Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Mensch hinter der Rührschüssel
Nach der Nationalmannschaft ist vor dem Topspiel – und Gnabry wieder Hoffnungsträger
MÜNCHEN - Vor etwas mehr als einem Jahr war Serge Gnabry noch ein Versprechen, das sich anschickte nach einer Leihe zur TSG Hoffenheim beim FC Bayern München irgendwann einmal eventuell eine Rolle beim Rekordmeister zu spielen. Eine Saison, 42 Einsätze, 13 Tore und sechs Vorlagen später ist der gebürtige Stuttgarter unverzichtbarer Leistungsträger. Aber nicht nur dort. Auch in der Nationalmannschaft ist er spätestens seit den jüngsten beiden Partien und der Huldigung durch Bundestrainer Joachim Löw („Serge Gnabry spielt immer.“) auch öffentlich im Fokus angekommen. In nur zehn Partien hat sich der Angreifer zu einer festen Größe entwickelt. Nach neun Toren mit dem Adler auf der Brust, ist der 24-Jährige derzeit Torgarant und offensiver Hoffnungsträger. Kein Marco Reus, Toni Kroos oder Timo Werner, Gnabry ist dank der Megaquote der Name der Stunde.
Allgemein ist Gnabry ein Abziehbild der neuen Generation, die ihren Anführer bisher im Bösinger Joshua Kimmich hatte. Nicht nur auf, auch neben dem Platz brechen die jungen Kicker alte Muster auf. Vegane Ernährung als Profisportler hat Gnabry mehrere Monate ausprobiert.
Er gibt sich reflektiert und bewusst nachdenklich, auch wenn seine zum Markenzeichen avancierte Rühr-den-Kochlöffel-Geste beim Torjubel einem extrovertierten Basketballer aus der NBA entlehnt ist. Dabei ist der markante Rührjubel nach Toren – die imaginäre Schüssel, in der Gnabry den Löffel kreisen lässt – mittlerweile auf vielen Plätzen zu Hause. „Das ist Cooking. Wenn James Harden übertrieben viele Punkte macht, dann ist er der Chefkoch“, erklärt Gnabry einst. Ansonsten ist Gnabry – von seinen wechselnden Frisuren abgesehen – frei von solch Extravaganzen. Anführer kommen heutzutage eben ohne männliches Balzgehabe aus. „Männlichkeit im klassischen Sinne ist für mich nicht wichtig. Geschlechterrollen bieten Orientierung, Geschlechterrollen schränken aber auch ein. Für mich ist
„Serge kam nach seinem Tor zu mir und sagte: Am Samstag haue ich auch einen rein.“
es wichtiger, ein guter Mensch als ein guter Mann zu sein“, sagte der Sohn eines Ivorers und einer Schwäbin jüngst dem Magazin „GQ“.
Mit 16 zog Gnabry nach fünf Jahren beim VfB Stuttgart in die große Fußballwelt, holte sich Schliff und englische Härte im Nachwuchs des FC Arsenal. Wenn auch nicht ganz auf sich allein gestellt. „Mein Vater ist damals mitgekommen, hat mit mir gelebt, ich hatte ihn immer um mich. Er hat mich auch vor vielen schlechten Einflüssen bewahrt, dafür bin ich ihm echt dankbar“, erinnert sich Gnabry: „Er hat sogar die Arbeit hintangestellt, damit ich glücklich bin, damit ich Fußball spielen kann.“
Über Werder Bremen kam er zurück in die Bundesliga. Wenige Experten trauten ihm 2017 den Schritt zum großen FC Bayern zu, der ihn direkt in den Kraichgau weiterverlieh und den Außenstürmer dann – das Marcel Hastenberg Ende ist bekannt – als Nachfolger von Franck Ribéry auserkor.
Dass es jedoch so schnell geht, damit hätte wohl selbst Gnabry nicht gerechnet. Das Selbstvertrauen zumindest konnte jedenfalls Schritt halten. Als Gnabry und Marcel Halstenberg mit ihren beiden Toren gegen Nordirland gerade ordentlich
Druck vom nach der Holland-Pleite brodelnden Kessel der Nationalmannschaft genommen hatten und noch das Trikot mit dem Adler auf dem Herzen trugen, flogen schon die Spitzen vor dem Bundesliga-Kracher.
„Serge kam nach seinem Tor zu mir und sagte: ,Am Samstag haue ich auch einen rein’“, sagte Halstenberg, der am Samstag (18.30/Sky) wieder das Leibchen von Spitzenreiter RB Leipzig überstreift und Gnabrys FC Bayern zum Topspiel fordert.
Die Leipziger stehen dem Klassenprimus
„Für mich ist es wichtiger, ein guter Mensch zu sein als ein guter Mann.“
aus dem Süden dabei in nichts nach. Allen voran Stürmer Timo Werner. Die Tore, die er im DFB-Dress jüngst schuldig geblieben war, soll jetzt sein einstiger Wunschclub kassieren. „Ich habe mir eine Tor-Pause bei den Länderspielen genommen, jetzt kann ich ruhig wieder treffen“, sagte Werner, der vor der Länderspielpause noch seinen Vertrag bei RB bis 2023 verlängerte, nachdem sich ein Wechsel nach München zerschlagen hatte. Der neue Kontrakt hat ihn beflügelt. Mit fünf Toren aus den ersten drei Bundesliga-Spielen explodierte Werner.
Das haben auch die Bayern gesehen und ganz sicher auch Gnabry. Sodass er lieber früher als später versuchen sollte, die Leipziger Offensivmaschinerie aus dem Tritt zu bringen. Im Gegensatz zu Bayern (sieben Punkte) hat RB schließlich alle drei Partien zum Start gewonnen. Serge Gnabry in der GQ zum Thema „Neue Männlichkeit“