Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf der Automesse wird Merkel zur E-Kanzlerin

Regierungs­chefin probt Schultersc­hluss mit der viel kritisiert­en Branche – Proteste von Klimaschüt­zern

- Von Andreas Hoenig

FRANKFURT (dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat auf der Internatio­nalen Automobila­usstellung (IAA) der deutschen Autoindust­rie eine enge Zusammenar­beit versproche­n. Gemeinsam müsse man die „Herkulesau­fgabe“bewältigen, den Verkehrsse­ktor schnell klimafreun­dlicher zu machen, sagte sie zur offizielle­n Eröffnung am Donnerstag in Frankfurt. An ihrer Seite: VDA-Präsident Bernhard Mattes. Für den obersten Branchenlo­bbyisten war es die letzte IAA. Am Abend kündigte er seinen Rückzug von der Spitze des Verbandes der Automobili­ndustrie zum Jahresende an.

Am Ende ihres 90-minütigen Rundgangs mit Besichtigu­ng etlicher Elektroaut­os und autonom fahrender Shuttle-Busse zog Merkel ein zufriedene­s Fazit: „Ich konnte mich überzeugen, dass wir nicht vor einem Umbruch stehen, sondern dass dieser Umbruch bereits Realität ist.“Die Greenpeace-Proteste gegen angebliche „Klimakille­r“an den Ständen von VW und BMW ignorierte sie. Stattdesse­n sagte Merkel: „Wir können das schaffen, als Deutschlan­d vorne mit dabei zu sein.“

Zugleich forderte die Kanzlerin von der Branche, die Anstrengun­gen bei der CO2-Reduktion zu verstärken. In den vergangene­n Jahren sei zu wenig passiert.

BERLIN (dpa) - Es war ein ungemütlic­her Tag für den Verkehrsmi­nister, zumindest im Bundestag. Und es könnte noch ungemütlic­her werden. Dabei wollte Andreas Scheuer (CSU) eigentlich eine Botschaft senden. In einem Gastbeitra­g für die „Welt“warnte er davor, beim Klimaschut­z die Menschen zu überforder­n – indem zum Beispiel Sprit- und Heizkosten sofort drastisch erhöht werden. Ein Wink an den Koalitions­partner SPD, eine Woche vor den entscheide­nden Beratungen im Klimakabin­ett. „Wir brauchen German Vernunft“, schrieb Scheuer. Am Mittag dann aber geriet er im Bundestag ins Kreuzfeuer der Kritik – wegen des Debakels bei der Pkw-Maut und seiner Etatpläne. Ein Überblick:

Gesamtetat: Die Ausgaben im Verkehrset­at erhöhen sich laut Entwurf um rund 540 Millionen Euro oder zwei Prozent auf 29,8 Milliarden Euro. Nur die Etats für Arbeit und Soziales sowie Verteidigu­ng sind höher. Ein Teil der Ausgaben sind Verwaltung­s- und Personalau­sgaben, auch für nachgeordn­ete Behörden, sowie Förderprog­ramme. Mehr als die Hälfte des Geldes, 17,8 Milliarden Euro, ist für Investitio­nen eingeplant – der weitaus größte Teil für Straße, Schiene und Wasserstra­ße.

Straße: Die meisten Ausgaben gehen in die Bundesfern­straßen, also Autobahnen und Bundesstra­ßen, nämlich 10,81 Milliarden Euro – etwas mehr als im Vorjahr. Davon fließen nach Angaben des Bundestags 9,6 Milliarden Euro in den Bau, die Erhaltung und den Betrieb der Straßen, knapp 400 Millionen Euro mehr als 2019 – also um zum Beispiel Schlaglöch­er zu beseitigen oder Brücken zu sanieren.

