Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Kirchturm als Kletterwand
Wieder haben sogenannte „Roofer“das Ulmer Münster zweckentfremdet
ULM - Drei junge Männer sind unerlaubt und ungesichert auf die Spitze des Ulmer Münsters geklettert und haben sich dabei gefilmt. Ein Video der gefährlichen Aktion wurde auf YouTube hochgeladen – der Dekan des Münsters ist erbost: „Ich habe dafür keinerlei Bewunderung übrig. Ein Kirchturm ist nicht zum Klettern da. Es gibt schon gute Gründe, warum das verboten ist“, sagte ErnstWilhelm Gohl am Mittwoch. Ein solches Verhalten sei genauso unverantwortlich, wie wenn ein Autofahrer nachts mit 110 Stundenkilometern durch die Ulmer Hirschstraße brettere. Er erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.
Das sogenannte Roofing (abgeleitet vom Englischen „roof“für Dach) gilt unter meist jungen Menschen als eine besondere „Eroberungsform“städtischer Räume. Roofer besteigen ohne Sicherung hohe Gebäude, um sich dort zu filmen oder zu fotografieren. Die Fotos und Videos werden im Netz verbreitet. Durch die immer größer werdende Aufmerksamkeit gehen die Roofer immer höhere Risiken ein. Dabei gab es auch schon mehrfach Todesfälle.
Die Ulmer Roofer haben Gohl zufolge nicht nur sich selbst gefährdet, sondern auch andere – an dem Sakralgebäude könnten sich poröse Steine lösen und nach unten stürzen. Sie hatten Tickets gelöst und waren über den normalen Besucherbetrieb ins Münster gelangt. So zeigt es ihr eigener Dreh.
An einem Abend ließen sie sich auf der Turmplattform einschließen, im Morgengrauen stiegen sie an dem mit 161,53 Metern höchsten Kirchturm der Welt empor. Mit den Tagestouristen verließen sie das Münster wieder. Türschlösser knackten sie nach Gohls Angaben professionell und verschlossen sie danach.
Der Dekan schätzt, dass das Video, das am Sonntag im Internet auftauchte, bereits im Juni gedreht wurde. Schon vor drei Jahren hatten Kletterer das Münster bestiegen und einen Film gedreht – die Verantwortlichen wurden laut Gohl nicht gefunden. Die Identifikation von Roofern ist schwer, wenn diese ihr Bildmaterial entsprechend verschlüsseln. Auch im aktuellen Fall könnten die Ermittlungen schwierig werden, sollte sich kein Zeuge melden, sagte ein Polizeisprecher. Aus Sicht der Polizei waren diese Aktionen „strafbar und gefährlich“. Die Kletterer brächten sich selbst und auch Unbeteiligte in Gefahr. „Wenn das Handy oder die Kamera aus solcher Höhe herunterfällt, kann das schlimmste Folgen haben“, sagte ein Polizeisprecher. Im Falle des Münsters müsse man außerdem damit rechnen, dass Bauteile herunterfallen – mit unabsehbaren Folgen.
Flavius, einer der drei Kletterer, sieht das anders. „Wir sind geübt. Wir wissen, was wir machen.“Kritikern entgegnet er: „Die Leute sollen sich über ihr eigenes Leben Sorgen machen. Wenn Autofahrer mit 250 Sachen auf der linken Spur die Autobahn hinunterbrettern, ist das genauso gefährlich. Nur regt sich darüber niemand mehr auf, weil es schon alltäglich ist.“
Die Ermittlungen fürchtet er nicht. „Da passiert eh nichts“, sagt Flavius, der seinen Namen im Gespräch mit Schwäbische.de nicht nennen möchte. In den sozialen Netzwerken kennt man ihn nur unter „flave_de“. „Das wird irgendwann fallengelassen. Zumal wir ja nichts kaputt gemacht haben.“
Die Idee, auf das Ulmer Münster zu steigen, sei nicht von ihm gekommen. In der mit weltweit 200 Personen eher kleinen Roofingszene kenne man sich, erzählt der 25-Jährige, der vor fünf oder sechs Jahren mit dem Roofing begonnen habe.
Der Kletterer „ordeuz“, so nennt ihn Flavius, habe ihn spontan kontaktiert. „Er sagte, er weiß, wie man da hochkommt. Ob ich nicht Lust hätte.“Flavius hatte.