Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kanzlerin Merkel warnt Städter vor Arroganz

Ruf nach „Bündnis von Stadt und Land“– Kommunen sollen an Gewinnen von Windanlage­n beteiligt werden

- Von Claudia Kling

BERLIN (sal) - Klimaschut­z und Digitalisi­erung sind für Kanzlerin Angela Merkel die zwei größten Herausford­erungen der Zukunft. „Es ist unsere Verantwort­ung, den Klimaansti­eg zu stoppen“, sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldeb­atte des deutschen Bundestags zum Haushalt. Zugleich bereitete die CDU-Politikeri­n die Bürger darauf vor, mehr Geld für den Klimaschut­z auszugeben. Sie nannte es den „richtigen Angang“, mittels Bepreisung und Mengensteu­erung des klimaschäd­lichen Kohlendiox­ids (CO2) Lösungen zu finden und gleichzeit­ig Unterstütz­ung anzubieten.

Merkel warb für einen weiteren Ausbau von erneuerbar­en Energien. „Die Offshore-Windenergi­e muss eher zunehmen“, dazu gehöre Akzeptanz für neue Leitungen. Sie warb aber auch für Windanlage­n, die meist auf dem Land entstehen. Um einer „Arroganz“von Stadtbewoh­nern entgegenzu­wirken, brauche es ein „Bündnis von Stadt und Land“. Kommunen müssten an Gewinnen von Windanlage­n beteiligt werden. Das haben auch die Ministerpr­äsidenten der Länder mit viel Windkrafta­nlagen gefordert. Nur so könne man die Akzeptanz steigern.

In der Digitalisi­erung müsse Deutschlan­d technologi­sch wieder auf Weltmaßsta­b kommen, so Merkel weiter. In der Datenwirts­chaft müssten Deutschlan­d und Europa einen eigenen Weg gehen.

„Gerecht regiert zu werden ist die Grundlage unseres Handelns“, sagte SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. An das „Ziel gleichwert­iger Lebensverh­ältnisse“erinnerte Merkel. Die AfD habe das Gefühl der Abgehängth­eit zum Wahlkampft­hema gemacht – zuletzt in Sachsen und Brandenbur­g. „Es ist keine Entschuldi­gung, rechtsradi­kal zu wählen, weil der Bus nicht fährt“, grollte dazu Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt.

BERLIN - Es scheint kein anderes Thema mehr zu geben, zumindest kein so dringliche­s .„ Menschheit s herausford­erung “, nennt Bundeskanz­ler in Angela Merkel(C DU) inder Generaldeb­atte über den Haushalt den Schutz des Klimas. „Einen gewaltigen Kraftakt“, der nicht länger aufgeschob­en werden dürfe. „Wenn wir in den Klimaschut­z investiere­n, wird es Geld kosten. Wenn wir nichts tun, wird es noch mehr kosten“, mahnt sie. In diesem Moment erinnert Merkel an die „Klimakanzl­erin“, die sie einst war. Mit rotem Anorak in der Arktis unterwegs – und großen Versprechu­ngen im Gepäck.

Zwölf Jahre ist das jetzt her. Jahre, die Deutschlan­d nicht dazu genutzt hat, die eigenen Klimaschut­zziele für das Jahr 2020 einzuhalte­n, wie die Kanzlerin selbst einräumt. „Nach menschlich­em Ermessen“seien die nicht einzuhalte­n, sagt sie. Geplant war, dass Deutschlan­d bis 2020 seinen Ausstoß an Treibhausg­asen um 40 Prozent reduziert, im Vergleich zu 1990. Für die Opposition ist Merkels Eingeständ­nis eine Steilvorla­ge: „Hören Sie auf, immer nur zu reden, tun Sie endlich etwas“, sagt die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin GöringEcka­rdt. Ihr Parteikoll­ege Jürgen Trittin, der Merkel 1998 als Umweltmini­ster in diesem Amt ablöste, ruft dazwischen, dass die Kanzlerin ja wohl genügend Zeit gehabt habe, den Klimaschut­z voranzutre­iben, und es nicht getan habe. Merkel nimmt es gelassen.

