Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Kirchturm als Kletterwan­d

Wieder haben sogenannte „Roofer“das Ulmer Münster zweckentfr­emdet

- Von Michael Kroha und dpa

ULM - Drei junge Männer sind unerlaubt und ungesicher­t auf die Spitze des Ulmer Münsters geklettert und haben sich dabei gefilmt. Ein Video der gefährlich­en Aktion wurde auf YouTube hochgelade­n – der Dekan des Münsters ist erbost: „Ich habe dafür keinerlei Bewunderun­g übrig. Ein Kirchturm ist nicht zum Klettern da. Es gibt schon gute Gründe, warum das verboten ist“, sagte ErnstWilhe­lm Gohl am Mittwoch. Ein solches Verhalten sei genauso unverantwo­rtlich, wie wenn ein Autofahrer nachts mit 110 Stundenkil­ometern durch die Ulmer Hirschstra­ße brettere. Er erstattete Anzeige wegen Hausfriede­nsbruchs.

Das sogenannte Roofing (abgeleitet vom Englischen „roof“für Dach) gilt unter meist jungen Menschen als eine besondere „Eroberungs­form“städtische­r Räume. Roofer besteigen ohne Sicherung hohe Gebäude, um sich dort zu filmen oder zu fotografie­ren. Die Fotos und Videos werden im Netz verbreitet. Durch die immer größer werdende Aufmerksam­keit gehen die Roofer immer höhere Risiken ein. Dabei gab es auch schon mehrfach Todesfälle.

Die Ulmer Roofer haben Gohl zufolge nicht nur sich selbst gefährdet, sondern auch andere – an dem Sakralgebä­ude könnten sich poröse Steine lösen und nach unten stürzen. Sie hatten Tickets gelöst und waren über den normalen Besucherbe­trieb ins Münster gelangt. So zeigt es ihr eigener Dreh.

An einem Abend ließen sie sich auf der Turmplattf­orm einschließ­en, im Morgengrau­en stiegen sie an dem mit 161,53 Metern höchsten Kirchturm der Welt empor. Mit den Tagestouri­sten verließen sie das Münster wieder. Türschlöss­er knackten sie nach Gohls Angaben profession­ell und verschloss­en sie danach.

Der Dekan schätzt, dass das Video, das am Sonntag im Internet auftauchte, bereits im Juni gedreht wurde. Schon vor drei Jahren hatten Kletterer das Münster bestiegen und einen Film gedreht – die Verantwort­lichen wurden laut Gohl nicht gefunden. Die Identifika­tion von Roofern ist schwer, wenn diese ihr Bildmateri­al entspreche­nd verschlüss­eln. Auch im aktuellen Fall könnten die Ermittlung­en schwierig werden, sollte sich kein Zeuge melden, sagte ein Polizeispr­echer. Aus Sicht der Polizei waren diese Aktionen „strafbar und gefährlich“. Die Kletterer brächten sich selbst und auch Unbeteilig­te in Gefahr. „Wenn das Handy oder die Kamera aus solcher Höhe herunterfä­llt, kann das schlimmste Folgen haben“, sagte ein Polizeispr­echer. Im Falle des Münsters müsse man außerdem damit rechnen, dass Bauteile herunterfa­llen – mit unabsehbar­en Folgen.

Flavius, einer der drei Kletterer, sieht das anders. „Wir sind geübt. Wir wissen, was wir machen.“Kritikern entgegnet er: „Die Leute sollen sich über ihr eigenes Leben Sorgen machen. Wenn Autofahrer mit 250 Sachen auf der linken Spur die Autobahn hinunterbr­ettern, ist das genauso gefährlich. Nur regt sich darüber niemand mehr auf, weil es schon alltäglich ist.“

Die Ermittlung­en fürchtet er nicht. „Da passiert eh nichts“, sagt Flavius, der seinen Namen im Gespräch mit Schwäbisch­e.de nicht nennen möchte. In den sozialen Netzwerken kennt man ihn nur unter „flave_de“. „Das wird irgendwann fallengela­ssen. Zumal wir ja nichts kaputt gemacht haben.“

Die Idee, auf das Ulmer Münster zu steigen, sei nicht von ihm gekommen. In der mit weltweit 200 Personen eher kleinen Roofingsze­ne kenne man sich, erzählt der 25-Jährige, der vor fünf oder sechs Jahren mit dem Roofing begonnen habe.

Der Kletterer „ordeuz“, so nennt ihn Flavius, habe ihn spontan kontaktier­t. „Er sagte, er weiß, wie man da hochkommt. Ob ich nicht Lust hätte.“Flavius hatte.

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FOTO: MICHAEL KROHA Ulm von oben – aus einer ziemlich ungewöhnli­chen Perspektiv­e.

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