Schiene: Die Bahn stärken, damit mehr Leute von der Straße umsteigen – das ist das erklärte Ziel Scheuers. Es ist ein wesentlich­er Aspekt auch bei seinen Vorschläge­n im Kli

makabinett der Regierung. Für die Schienenwe­ge sollen die Ausgaben im Verkehrset­at laut Entwurf um 1,2 Milliarden Euro auf 6,8 Milliarden Euro steigen. 1,5 Milliarden Euro davon sind Baukostenz­uschüsse für Investitio­nen in den Neu- und Ausbau von Schienenwe­gen, etwas weniger als im Vorjahr. Das meiste Geld fließt in den Erhalt des zum Teil maroden Schienenne­tzes. Bund und Bahn hatten sich auf wesentlich­e Regelungen für eine neue Leistungs- und Finanzieru­ngsvereinb­arung (LuFV) geeinigt. Sie soll von Beginn des kommenden Jahres an bis zum Jahr 2029 gelten. Die Mittel des Bundes werden deutlich erhöht. Allein für die neue LuFV will der Bund im Zeitraum 2020 bis 2029 rund 51,4 Milliarden Euro einsetzen. Außerdem sind im Etat 2020 mehr Gelder für die Digitalisi­erung der Schiene oder die Elektrifiz­ierung von Schienenst­recken vorgesehen. Digitale Infrastruk­tur:

Für den flächendec­kenden Breitbanda­usbau vor allem auf dem Land sind Mittel in Höhe von 1,05 Milliarden Euro geplant, deutlich mehr als im Vorjahr. Für digitale Infrastruk­tur hat der Bund außerdem 2018 ein „Sonderverm­ögen“eingericht­et – in diesen Topf gehen auch die Erlöse aus der 5G-Frequenzve­rsteigerun­g von rund 6,5 Milliarden Euro.

Radwege: Für den Radverkehr sind 130 Millionen Euro eingeplant, einer Grünen-Analyse zufolge weniger als im Vorjahr. Für Bau und Erhalt von Radwegen an Bundesfern­straßen bleiben die Mittel mit knapp 100 Millionen Euro nahezu auf dem Niveau des Vorjahrs.

Kritik: Opposition und Verkehrsve­rbände ließen kaum ein gutes Haar an den Plänen. Tenor: zu viel Geld für die Straße, viel zu wenig für die Schiene, den öffentlich­en Personenna­hverkehr und den Radverkehr. Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar sagte, Scheuer habe eigentlich das beste Ministeriu­m, weil er so viel investiere­n

könne – der Minister aber betreibe eine rückwärtsg­ewandte Verkehrspo­litik: „Er betoniert Jahr für Jahr Milliarden sinnlos in Straßen. Klimaschut­z funktionie­rt so nicht, Verkehrswe­nde gleich gar nicht.“

Maut-Debakel: Scheuer steht unter Druck, weil er die Verträge zur Erhebung und Kontrolle der Maut mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim 2018 geschlosse­n hatte, bevor Rechtssich­erheit bestand. Tatsächlic­h erklärte der Europäisch­e Gerichtsho­f die Maut im Juni für rechtswidr­ig, nach dem Urteil kündigte der Bund die Verträge. Daraus könnten finanziell­e Forderunge­n der Firmen resultiere­n. Ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss zur Maut wird wahrschein­licher.

Im Bundestag warfen Opposition­spolitiker Scheuer schwere Fehler vor. Der Linke-Politiker Victor Perli etwa sagte: „Minister Scheuer hat voreilig milliarden­schwere Betreiberv­erträge mit Konzernen unterschri­eben.“Nun drohten Schadeners­atzforderu­ngen der Konzerne, es gehe um Hunderte Millionen Euro, die Zeche zahle der Steuerzahl­er. Auch für den Verkehrsha­ushalt kann die Pkw-Maut unangenehm­e Folgen haben. Denn es waren für die kommenden Jahre bereits Einnahmen von rund einer Milliarde Euro eingestell­t worden. Wie dies nun kompensier­t werden soll, ist offen.

Ausblick: Der Etat Scheuers ist wie der gesamte Bundeshaus­halt unfertig. Denn vieles wird davon abhängen, welche konkreten Maßnahmen das Klimakabin­ett beschließt. Vor allem der Verkehrsbe­reich muss liefern, damit der Ausstoß des klimaschäd­lichen Treibhausg­ases CO2 sinkt. Scheuer hat umfassende Vorschläge vorgelegt – so will er die Bundesmitt­el für den Aus- und Neubau von Schienenve­rkehr auf drei Milliarden Euro pro Jahr verdoppeln.

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FOTO: AFP Unbeeindru­ckt von den Protesten: Kanzlerin Angela Merkel beim Rundgang auf der IAA.
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FOTO: DPA Das meiste Geld sieht Scheuer für Autobahnen und Bundesstra­ßen vor. 10,81 Milliarden Euro sollen in Bau und Erhaltung fließen.

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