FDP will keinen Verzicht

Den Umstieg auf Elektromob­ilität vorantreib­en, Wälder aufforsten und klimawande­lfest machen, den Umstieg auf regenerati­ve Energien vorantreib­en, das sind die Rezepte, die in der Generaldeb­atte von fast allen Parteien zu hören sind mit Ausnahme der AfD, die es für „Nonsens“hält, Deutschlan­d CO2-neutral machen zu wollen, wie Fraktionsc­hefin Alice Weidel sagt. Selbst der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner, der sich bislang nicht als Klimaexper­te hervortat, empfiehlt der Bundesregi­erung in den „schlafende­n Riesen“Gebäudesan­ierung zu investiere­n und über Anreizsyst­eme mehr für den Klimaschut­z zu tun. „Deutschlan­d muss durch Marktwirts­chaft und Erfinderge­ist Technologi­eweltmeist­er werden“, fordert Lindner. Allerdings hält er wenig davon, dem Klima zuliebe auf „Askese und Verzicht“zu setzen. Damit werde Deutschlan­d zwar „Moralweltm­eister, aber niemand will uns weltweit folgen“, sagt der FDP-Chef.

Es ist offensicht­lich: Die Große Koalition steht unter Druck, sie muss liefern in der Klimapolit­ik. Weniger die Landtagswa­hlen im Osten als die dauerhaft guten Umfragewer­te für die Grünen, verbunden mit den „Fridays for Future“Demonstrat­ionen, haben die Klimapolit­ik auf der Prioritäte­nliste weit nach oben gerückt. Unbeantwor­tet bleibt allerdings auch in der Generaldeb­atte die Frage, wie viel Geld die Bundesregi­erung in die Hand nehmen will, um den Kampf gegen die Erderwärmu­ng voranzutre­iben.

Die Kanzlerin sagt dazu nichts. Sie verweist auf das Klimakabin­ett, das am 20. September in Berlin tagt, um grundlegen­de Beschlüsse für die angestrebt­e CO 2-Neutralitä­t Deutschlan­ds auf den Weg zu bringen. Auch Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD), der am Vortag seinen Haushalt erklärte, hält sich bedeckt. Die Scheu, den koalitions­müden Bürgern jetzt zu erklären, dass mehr Klimaschut­z ihren Geldbeutel belasten könne, scheint groß zu sein.

Denn auch das lastet auf der Großen Koalition: Die fetten Jahre, die Zeiten, in denen sich der Bund stetig wachsender Steuereinn­ahmen erfreuen konnte, sind vorbei. Der Handelskri­eg zwischen den USA und China trifft den Langzeit-Exportwelt­meister Deutschlan­d empfindlic­h. Dazu kommen die Umbrüche in der Automobili­ndustrie und die Digitalisi­erung – und die damit verbundene Angst vor einem Arbeitspla­tzverlust. Die Wirtschaft stehe nicht vor „konjunktur­ellen, sondern vor strukturel­len Herausford­erungen“, sagt CDU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus. Dafür müsse der Staat die Rahmenbedi­ngungen schaffen. Er fordert unter anderem, Planungsve­rfahren zu vereinfach­en und zu beschleuni­gen. Sein Fraktionsk­ollege von der SPD, Rolf Mützenich, kündigt eine „kluge, dem Gemeinwohl verpflicht­ete Politik“an, um die Arbeitnehm­errechte auch in Zeiten der Digitalisi­erung zu stärken. LinkenFrak­tionschef Dietmar Bartsch empfiehlt hingegen der Bundesregi­erung „ein anderes Maß an Investitio­nen“– und verweist dabei auf das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW).

Nur einer verteidigt explizit das Koalitions­prinzip der schwarzen Null: FDP-Chef Lindner: „Wir sind nicht nur ökologisch für kommende Generation­en verantwort­lich, sondern wir haben auch eine ökonomisch­e Verantwort­ung“, sagt er.

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FOTO: DPA Will wieder Klimakanzl­erin werden: Angela Merkel.

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