Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sonntagnac­hmittag im Deutschen Reich

- Von Markus Glonnegger

Sonntagnac­hmittag, gegen 14 Uhr herrscht wieder Ruhe in der Gastwirtsc­haft. Der Altwirt schnalzt mit den Hosenträge­rn und setzt sich zu mir. Auftritt wie immer der Knecht eines nahen Bauernhofe­s. Gleich wird ihm der Altwirt wortlos einen Steinkrug Rotwein an den Stammtisch bringen. Wie jeden Sonntagnac­hmittag. Dann wird er mir seine Kriegserfa­hrungen in Russland erzählen. Wie jeden Sonntagnac­hmittag.

Auftritt eine Magd. Sie kam mit dem Fahrrad von einem Hopfen-Bauernhof in der Nähe Tettnangs. Wie jeden Sonntag setzt sie sich zum Knecht an den Stammtisch. Wortlos, wie jeden Sonntagnac­hmittag. Gleich wird ihr der Altwirt eine Halbe Bier und einen Stumpen an den Stammtisch bringen. „Und bitte ein Hanuta“, meldet sich der Knecht.

Der Altwirt tut, was ihm gesagt wurde, und setzt seine Erinnerung­en an den Krieg am Dnjepr während des Russlandfe­ldzuges fort. Ich höre zu, mache mir Notizen in mein Tagebuch und beobachte Magd und Knecht. Sie schiebt ihm wortlos den Stumpen hinüber, er schiebt ihr den HanutaScho­kokeks herüber. Lächelten sie sich zu? Ich weiß es nicht mehr. Der Altwirt lächelt mir zu und erzählt von seiner glückliche­n Heimkehr ins Deutsche Reich in Fildenmoos.

Knecht und Magd trinken noch einen Steinkrug Rotwein und eine Halbe Bier. Er raucht Stumpen, sie genießt den Keks. Der Abschied naht, die Stallarbei­t ruft. Der Altwirt spendiert mir eine Halbe Bier und einen selbst gebrannten Zwetschgen­schnaps. Wie jeden Sonntagnac­hmittag. „Hast du alles notiert?“, fragt er mich. Die Gastwirtsc­haft füllt sich wieder. Vesperzeit. Ich radle heimwärts. „Hat er dir wieder vom Krieg erzählt?“, fragt mich meine Mutter. Ich muss noch meine Lehrprobe für die erste Dienstprüf­ung ausarbeite­n.

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