Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn plötzlich nichts mehr so ist wie früher

„Mein Leben mit Amanda“ist ein anrührende­r Film über Trauer und den Weg zurück ins Leben

- Von André Wesche

Amanda (Isaure Multrier) ist sieben Jahre alt und ungemein neugierig. Ihre alleinerzi­ehende Mutter Sandrine (Ophélia Kolb) erklärt ihr die Welt geduldig in allen Details. Sandrine steht ihrem Bruder David (Vincent Lacoste) sehr nah. Die Geschwiste­r unterstütz­en sich gegenseiti­g in allen Bereichen des wenig glamouröse­n Pariser Großstadta­lltags. David ist 24, hat zwei Jobs und ist frisch verliebt. Heute wird er wieder auf Amanda aufpassen, weil seine Schwester ausgehen möchte. Er soll noch drei oder vier Baguettes mitbringen, die Sandrine vergessen hat. Dabei ist er sowieso schon spät dran. Ein ganz normaler Tag also, der sich so überall millionenf­ach abspielen könnte. Wenn da bloß diese Musik nicht wäre, die die dumpfe Vorahnung weckt, dass sich etwas Schrecklic­hes ereignen wird. Radfahrer David wundert sich noch über zwei Motorräder, die ihm ohne Sinn und Verstand entgegenra­sen, als er sich in einer wahren Apokalypse wiederfind­et. Die Wiese im Park ist übersät mit Verletzten,

Sterbenden, Toten. Wie sich herausstel­len wird, wurde auch Sandrine bei dem Anschlag getötet. Davids Freundin Léna (Stacy Martin) ist schwer verletzt.

„Wo sind denn alle?“, wundert sich Amanda, als David am nächsten Tag mit ihr spazieren geht, um sie schonend auf die schlechtes­te aller Nachrichte­n vorzuberei­ten. Die sonst so pulsierend­e Metropole liegt in Schockstar­re, genauso wie David auch. Er muss sich mit der Möglichkei­t auseinande­rsetzen, eine Rolle als Vormund und Ersatzvate­r seiner Nichte einzunehme­n, obwohl er selbst eben erst den Kinderschu­hen entwachsen ist. Gemeinsam werden David und Amanda weiterlebe­n.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der französisc­he Film mit den abscheulic­hen Terroransc­hlägen auseinande­rsetzen würde, die das Land erschütter­t haben. Dass es Filmemache­r Mikhaël Hers („Dieses Sommergefü­hl“) gelungen ist, auf Anhieb einen angemessen­en Zugang zu diesem sensiblen Thema zu finden, grenzt fast schon an ein Wunder. Jedes reißerisch­e Element geht diesem Werk ab, den (wie auch immer motivierte­n) Tätern bleibt eine flüchtige Leinwandse­kunde. Aber auch wenn der Fokus der Erzählung auf den Opfern liegt, ist „Mein Leben mit Amanda“kein tränenschw­eres Drama, sondern eine authentisc­he, beinahe leichte und sehr zärtlich erzählte Geschichte über den Umgang mit Verlust ohne Selbstaufg­abe. Überflüssi­g zu erwähnen, dass jeder einzelne Schauspiel­er in guten wie in schlechten Zeiten Großes geleistet hat. Brillant.

Mein Leben mit Amanda. Regie: Mikhaël Hers. Mit Vincent Lacoste, Stacy Martin, Greta Scacchi Frankreich 2018. 107 Minuten. FSK ab 12 Jahren.

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FOTO: MFA/DPA Sie werden viel zu früh mit dem Tod konfrontie­rt: die kleine Amanda (Isaure Multrier) und ihr Onkel David (Vincent Lacoste).

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