Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Glyphosat am Gleis
Warum die Bahn auch 2019 über den Schienen in Oberschwaben Unkrautvernichtungsmittel versprüht
RAVENSBURG - Die Deutsche Bahn setzt in Oberschwaben auch in diesem Jahr die umstrittene chemische Verbindung Glyphosat ein, um Unkraut am Gleis zu vernichten. Betroffen sind die Bodenseegürtelbahn (Sipplingen-Friedrichshafen), die Südbahn (Lindau-FriedrichshafenLaupheim), die Allgäubahn (Aulendorf-Leutkirch) und die Zollernalbbahn zwischen Aulendorf und Sigmaringen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Ravensburger Bundestagsabgeordneten Agnieszka Brugger (Grüne) hervor, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt.
Brugger kritisiert das Vorgehen der Bahn. „Die Deutsche Bahn sollte angesichts der Risiken für Gesundheit und Grundwasser so schnell wie möglich den Einsatz von Glyphosat vollständig beenden“, sagt sie. Dabei ist die Bahn nicht zum Verzicht verpflichtet: Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat die Zulassung für Glyphosat im März bis Jahresende verlängert.
Darüber, wie schädlich das Unkrautvernichtungsmittel ist, gibt es unterschiedliche wissenschaftliche Erkenntnisse: Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation stufte Glyphosat im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“für Menschen ein. Die Institution untersucht allerdings nur, ob ein Stoff grundsätzlich in der Lage ist, Krebs auszulösen. Die EU-Lebensmittelbehörde Efsa, die europäische Chemikalienagentur Echa und das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung sehen hingegen keine ausreichenden Belege für eine unmittelbare Gefahr für den Verbraucher. Inwiefern Glyphosat zum Schwund der Artenvielfalt und zum Insektensterben beiträgt, ist ebenfalls umstritten.
In der EU läuft die Zulassung für den Unkrautvernichter im Dezember 2023 aus. Das Bundeskabinett hat vor wenigen Tagen beschlossen, Glyphosat ab 2023 verbieten zu lassen – und bereits ab 2020 seine Verwendung unter anderem in Parks und anderen öffentlichen Grünflächen zu untersagen. Die Deutsche Bahn will den Einsatz von Glyphosat ab 2020 halbieren und laut einer Mitteilung „weite Teile des Streckennetzes“nicht mehr damit behandeln. „Die DB hat das erklärte Ziel, lieber heute als morgen den Einsatz von Glyphosat zu beenden“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Vor allem drei Alternativen hat die Bahn demnach identifiziert: Das Verbrühen unerwünschter Pflanzen mit Heißwasser, die Pflanzen kontrolle mit elektrischem Strom–und die Behandlung der Gleisanlagen mit UV-C-Strahlen.
Bisher ist die Bahn größter Einzelabnehmer für Glyphosat in Deutschland. Das Unternehmen setzt aber nach eigenen Angaben nur 0,4 der deutschland weit eingesetzten Unkraut vernichte rein. Pflanzenvern ich tungs mittel müssen in Deutschland auf Gleisanlagen „abdriftfrei“und „randscharf“angewendet werden – also so, dass das Mittel nicht auf angrenzende Flächen gelangt.
Keine Vorab-Info an Bevölkerung
Die Bahn lässt Bahnstrecken bisher einmal pro Jahr mit sogenannten „Spritzzügen“behandeln. In Oberschwaben wurde der Spritzzug 2019 laut Bahn zunächst im April (Bodenseegürtelbahn und Teile der Südbahn) und im Juli (Teile der Südbahn) eingesetzt. Für die restlichen Strecken war Stand Mitte August eine Behandlung für Ende August geplant. Nicht behandelt werden in diesem Jahr die Abschnitte zwischen Lindau und Lindau-Reutin wegen der Großbaustelle bei Lindau-Aeschach.
Die Bahn informiert die Bevölkerung nicht vorab darüber, wann Spritzzüge im Einsatz sind. Eine Sprecherin der Bahn erklärt das auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“damit, dass die genaue Einsatzzeit schwer planbar sei. Der Zeitpunkt der Anwendung hänge vom Fahrplan ab, Personen- und Güterzüge hätten immer Vorrang. Bei Regen oder Wind finde die Fahrt nicht statt. Der Fahrplan der Spritzzüge könne sich also kurzfristig verändern. All das verhindere eine „verlässliche Vorabinformation“von Anwohnern.