Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Trump will kein Falke sein
Die Neigung von US-Präsident Donald Trump, zum verbalen Knüppel zu greifen, lässt bisweilen vergessen, mit welchem Programm er einst angetreten ist. Abgesehen davon, dass er an den Nachkriegsallianzen der USA rüttelte, versprach er so etwas wie weltpolitische Bescheidenheit. Den Rückzug aus Konfliktgebieten, den Abschied von der Rolle des Weltpolizisten, die das Land schon unter Barack Obama nicht mehr so recht spielen wollte. „Wir werden nicht mehr darum wetteifern, ausländische Regierungen zu stürzen, über die wir wenig wissen und die uns nichts angehen sollten“, erklärte Trump auf einer Kundgebung vor seinen Anhängern, als er, bereits zum Präsidenten gewählt, aber noch nicht vereidigt, in groben Umrissen seine Agenda skizzierte.
Keine Kriege mehr in der Ferne führen, die Truppen aus Afghanistan nach Hause holen, das waren die Leitplanken. Mit dem Rausschmiss John Boltons, seines Sicherheitsberaters, ist Trump gewissermaßen zum Ausgangspunkt zurückgekehrt – unter erheblichem innenpolitischem Druck.
Es sind nur noch 14 Monate bis zur nächsten Präsidentschaftswahl. Wenn Trump Chancen auf die Wiederwahl haben will, muss er bis dahin Erfolge vorweisen, auch außenpolitische. Etwa ein Abzug aus Afghanistan, möglichst verbunden mit einem Friedensschluss am Hindukusch. Oder Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung Nordkoreas. Und das Verhindern einer Eskalation im Konflikt mit Iran. Bolton, ein außenpolitischer Scharfmacher, erwies sich bei all dem als Störfaktor.
Im Kern steht Bolton für eine Außenpolitik, die ignoriert, wozu eine Mehrheit der amerikanischen Wähler, auch der konservativen, heute noch bereit ist. Das Debakel im Irak führte zu einer Ernüchterung, die in ihrer Langzeitwirkung noch immer alle Debatten prägt. Bolton, profiliertester Vertreter des – mittlerweile überschaubaren – offensiven, aggressiven
Flügels der Republikanischen Partei, wirkt in diesem Umfeld wie ein Relikt aus der Phase, in der der Hochmut eines George W. Bush und seiner neokonservativen Ratgeber das Denken bestimmte. Dass Trump nicht ewig an ihm festhalten würde, lag auf der Hand.
Geholt hat er ihn im April 2018, weil ihn beeindruckte, wie selbstsicher der ehemalige UN-Botschafter als Kommentator bei Fox News, seinem Lieblingssender, argumentierte. Der kampfeslustige Stil imponierte ihm. Der Mann schien die Idealbesetzung zu sein, um gegenüber Iranern oder Nordkoreanern den „bad cop“zu spielen. Den bösen Polizisten, dem er, Trump, gegebenenfalls den Part des „good cop“entgegensetzen konnte.
Dass Bolton Drohkulissen aufzubauen verstand, passte Trump eine Zeit lang ins Konzept. Nur meinte Bolton es offensichtlich ernst, wenn er Militärschläge empfahl, während die Androhung bewaffneter Gewalt für Trump wohl nur Teil des Spiels war und ist. Teil eines Pokers, der nach seinem Verständnis denselben Regeln folgt wie eine knifflige Preisverhandlung auf dem New Yorker Immobilienmarkt. Man kämpft mit harten Bandagen, aber letztlich in der Absicht, Geschäfte zu machen, und ohne die Brücken ein für alle Mal einzureißen. Zumal gut inszenierte Begegnungen mit den „Bösewichtern“dieser Welt hohe Einschaltquoten garantieren. Die Treffen mit dem Nordkoreaner Kim Jong-un etwa waren Trump zu wichtig, schon des dramatischen Effekts wegen, als dass er sie sich von einem Skeptiker wie Bolton hätte ausreden lassen.
Die Rechnungen gehen nicht auf
Zudem gingen die Rechnungen des Hardliners in kaum einem Fall auf. Die kompromisslose Linie gegenüber Iran, einen Monat nach seinem Amtsantritt besiegelt durch den Abschied vom Nukleardeal, führte bislang zu nichts. Immer klarer zeichnet sich ab, dass selbst härteste Wirtschaftssanktionen das Regime in Teheran nicht zu Fall bringen, während Trumps Oberfalke das Gegenteil vorausgesagt hatte. In Venezuela hält sich Nicolás Maduro an der Macht, der Totgesagte, dessen baldigen Abgang Bolton prophezeit hatte, wenn man nur den Druck verstärke, militärischen Druck eingeschlossen. Trump, heißt es in Washington, fühlte sich in eine Ecke gedrängt, die ihm mit Blick auf Caracas den Handlungsspielraum nahm.
Und nun? Im Weißen Haus gibt es keinen mehr, der Trump Paroli bieten könnte. Außenminister Mike Pompeo, als Kongressabgeordneter einer der schärfsten Kritiker des Atomkompromisses mit Teheran, aber taktisch flexibler als Bolton, gibt mal den Falken, mal die Taube – je nachdem, was sein Vorgesetzter von ihm erwartet. Die Generäle, mit denen sich Trump anfangs umgab – die Erwachsenen im Kinderzimmer, wie man sie nannte – hat der Präsident allesamt in den Ruhestand entlassen. In einem Satz: Es gibt niemanden mehr, der seine unorthodoxe Außenpolitik in Bahnen lenken könnte, wie man sie seit 1945 aus langer amerikanischer Tradition kennt. Keine Einpeitscher mehr, aber auch keine Mahner. Dafür aber viel Potenzial für Überraschungen.