Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Notenbank greift durch
Auf der Zinssitzung der EZB am Donnerstag wird mindestens ein höherer Strafzins erwartet
FRANKFURT - Die Europäische Zentralbank (EZB) wird am Donnerstag handeln. Davon sind die Finanzmärkte überzeugt. „Wir mögen nicht, was wir da sehen“, hatte EZBPräsident Mario Draghi bei der letzten Pressekonferenz Ende Juli gesagt und auf die immer noch niedrige Preissteigerungsrate verwiesen. Die lag im August im Euroland bei einem Prozent – die EZB möchte jedoch eine Rate von „unter, aber nahe zwei Prozent“erreichen. Außerdem haben sich in den vergangenen Wochen die Aussichten für die Weltwirtschaft deutlich eingetrübt. Die Handelskonflikte wirken sich da aus, ebenso belastet die Unsicherheit über den drohenden Brexit.
Deshalb könnte auf der EZB-Ratssitzung ein ganzes Maßnahmenpaket angekündigt werden, glauben Beobachter. Sie rechnen sicher mit einer weiteren Senkung des Einlagezinssatzes. Der ist jetzt schon negativ mit minus 0,4 Prozent; ihn könnte die EZB noch weiter absenken auf dann minus 0,5 oder minus 0,6 Prozent. Damit wollen die Geldpolitiker erreichen, dass die Banken, anstatt Gelder zu horten, diese in Form von Krediten an Verbraucher und Unternehmen weitergeben, damit so die Wirtschaft angekurbelt wird. Es könnte sein, dass ein sogenanntes „Tiering“eingeführt wird, dieser Strafzins also gestaffelt wird. Für die Banken würden dann je nach Höhe der Überschüsse, die bei der EZB geparkt werden, Freibeträge eingeführt. Das könnte die Geldhäuser entlasten. Denn die europäischen Banken zahlen dafür schon jetzt im Jahr 7,5 Milliarden Euro an die EZB, die deutschen Banken tragen davon 2,3 Milliarden Euro. Senkt die EZB den Zinssatz auf minus 0,5 Prozent, dann koste das allein die deutschen Banken weitere 600 Millionen Euro, rechnen diese vor. „Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen unser Finanzsystem“, hatte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing in der vergangenen Woche bei einem Bankenkongress gewarnt. Einzelne Nachbesserungen wie ein „Tiering-System“seien notwendig, um die negativen Konsequenzen abzumildern, sagte er. „Am Grundproblem ändert das allerdings nichts.“
Welche Signale sendet die EZB?
Daneben könnte die EZB den Märkten auch signalisieren, dass sie länger als bisher geplant die Geldpolitik locker hält. Im Juli hatte sie angekündigt, dass die Leitzinsen „mindestens über die erste Hälfte des Jahres 2020“nicht über ihr aktuelles Niveau steigen würden. „Es ist denkbar, dass die EZB ihren geldpolitischen Kurs für einen noch längeren Zeitraum festschreibt und Zinserhöhungen beispielsweise bis zum Jahr 2021 oder gar länger ausschließt“, erklärt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Und schließlich könnte sie auch noch das Anleihekaufprogramm neu auflegen. Aktuell kauft sie keine neuen Wertpapiere mehr am Markt, sie ersetzt nur auslaufende Papiere. Die aber haben ein Volumen von knapp 2,6 Billionen Euro erreicht. Das allein ist schon ein geldpolitischer Stimulus, die Märkte werden also weiter mit viel Geld versorgt. Gegen ein neues Anleihekaufprogramm aber hat sich im Rat der EZB schon Widerstand geregt. Vor allem die nördlichen europäischen Länder, darunter Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger, aber auch Bundesbankpräsident Jens Wiedmann hatten sich dagegen ausgesprochen. Schließlich hatte sich die Notenbank die Grenze auferlegt, nicht mehr als ein Drittel der ausgegebenen Anleihen eines Landes zu halten. Diese Grenze hat sie bei einigen Ländern schon fast erreicht. Isabel Schnabel, Mitglied des Sachverständigenrats, zweifelt, dass die EZB gleich alle Maßnahmen ergreifen wird, sondern diese über die Zeit etwas streckt: „Das kann durchaus sein, dass die Anleihekäufe doch noch etwas in die Zukunft verschoben werden“, glaubt sie.
Für die Sparer aber bedeutet das: Mit festverzinslichen Anlagen werden sie auf absehbare Zeit eher Geld verlieren als eine positive Rendite erzielen. „Solange die Eurozone besteht, werden wir nie mehr wirklich Zinsen sehen, mit denen wir leben können“, sagt Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank, zumal auch die meisten Staatspapiere derzeit negativ rentierten: „Ziehen wir noch die Inflation ab, dann kann man mit Zinsvermögen nur arm werden.“Sein Rat: Einen Teil des Vermögens langfristig in Aktien investieren. Denn gegebenenfalls könnten mehr Banken als bisher sich nun genötigt sehen, die negativen Zinsen auch an kleinere Bankkunden weiterzugeben. Bisher haben sie das nur vereinzelt bei hohen Einlagen auf den festverzinslichen Konten von etwa 100 000 Euro an getan.