Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Falsche Weichenstellung
Von wegen Verkehrswende: Für immer weniger Firmen lohnt sich ein Gleisanschluss
STUTTGART - Güter von der Straße auf die Schiene: Das ist erklärtes Ziel von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Doch tut die Politik dafür genug? Mitnichten, sagen Unternehmer. Schützenhilfe gibt ihnen der Ulmer Martin Rivoir, Verkehrsexperte der SPD-Landtagsfraktion. „Das Verkehrsministerium berichtet vollmundig, dass es den Umschwung zugunsten der Schiene energisch vorantreibt. Die harten Zahlen zeigen jedoch, dass dies an der Realität komplett vorbeigeht und eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene misslingt.“
Angesichts langer Staus, steigender Umweltbelastung und eines großen Personalmangels bei den Spediteuren sind sich eigentlich alle einig: Es führt kein Weg daran vorbei, mehr Waren per Zug zu transportieren. Derzeit gelangen in Baden-Württemberg mehr als 70 Prozent aller Güter ausschließlich per LKW zum Ziel, gerade mal 18 Prozent per Bahn. In ländlichen Regionen liegt der Anteil der reinen LKW-Fahrten noch einmal deutlich höher.
Für die kommenden Jahrzehnten prognostizieren Experten eine weitere Zunahme der Warenmengen, pro Jahr kommen knapp zwei Prozent dazu. Dabei sind Straßen heute schon überlastet. Und: Laut Verkehrsministerium verursacht ein Straßentransport im Vergleich zu einem Schienentransport fünfmal soviel klimaschädliche Gase.
Anlass des Unmuts bei Logistikern und SPD sind unter anderem Gleisanschlüsse, mit denen Firmen sich einen eigenen Zugang zum Schienennetz der Bahn schaffen. Seit Jahren legen immer mehr Firmen diese Anschlüsse still. Der Trend setzt sich auch in Hermanns Amtszeit seit 2011 unvermindert fort. Derzeit gibt es in Baden-Württemberg rund 250 solcher Anschlüsse. Das zeigen Daten des Verkehrsministeriums. Genaue Zahlen aus den vergangenen 20 Jahren liegen dort nicht vor. Dennoch gebe es tendenziell weniger, zuletzt seien im Schnitt zwei Anschlüsse weniger pro Jahr verzeichnet worden. „Ungeachtet der Ankündigungen des Verkehrsministeriums und der angeblichen Bemühungen um eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene, werden unter Winfried Hermann ungebremst Gleisanschlüsse aufgegeben“, kritisiert SPD-Politiker Rivoir.
Immense Investition
Lange rechnete sich der Transport auf der Schiene mit dem sogenannten Einzelwagenverkehr nicht. Das sind Züge mit einem oder zwei Waggons, die kleine und mittlere Unternehmen nutzen. Die Gründe für diese Entwicklung nennt Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Logistikverbandes VSL im Südwesten: „Die Art des Bahnverkehrs stand viele Jahre nicht mehr im Fokus der Deutschen Bahn. Viele Unternehmen haben deswegen ihre Anschlüsse stillgelegt. Und sie wieder in Betrieb zu nehmen, ist eine immense Investition.“
Bürokratische Hürden
Mittlerweile wollen aber viele Spediteure die Bahn vermehrt nutzen. „Es stimmt einfach nicht, dass unsere Mitglieder möglichst viel LKW fahren wollen. Ihr Job ist es, Güter von A nach B zu bringen. Wenn das per Bahn schneller und günstiger klappt, nutzen sie das gerne – auch, weil ihnen Fahrer fehlen“, so Marongiu. Doch bürokratische Hürden, lange Genehmigungsverfahren und zersplitterte Zuständigkeiten machten es ihnen schwer.
Verkehrsminister Hermann bedauert die Entwicklung, sieht die Verantwortung aber vor allem im Bund. Baden-Württemberg selbst fördere den Güterverkehr bereits im Rahmen seiner Möglichkeiten. VSLChef Marongiu sieht in dieser Haltung eine Ursache für die Probleme: „Zu oft schiebt der Bund die Schuld auf die Länder und andersherum. Oder Bürgermeister einzelner Kommunen wehren sich, ebenso wie Bürgerinitiativen. Auch das hilft niemandem, da hat es dann auch ein Landesverkehrsminister schwer.“Wenn man es mit dem großen Ziel, mehr Güter auf die Schiene zu verlagern, ernst meine, dann müsse vor Ort auch der eine oder andere Kompromiss gemacht werden. Doch Lärm- oder Umweltschutz bremsen Projekte oft aus.
Es gibt bereits Lösungsvorschläge. Einer davon: Die Länder sollen Gleisanschlüsse verpflichtend vorschreiben, wenn neue Gewerbegebiete geplant werden. Das fordert unter anderem der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV), der unter anderem private Eisenbahnfirmen vertritt. Sie wickeln ein Drittel des deutschen Güterverkehrs ab, den Rest die Bahn-Tochter DB Cargo. Außerdem müsse man die Gleisanschlüsse stärker mit Steuermitteln bezuschussen. Doch auch bei der Frage des Planungsrechts verweist Minister Hermann auf den Bund.
Darüber ärgert sich der SPD-Abgeordnete Rivoir: „Anstatt selbst aktiv zu werden, hat es sich der Verkehrsminister offensichtlich im Schlafwagen gemütlich gemacht und lässt die Probleme an sich vorbeiziehen. Warum das Land selbst keinerlei Anstrengungen unternimmt oder zumindest versucht, auf den Bund einzuwirken, das bleibt ein Geheimnis.“