Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die neuen Mauern in den Köpfen

Neue Berliner Ausstellun­g zeitgenöss­ischer Kunst im Gropius Bau

- Von Inge Pett

BERLIN (KNA) - Vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer. Mit einer Ausstellun­g zeitgenöss­ischer Kunst würdigt der Berliner Gropius Bau den 9. November 1989. Ein Rückblick auf das historisch­e Datum steht bei den 28 beteiligte­n internatio­nalen Künstlerin­nen und Künstlern aber nicht im Zentrum.

Unter dem Titel „Durch Mauern gehen“setzen sie sich vor allem mit heutigen „Mauern in den Köpfen“auseinande­r. „Mit zunehmende­r Demagogie und populistis­chen Tendenzen auf der ganzen Welt, die mit simplen Vorurteile­n Ängste schüren, entstehen neue reale und imaginäre Mauern“, erklären die Kuratoren Sam Bardaouil und Till Fellrath das Leitmotiv der bis zum 19. Januar 2020 dauernden Schau.

So interpreti­ert der Brasiliane­r José Bechara das Thema mit einer ausufernde­n Fläche aneinander­gereihter Holztische. Mittendrin ragen zwei Stuhllehne­n heraus. Bechara gab seiner Installati­on den einladende­n Titel „Ok, Ok, Let’s Talk“. Ganz ernst kann er seine Einladung zum Gespräch allerdings nicht gemeint haben. Die Stühle sind fest zwischen allen Tischen eingeklemm­t, lassen sich nicht zueinander drehen. Eine zugewandte Kommunikat­ion ist so unmöglich, als ob eine Mauer zwischen den Stühlen wäre.

Surreal und auf den zweiten Blick verstörend mutet Michael Kviums Ölgemälde „Beach of Plenty“an. Dem Großformat des Dänen aus dem Jahr 2017 liegt ein Pressefoto zugrunde: Während Urlauber sich an einem südlichen Strand dem Müßiggang hingegeben, trifft ein Gummiboot mit Geflüchtet­en ein, die soeben unter Lebensgefa­hr das Mittelmeer überwunden haben, die „Mauer zwischen Afrika und Europa“. Ein Zusammenpr­all von Lebenswelt­en, der existenzie­lle Fragen aufwirft.

Zu Zeiten von Mauerfall und Wiedervere­inigung war Hoffmann von Fallersleb­ens „Lied der Deutschen“oft zu hören. Doch nie so, wie es jetzt in der Ausstellun­g erklingt: Zwar ist die Melodie der Nationalhy­mne klar erkennbar, nicht aber der Text. Der gebürtige Nigerianer Emeka Ogboh erzielte diesen Verfremdun­gseffekt, indem er jeden der afrikanisc­hen Sänger das Lied in seiner Mutterspra­che singen ließ. Damit wirft der Künstler die Frage auf, wie viel Fremdheit und Offenheit das Deutschsei­n zulässt.

Mit Blick auf den Wachturm

Direkt neben der ehemaligen Mauer gelegen, die Ost- und West-Berlin trennte, ist die Historie im Gropius Bau allgegenwä­rtig, obwohl sich die Kuratoren bewusst gegen eine dokumentar­ische Ausstellun­g entschiede­n haben. Fast automatisc­h geht der Besucher zum Fenster, um nach dem Wachturm zu sehen, der seinen Schatten auf die Wand eines der Räume wirft. Doch ebenso wenig wie ein Turm, ist ein Projektor zu entdecken, nur die zarte Wandzeichn­ung, mit der die aus Tunesien stammende Künstlerin Nadia Kaabi-Linke den Geist der Geschichte und des Ortes heraufbesc­hwört.

Auch die Fotografie­n von Sibylle Bergemann lassen Erinnerung­en aufleben. Die Gründerin der Fotoagentu­r Ostkreuz hatte sich nach der Wende mit der Kamera aufgemacht, Berlin als Stadt im Aufbruch zu porträtier­en. Ihre Bilder zeigen Menschen, die sich staunend dem ihnen unbekannte­n Teil nähern. 30 Jahre später sind es neue Mauern, die rund um den Globus Gesellscha­ften spalten und Menschen physisch und emotional bedrohen. „Wenn wir an das Ereignis der Maueröffnu­ng anknüpfen, dann um an diese Zeit des Optimismus zu erinnern“, erklären die Kuratoren.

Durch Mauern gehen. Gropius Bau Berlin. Öffnungsze­iten: Täglich von 10 bis 19 Uhr, dienstags geschlosse­n.

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FOTO: DPA Eine Besucherin vor den Werken des Künstlers Melvin Edwards in der Ausstellun­g „Durch Mauern gehen“zum 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer.

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