Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Er sieht sich in der Pflicht
Das Warten hat ein Ende und ein langer Wahlkampf beginnt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will es noch einmal wissen. Er tritt 2021 wieder an, auch wenn er sich nichts mehr beweisen muss. 2011 wurde er überraschend Regierungschef, 2016 war sein Sieg überzeugend. Kretschmann ist es dabei gelungen, tief in das CDU-Wählerreservoir einzudringen.
Katholisch und konservativ, bodenständig und dazu mit einem politischen Gespür ausgestattet, das es dem Gegner und zuweilen den eigenen Parteifreunden schwer macht, sich mit dem Laizer anzulegen. Kretschmann ist auch nach Jahren im Amt noch enorm populär, wurde sogar als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen, sich dem Stress einer aufreibenden Berufspolitik gepaart mit erheblichen Amtspflichten zu entziehen.
Warum tut sich der 71-Jährige das alles noch einmal an, obwohl er doch immer begeistert von seinen Enkeln spricht? Die Antwort liegt auf der Hand: Kretschmann lässt sich in die Pflicht nehmen. Ohne ihn ist es weniger wahrscheinlich, dass die Grünen die stärkste Kraft im Südwesten bleiben. Sein Regierungsstil hat jahrelang verdeckt, dass die Grünen personell nicht so aufgestellt sind, um problemlos jemanden aus dem Hut zaubern zu können, der – oder die – über die Grünen-Klientel hinaus Wähler ansprechen könnte.
Cem Özdemir wird als Einziger in diesem Zusammenhang erwähnt, doch dieser sieht sich mehr in der Bundespolitik. Denkbar, dass dennoch ein Stabwechsel mitten in der kommenden Legislatur durchgespielt wird, so Kretschmann die nächste Wahl gewinnen sollte.
Jetzt wird es vor allem spannend, ob die Scharmützel einer Wahlkampagne vom Kabinettstisch ferngehalten werden können. Denn an dem sitzt Kultusministerin Susanne Eisenmann, die Spitzenkandidatin der CDU. Sie gilt als durchsetzungsstark und offensiv. Die härteste Konkurrentin von Winfried Kretschmann sitzt also tatsächlich in der Regierung, nicht in der Opposition.