Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Zweifel an Studie zur Altersarmut
Ex-Caritas-Chef Cremer kritisiert Bertelsmann-Stiftung für methodische Mängel
BERLIN - Das Risiko für Altersarmut wird laut einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung in den kommenden Jahren deutlich steigen. „Selbst bei ungemindert positiven Konjunkturaussichten könnte in 20 Jahren jeder fünfte Rentner von Altersarmut betroffen sein“, sagte der Arbeitsmarktexperte der Stiftung, Christof Schiller, am Donnerstag. Derzeit sei es ein Sechstel. Der Anteil der Rentner, die zur Sicherung ihrer Existenz auf Grundsicherung angewiesen sind, werde von derzeit neun auf zwölf Prozent anwachsen.
An der Aussagekraft der Studie gibt es jedoch Zweifel. So hält der frühere Caritas-Generalsekretär Georg Cremer nichts davon, Grundsicherungsbezug schlicht mit Armut gleichzusetzen. „Was ist, wenn die Grundsicherung angehoben wird oder wenn es durch mehr Aufklärung gelingt, dass alle, die hilfeberechtigt sind, die Grundsicherung auch erhalten? Dann hätten wir vermeintlich mehr Arme, obwohl der Sozialstaat wirksamer wird“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. „Handlungsbedarf besteht, aber dass große Teile der Bevölkerung verarmen werden, ist derzeit nicht absehbar.“
Bei der Bewertung der von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) vorgesehenen Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung liegen Cremer und die Studienautoren nicht weit auseinander. Der Plan sei für die Bekämpfung der Altersarmut nicht zielgenau genug, heißt es in der Studie. Cremer betonte: „Wie immer die Reform ausfällt, wir brauchen weiterhin eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung. Kein zielgenaues System der ergänzenden Hilfen wird auf irgendeine Form der Einkommens- und Vermögensprüfung verzichten können.“
Gegen die in der Studie aus Gründen der Verfahrensvereinfachung vorgeschlagenen Einkommensprüfung ohne Vermögensprüfung wendet Cremer ein: „Wenn jemand erhebliches Vermögen hat, aber kein laufendes Einkommen, dann führen Hilfen ohne Vermögensprüfung zu neuen Gerechtigkeitsdebatten.“
Zusätzlich empfiehlt die Studie eine „flexiblere Auslegung von Versicherungszeiten“beim Anrecht auf Grundrente. Einen Zuschlag auf ihre Rente bekämen demnach auch Bedürftige, die nicht ganz die im Koalitionsvertrag festgelegte Mindestversicherungszeit von 35 Jahren erreichen.
Cremer plädiert dagegen „für eine kluge Kombination von Rente und Grundsicherung“. Etwa 20 Prozent ihrer Rente sollten Empfänger von Grundsicherung behalten dürfen. Die Folge: Wer sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat, bekommt mehr, als wenn er nie eingezahlt hätte. „Damit würde man der Lebensleistung der Menschen besser gerecht“, betont Cremer. Derzeit entfallen die Rentenansprüche ganz, wenn Grundsicherung gezahlt wird.