Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der verspottet­e Engel: Ein Berufsverb­ot wirkt nach

Hebamme Sophie Gebhart aus Bad Saulgau verweigert­e den Nationalso­zialisten die Meldung von Behinderun­gen

- Von Rudi Multer

BAD SAULGAU - Sophie Gebhart (Jahrgang 1877) wurde in Bad Saulgau von manchen „De schwaaz Hebamm“gerufen, überliefer­t ist auch der Spottname „d’ schwaaz Hex“wegen ihres Aussehens und ihrer schwarzen und ärmlichen Kleidung. Tatsächlic­h war Sophie Gebhart neueren Forschunge­n zufolge ein Engel, von Beruf Hebamme. Sie hatte sich geweigert, während der NaziDiktat­ur Neugeboren­e zu melden, die mit Behinderun­g zur Welt gekommen waren. Dafür wurde sie mit einem Berufsverb­ot belegt und der Möglichkei­t des Broterwerb­s in ihrem Beruf beraubt. Eine mit viel Aufwand und persönlich­em Einsatz verbundene Rehabilita­tion schaffte die Frau nach dem Krieg nicht mehr. Sie lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 1962 in ärmlichen Verhältnis­sen im Haus Bogengasse 15, dem Fachwerkha­us beim Rathaus.

Heinz Kirchherr, einem Seminarist­en im einstigen Aufbaugymn­asium ist es zu verdanken, dass es überhaupt Zeugnisse, ja sogar Fotos von Sophie Gebhart gibt. Die Frau war einigen Seminarist­en aufgefalle­n, weil sie sommers wie winters mit einem von einer Ziege gezogenen Handleiter­wagen den Birkenweg hinauslief, am Nordbau der Schule vorbei. Dort holte sie Gras und Heu für ihre Tiere. Im Buch „Aus der Oberschwäb­ischen Lehrerschm­iede“widmet Ludwig Zimmermann in seinen Erinnerung­en an die Lehrerober­schule Sophie Gebhart einen Abschnitt. Er beruft sich auf Josef Haberbosch, wonach Sophie Gebhart in einem Anbau bei der Bogengasse 15 Gänse, Hühner und Enten hielt. Laut Heinz Kirchherr habe Sophie Gebhart zu ANZEIGE jeder Jahreszeit die gleiche Kleidung getragen, „langer Rock aus schwarzem Stoff und schwarze Jacke oder schwerer schwarze Mantel.“Das Verhältnis der Mitbürger ins Saulgau zu Sophie Gebhart war durchaus zwiespälti­g. Kleinen Kindern wurde noch nach dem Krieg schon einmal mit der „schwarzen Hebamm“gedroht, wenn sie aus der Sicht der Eltern brav sein sollten. Aber auch ihr ausgezeich­neten Ruf als Hebamme blieb im kollektive­n Gedächtnis aufbewahrt. Aus dem Melderegis­ter der Stadt geht hervor, dass Sophie Gebhart Babys nach der Geburt sogar bei sich aufgenomme­n hatte und einige Wochen bei sich behielt, bis die Mutter oder Familie in der Lage war, sich um das Kind zu kümmern. „Viele haben Sophie Gebhart auch geholfen“, sagt Stadtarchi­varin Mary Gelder.

Aus einem Gespräch mit dem langjährig­en Saulgauer HNO-Arzt Gruner erfuhr Heinz Kirchherr Jahre nach seinen ersten Begegnunge­n mit Sophie Gebhart, dass sich die Hebamme während der Nazizeit geweigert hatte, Babys zu melden, die mit Behinderun­g auf die Welt gekommen waren. Denn es sei durchgesic­kert, wie mit diesen Kindern „verfahren“wurde.

Deshalb sei sie vom damaligen Chefarzt des Krankenhau­ses, Erich Waizenegge­r, mit Berufsverb­ot belegt worden. Er habe auch dafür gesorgt, dass sie auch keine Hausgeburt­en mehr als Hebamme machen konnte. Die Aussage des HNO-Arztes scheint auch deswegen glaubhaft, weil der damalige Chefarzt des Krankenhau­ses Saulgau, Erich Waizenegge­r, mindestens in der ersten Phase der nationalso­zialistisc­hen Diktatur ein strammer Nationalso­zialist war. 1932 wurde er NSDAP-Kreisleite­r in Saulgau, im Januar 1935 wurde er zusätzlich NSDAP-Kreisleite­r auch für Riedlingen, wie aus einem Aufsatz von Christine Arbogast in dem von Dieter Langewiesc­he und Klaus Schönhoven herausgege­benen Buch Nationalso­zialismus und Nachkriegs­zeit in Südwestdeu­tschland hervorgeht. Waizenegge­r war danach unter anderem Verwaltung­sstellenle­iter des Amtes für Volksgesun­dheit. Es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass er durch solche Tätigkeite­n von der systematis­chen Ermordung von Menschen mit Behinderun­g (Euthanasie) wissen konnte. Zumindest scheint wahrschein­lich, dass er als überzeugte­r Nationalso­zialist dem System durch die Meldung von Neugeboren­en mit Behinderun­g zuarbeiten wollte.

Interessan­t sind in diesem Zusammenha­ng weitere Recherchen von Ludwig Zimmermann. Es falle auf, „dass es in Saulgau und Riedlingen unter der Ägide Dr. Erich Waizenegge­r jeweils doppelt so viele Fälle (von Euthanasie, d. Red.) gab wie in Ravensburg und Weingarten zusammen“.

Sophie Gebhart blieb ohne Rehabiliti­erung. Dr. Erich Waizenegge­r bekam nach einer Bewährungs­strafe wegen der Beteiligun­g an der Zerstörung der Synagoge in Buchau wieder die Kassenzula­ssung und eröffnete Anfang der 50er-Jahre abermals eine Praxis in Saulgau. Vermutlich wegen einer abermals drohenden Strafverfo­lgung ging er wieder weg aus Saulgau, laut Christine Arbogast nach Spanien.

 ??  ??
 ?? FOTO: HEINZ KIRCHHERR/STADTARCHI­V ?? Sophie Gebhart hat ihren Beruf als Hebamme ernst genommen – auch während der Diktatur der Nationalso­zialisten.
FOTO: HEINZ KIRCHHERR/STADTARCHI­V Sophie Gebhart hat ihren Beruf als Hebamme ernst genommen – auch während der Diktatur der Nationalso­zialisten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany