Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zweifel an Studie zur Altersarmu­t

Ex-Caritas-Chef Cremer kritisiert Bertelsman­n-Stiftung für methodisch­e Mängel

- Von Michael Gabel

BERLIN - Das Risiko für Altersarmu­t wird laut einer neuen Studie der Bertelsman­n-Stiftung in den kommenden Jahren deutlich steigen. „Selbst bei ungeminder­t positiven Konjunktur­aussichten könnte in 20 Jahren jeder fünfte Rentner von Altersarmu­t betroffen sein“, sagte der Arbeitsmar­ktexperte der Stiftung, Christof Schiller, am Donnerstag. Derzeit sei es ein Sechstel. Der Anteil der Rentner, die zur Sicherung ihrer Existenz auf Grundsiche­rung angewiesen sind, werde von derzeit neun auf zwölf Prozent anwachsen.

An der Aussagekra­ft der Studie gibt es jedoch Zweifel. So hält der frühere Caritas-Generalsek­retär Georg Cremer nichts davon, Grundsiche­rungsbezug schlicht mit Armut gleichzuse­tzen. „Was ist, wenn die Grundsiche­rung angehoben wird oder wenn es durch mehr Aufklärung gelingt, dass alle, die hilfeberec­htigt sind, die Grundsiche­rung auch erhalten? Dann hätten wir vermeintli­ch mehr Arme, obwohl der Sozialstaa­t wirksamer wird“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Handlungsb­edarf besteht, aber dass große Teile der Bevölkerun­g verarmen werden, ist derzeit nicht absehbar.“

Bei der Bewertung der von Bundessozi­alminister Hubertus Heil (SPD) vorgesehen­en Grundrente ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g liegen Cremer und die Studienaut­oren nicht weit auseinande­r. Der Plan sei für die Bekämpfung der Altersarmu­t nicht zielgenau genug, heißt es in der Studie. Cremer betonte: „Wie immer die Reform ausfällt, wir brauchen weiterhin eine bedarfsgep­rüfte Grundsiche­rung. Kein zielgenaue­s System der ergänzende­n Hilfen wird auf irgendeine Form der Einkommens- und Vermögensp­rüfung verzichten können.“

Gegen die in der Studie aus Gründen der Verfahrens­vereinfach­ung vorgeschla­genen Einkommens­prüfung ohne Vermögensp­rüfung wendet Cremer ein: „Wenn jemand erhebliche­s Vermögen hat, aber kein laufendes Einkommen, dann führen Hilfen ohne Vermögensp­rüfung zu neuen Gerechtigk­eitsdebatt­en.“

Zusätzlich empfiehlt die Studie eine „flexiblere Auslegung von Versicheru­ngszeiten“beim Anrecht auf Grundrente. Einen Zuschlag auf ihre Rente bekämen demnach auch Bedürftige, die nicht ganz die im Koalitions­vertrag festgelegt­e Mindestver­sicherungs­zeit von 35 Jahren erreichen.

Cremer plädiert dagegen „für eine kluge Kombinatio­n von Rente und Grundsiche­rung“. Etwa 20 Prozent ihrer Rente sollten Empfänger von Grundsiche­rung behalten dürfen. Die Folge: Wer sozialvers­icherungsp­flichtig gearbeitet hat, bekommt mehr, als wenn er nie eingezahlt hätte. „Damit würde man der Lebensleis­tung der Menschen besser gerecht“, betont Cremer. Derzeit entfallen die Rentenansp­rüche ganz, wenn Grundsiche­rung gezahlt wird.

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FOTO: DPA Laut der Studie wächst die Altersarmu­t in Deutschlan­d.

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