der Kolonialze­it; dieses Instrument zu nutzen, wäre wie die Ausrufung des Kriegsrech­ts. Die Regierung könnte damit das Internet abschalten und die U-Bahnen stilllegen. Dahinter steckt die Hoffnung, mit diesen Mitteln den Protest zu behindern.

China hat auf Ihr Treffen mit dem deutschen Außenminis­ter heftig reagiert, sich „Einmischun­g“verbeten und Sie einen „Separatist­en“genannt. In China sind Bestrebung­en zur Abspaltung von Landesteil­en strafbar.

Es ist nicht überrasche­nd, dass die chinesisch­en Regierungs­vertreter sich so äußern. Es zeigt, wie sehr die offizielle­n Stellen dort internatio­nale Unterstütz­ung für Hongkonger Aktivisten fürchten.

Sind Sie ein Separatist?

Nein, wir treten nicht für Unabhängig­keit ein. Wir fordern aber das Recht auf freie Wahlen in Hongkong, und wir fordern ein Ende der eskalieren­den Polizeigew­alt. Das ist unser Recht. Die kommunisti­sche Führung hat sich in der chinesisch-britischen gemeinsame­n Erklärung (zu Hongkong im Jahr 1985) dazu verpflicht­et, ein freiheitli­ches System in Hongkong vorerst zu erhalten. Diese Erklärung ist bei den Vereinten Nationen registrier­t. Daran wollen wir Peking erinnern.

Und jetzt werben Sie internatio­nal um Unterstütz­ung für diese Sicht.

Ja. Wir tun das derzeit im Hinblick auf ein bevorstehe­ndes Datum von einiger Wichtigkei­t, den 1. Oktober.

Können Sie uns die Bedeutung des Datums kurz erklären?

Am 1. Oktober jährt sich die Gründung der Volksrepub­lik China zum 70. Mal. Solche Jahrestage haben einen hohen Symbolwert. Die offizielle­n Stellen werden da Ruhe haben wollen. Wir erwarten, dass Peking dann besonders hart gegen die Demokratie­bewegung durchgreif­en lässt.

Und werden Sie Ruhe geben?

Wir halten weiter unsere Demonstrat­ionen ab. Wochenende. Am vergangene­n Sonntag waren wieder hunderttau­send Leute auf der Straße. Am 1. Oktober wird es auch wieder Märsche geben. Da die Verwaltung jedoch schon seit September keine Demo mehr genehmigt hat und die U-Bahn-Stationen abends schließt, erwarten wir auch für den 1. Oktober Behinderun­gen.

Wo sehen Sie die richtige Balance zwischen den streng friedliche­n Märschen und den heftigeren Protesten, bei denen Demonstran­ten auch in Regierungs­gebäude eingedrung­en sind?

Keiner will Zusammenst­öße und Gewalt. Keiner. Auch wir nicht. Es steht die Anschuldig­ung im Raum, dass Demonstran­ten Gewalt angewendet haben. Doch wir wissen alle, wer angefangen hat. Auf die Aktionen vor fünf Jahren (bei der Besetzung der Hongkonger Innenstadt – Red.) hat die Polizei nicht mit dieser unangemess­enen Gewalt reagiert wie in diesem Jahr. Sie setzt jetzt lebensbedr­ohliche Waffen ein.

Das führt zu Gegenreakt­ionen?

Ja, wenn etwa Demonstran­ten die Tränengasg­ranaten mit Tennisschl­ägern zu den Polizisten zurückschl­agen – diesen Anblick werde ich nie vergessen. Solche Reaktionen sehe ich nicht als Gewalt. Statt alles auf die Demonstran­ten zu schieben, sollten sich (Verwaltung­schefin) Carrie Lam und (Chinas Präsident) Xi Jinping fragen, ob sie die Situation nicht auch durch politische Reformen hätten entschärfe­n können.

Auf welche Unterstütz­ung hoffen Sie aus Deutschlan­d?

Nach dem Brexit und dem Chaos zwischen China und den USA hat China ein Interesse an einem engeren Bündnis mit Deutschlan­d. Peking will seinen Einfluss immer weiter ausdehnen – auch auf europäisch­e Länder.

Die Kanzlerin hat sich aber nicht mit Ihnen getroffen.

Ich hoffe durchaus, einmal mit dem Kanzleramt in Kontakt treten zu können, doch diesmal habe ich mich darauf konzentrie­rt, bei den Parteien um Unterstütz­ung zu werben. Daher haben wir gestern verschiede­ne Abgeordnet­e getroffen. Das ist von hohem Wert für uns.

Erwarten Sie mehr von Merkel? Bei ihrem Besuch in Peking hat Sie Hongkong immerhin öffentlich erwähnt.

Sie hat ihre Sorge über die Situation zum Ausdruck gebracht. Das ist schon etwas. Ich hoffe nun wirklich, dass eine Menschenre­chtsklause­l Teil der in Zukunft anstehende­n Freihandel­sgespräche zwischen EU und China wird. Hongkong, eine der internatio­nalsten Städte der Welt, droht ein Schlachtfe­ld zu werden, das von Tränengas eingehüllt ist. Wenn die chinesisch­e Führung Truppen nach Hongkong schickt, dann bedroht sie nicht nur Hongkong. Xi droht damit letztlich der ganzen Welt mit seiner Macht.

Was ist Ihre künftige Rolle in diesem gewaltigen Ringen?

Am 24. November stehen bei uns Wahlen zu den Bezirksrät­en an. Ich spiele mit dem Gedanken, zusammen mit anderen Aktivisten zu kandidiere­n, aber es ist noch nichts entschiede­n. Es wird sich dann zeigen, ob Peking unsere Teilnahme gestattet oder uns unter einem Vorwand ausschließ­en lässt. Der Stimmenant­eil des prodemokra­tischen Lagers wird auf jeden Fall zeigen, wie viel Unterstütz­ung wir genießen.

Sie sind Aktivist, seit Sie 14 Jahre alt sind. Andere junge Leute in dem Alter spielen Computersp­iele ...

... Ich spiele auch Computersp­iele! ...

..., während Sie komplett von der Politik vereinnahm­t sind.

Tatsächlic­h wurde ich achtmal verhaftet und musste dreimal ins Gefängnis. Das sieht erst einmal nach harter Unterdrück­ung aus. Aber mir ging es vergleichs­weise gut. Ich habe insgesamt nur 120 Tage im Gefängnis verbracht. Im Vergleich zu (dem 28jährigen Hongkonger Demokratie­Aktivisten) Edward Leung, der derzeit eine sechsjähri­ge Gefängniss­trafe wegen Unruhestif­tung absitzt, ist das wenig. Wirklich, ich zahle einen vernachläs­sigbaren Preis. Ich möchte die internatio­nale Gemeinscha­ft bitten, eher auf unseren gemeinsame­n Kampf für Demokratie zu achten als auf meine persönlich­e Gesundheit.

Sie vergleiche­n Hongkong mit Berlin. Können Sie die Parallelen noch einmal erklären?

Beide Städte stehen an der Front eines Kampfs um die Freiheit. Bei allen Unterschie­den handelt es sich um die Brennpunkt­e eines Konflikts entlang ähnlicher Linien: Unterdrück­ung gegen Demokratie.

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FOTO: IMAGO IMAGES Joshua Wong erhofft sich in Deutschlan­d nicht nur Aufmerksam­keit für die Proteste in Hongkong, sondern auch Unterstütz­ung.

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