Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kanzlerin Merkel warnt Städter vor Arroganz
Ruf nach „Bündnis von Stadt und Land“– Kommunen sollen an Gewinnen von Windanlagen beteiligt werden
BERLIN (sal) - Klimaschutz und Digitalisierung sind für Kanzlerin Angela Merkel die zwei größten Herausforderungen der Zukunft. „Es ist unsere Verantwortung, den Klimaanstieg zu stoppen“, sagte Merkel am Mittwoch in der Generaldebatte des deutschen Bundestags zum Haushalt. Zugleich bereitete die CDU-Politikerin die Bürger darauf vor, mehr Geld für den Klimaschutz auszugeben. Sie nannte es den „richtigen Angang“, mittels Bepreisung und Mengensteuerung des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) Lösungen zu finden und gleichzeitig Unterstützung anzubieten.
Merkel warb für einen weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien. „Die Offshore-Windenergie muss eher zunehmen“, dazu gehöre Akzeptanz für neue Leitungen. Sie warb aber auch für Windanlagen, die meist auf dem Land entstehen. Um einer „Arroganz“von Stadtbewohnern entgegenzuwirken, brauche es ein „Bündnis von Stadt und Land“. Kommunen müssten an Gewinnen von Windanlagen beteiligt werden. Das haben auch die Ministerpräsidenten der Länder mit viel Windkraftanlagen gefordert. Nur so könne man die Akzeptanz steigern.
In der Digitalisierung müsse Deutschland technologisch wieder auf Weltmaßstab kommen, so Merkel weiter. In der Datenwirtschaft müssten Deutschland und Europa einen eigenen Weg gehen.
„Gerecht regiert zu werden ist die Grundlage unseres Handelns“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. An das „Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse“erinnerte Merkel. Die AfD habe das Gefühl der Abgehängtheit zum Wahlkampfthema gemacht – zuletzt in Sachsen und Brandenburg. „Es ist keine Entschuldigung, rechtsradikal zu wählen, weil der Bus nicht fährt“, grollte dazu Grünen-Fraktionschefin Katrin GöringEckardt.
BERLIN - Es scheint kein anderes Thema mehr zu geben, zumindest kein so dringliches .„ Menschheit s herausforderung “, nennt Bundeskanzler in Angela Merkel(C DU) inder Generaldebatte über den Haushalt den Schutz des Klimas. „Einen gewaltigen Kraftakt“, der nicht länger aufgeschoben werden dürfe. „Wenn wir in den Klimaschutz investieren, wird es Geld kosten. Wenn wir nichts tun, wird es noch mehr kosten“, mahnt sie. In diesem Moment erinnert Merkel an die „Klimakanzlerin“, die sie einst war. Mit rotem Anorak in der Arktis unterwegs – und großen Versprechungen im Gepäck.
Zwölf Jahre ist das jetzt her. Jahre, die Deutschland nicht dazu genutzt hat, die eigenen Klimaschutzziele für das Jahr 2020 einzuhalten, wie die Kanzlerin selbst einräumt. „Nach menschlichem Ermessen“seien die nicht einzuhalten, sagt sie. Geplant war, dass Deutschland bis 2020 seinen Ausstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent reduziert, im Vergleich zu 1990. Für die Opposition ist Merkels Eingeständnis eine Steilvorlage: „Hören Sie auf, immer nur zu reden, tun Sie endlich etwas“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Katrin GöringEckardt. Ihr Parteikollege Jürgen Trittin, der Merkel 1998 als Umweltminister in diesem Amt ablöste, ruft dazwischen, dass die Kanzlerin ja wohl genügend Zeit gehabt habe, den Klimaschutz voranzutreiben, und es nicht getan habe. Merkel nimmt es gelassen.
FDP will keinen Verzicht
Den Umstieg auf Elektromobilität vorantreiben, Wälder aufforsten und klimawandelfest machen, den Umstieg auf regenerative Energien vorantreiben, das sind die Rezepte, die in der Generaldebatte von fast allen Parteien zu hören sind mit Ausnahme der AfD, die es für „Nonsens“hält, Deutschland CO2-neutral machen zu wollen, wie Fraktionschefin Alice Weidel sagt. Selbst der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der sich bislang nicht als Klimaexperte hervortat, empfiehlt der Bundesregierung in den „schlafenden Riesen“Gebäudesanierung zu investieren und über Anreizsysteme mehr für den Klimaschutz zu tun. „Deutschland muss durch Marktwirtschaft und Erfindergeist Technologieweltmeister werden“, fordert Lindner. Allerdings hält er wenig davon, dem Klima zuliebe auf „Askese und Verzicht“zu setzen. Damit werde Deutschland zwar „Moralweltmeister, aber niemand will uns weltweit folgen“, sagt der FDP-Chef.
Es ist offensichtlich: Die Große Koalition steht unter Druck, sie muss liefern in der Klimapolitik. Weniger die Landtagswahlen im Osten als die dauerhaft guten Umfragewerte für die Grünen, verbunden mit den „Fridays for Future“Demonstrationen, haben die Klimapolitik auf der Prioritätenliste weit nach oben gerückt. Unbeantwortet bleibt allerdings auch in der Generaldebatte die Frage, wie viel Geld die Bundesregierung in die Hand nehmen will, um den Kampf gegen die Erderwärmung voranzutreiben.
Die Kanzlerin sagt dazu nichts. Sie verweist auf das Klimakabinett, das am 20. September in Berlin tagt, um grundlegende Beschlüsse für die angestrebte CO 2-Neutralität Deutschlands auf den Weg zu bringen. Auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der am Vortag seinen Haushalt erklärte, hält sich bedeckt. Die Scheu, den koalitionsmüden Bürgern jetzt zu erklären, dass mehr Klimaschutz ihren Geldbeutel belasten könne, scheint groß zu sein.
Denn auch das lastet auf der Großen Koalition: Die fetten Jahre, die Zeiten, in denen sich der Bund stetig wachsender Steuereinnahmen erfreuen konnte, sind vorbei. Der Handelskrieg zwischen den USA und China trifft den Langzeit-Exportweltmeister Deutschland empfindlich. Dazu kommen die Umbrüche in der Automobilindustrie und die Digitalisierung – und die damit verbundene Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Die Wirtschaft stehe nicht vor „konjunkturellen, sondern vor strukturellen Herausforderungen“, sagt CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Dafür müsse der Staat die Rahmenbedingungen schaffen. Er fordert unter anderem, Planungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Sein Fraktionskollege von der SPD, Rolf Mützenich, kündigt eine „kluge, dem Gemeinwohl verpflichtete Politik“an, um die Arbeitnehmerrechte auch in Zeiten der Digitalisierung zu stärken. LinkenFraktionschef Dietmar Bartsch empfiehlt hingegen der Bundesregierung „ein anderes Maß an Investitionen“– und verweist dabei auf das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Nur einer verteidigt explizit das Koalitionsprinzip der schwarzen Null: FDP-Chef Lindner: „Wir sind nicht nur ökologisch für kommende Generationen verantwortlich, sondern wir haben auch eine ökonomische Verantwortung“, sagt er.